Geschrieben am 14. Januar 2012 von für Bücher, Crimemag

Walter Mosley: Manhattan Karma

West coast Blues meets New York

– Im vergangenen Sommer ist der erste Roman von Walter Mosleys neuer, in New York situierter PI-Serie erschienen. Eine Nachlese von Nele Hoffmann.

Walter Mosleys erster Roman um Leonid McGill ist eine Hommage an die Klassiker des Genres. Ein Privatdetektiv, der immer auf der Grenzlinie von good guy und bad guy wandert, der böse Widersacher zur Strecke bringt, die Schutzlosen rettet und dabei um die Vergeblichkeit seines Tuns weiß, weil der Mob nie ausstirbt. Es gibt Faustkämpfe unter echten Männern, ein Vorzimmer ohne Sekretärin, dafür aber eine unverzichtbare Dame im Off, die Anrufe entgegennimmt und weiterleitet, und außerdem – auch klassische Stoffe müssen mit der Zeit gehen – einen soziopathischen Sidekick, der ein begnadeter Hacker ist.

Leonid McGill ist New Yorker, er hat nur knapp eine Profi-Karriere als Boxer verpasst, und wie allen Mosley’schen Protagonisten ist ihm Gerechtigkeit ein persönliches Anliegen. McGill ist lange nicht so radikal und lange nicht so verzweifelt wie Socrates Fortlow, der Ex-Häftling aus South Central, Los Angeles (mit „The Right Mistake“ hat Mosley 2008 die Erzählung um seine bisher eindrucksvollste Figur zu einer Trilogie komplettiert, bevor er mit Leonid McGill rausgekommen ist. „The Right Mistake“ ist bisher nicht auf Deutsch erschienen und muss bei anderer Gelegenheit besprochen werden –  mit dieser Trilogie hat Mosley Maßstäbe gesetzt, an denen er sich messen lassen muss. Und ja, wir könnten an dieser Stelle auch über Korrespondenzen zum berühmten Easy Rawlins nachdenken, aber geben Sie Socrates Fortlow doch mal eine Chance).

McGill bereut seine Vergangenheit als Handlanger des Mobs. Eine Frau, die sich Karma nannte, starb durch sein Verschulden und mit einem Fluch auf den Lippen. Seither versucht McGill nur noch legale Jobs anzunehmen, aber es gibt immer wieder Aufträge, die er nicht ablehnen kann, ohne sich selbst und damit seine Familie in Gefahr zu bringen. Wieder sterben Menschen durch sein Zutun, wieder arbeitet er denen zu, die ihm zuwider sind.

Plot, ach ja …

Ersparen Sie mir bitte, die Irrungen und Wirrungen dieses Plots zu reproduzieren, die Stärken des Romans liegen ohnehin nicht in der Darstellung von Intrigen der New Yorker Unterwelt – natürlich sind Politik und Verbrechen unauflösbar verstrickt, natürlich gerät McGill in die höchsten und verkommensten Kreise der New Yorker Society, und natürlich zieht ein geheimnisvoller, mächtiger Dr. No die Fäden im Hintergrund. Das ist alles nicht neu, hat leider auch unnötige Längen und müsste eigentlich nicht noch einmal aufgewärmt werden.

Lesenswert sind dagegen die Passagen, in denen der gute alte hardboiled Detective tatsächlich irgendwie 21st Century ist, und das ist er als Privatmann. Leonid McGills Ehe ist schon lange erkaltet, nur eines der vier Kinder, die er großzieht, ist von ihm. Alas, er liebt sie trotzdem alle, vor allem den Jüngsten, den genialen, mit Intelligenz, Charme und zu viel krimineller Energie begabten Twill. Neben den obligatorischen Faustkämpfen und Verhandlungen mit kleinen und großen Gangstern ist es die größte Herausforderung für McGill, seinen Lieblingssohn vor dem Knast zu bewahren, der sich in den Kopf gesetzt hat, eine von ihrem Vater missbrauchte Freundin zu rächen.

Seine erlesene Geliebte Aura Ullmann, eine ungemein kluge und stolze afro-skandinavische Schöne, verlässt McGill schweren Herzens um der Familie willen, als seine untreue Ehefrau reumütig und ohne Leidenschaft zu ihm zurückkehrt. Aura ist so schön und so cool wie das Art-déco-Hochhaus in Manhattan, in dem McGill eine herrschaftliche Suite zu einem Spottpreis als Büro gemietet hat, weil er den korrupten Verwalter erpresst hat. Der Schmerz des Entsagens, das fahle eheliche Schweigen, die bedingungslose Liebe zu seinen Kindern: Da ist er dann doch, Mosley at his best, wenn er den harten Kerl Gefühle haben lässt.

Sprache …

Ob der zweite McGill Roman eleganter geplottet ist (denn, wie gesagt, in dieser Hinsicht ist „Manhattan Karma“ keine Meisterleistung), verrät Ihnen Elfriede Müller. Und im Laufe des Jahres kommt dann auch schon McGill No. 3 raus, diesmal von Peter Torberg übersetzt, der Garry Disher und Daniel Woodrell ins Deutsche überträgt, aber auch Mark Twain. Vielleicht gelingt es ihm, Mosleys siebten deutschen Übersetzer, für die Musikalität von Mosleys Sprache eine Entsprechung im Deutschen zu finden. Das konnte bisher nur Pieke Biermann, die vor über zehn Jahren die ersten beiden Socrates Fortlow-Bücher bei metro  übersetzt hat.

Obwohl die McGill-Serie very New York ist, habe ich lange nicht so oft an den Westküsten-Melancholiker Ross Macdonald gedacht wie bei der Lektüre von Manhattan Karma. Macdonalds Lew Archer und Mosleys Leonid McGill sind verwandt in ihrer resignativen Weltsicht, die nicht ohne moralisches Pathos auskommt. Ich mag das durchaus. Es muss ja nicht immer die Neuerfindung des Rades sein.

Nele Hoffmann

Zur zweiten Mosley-Lese von Elfriede Müller geht es hier.

Walter Mosley: Manhattan Karma (The Long Fall, 2010). Roman. Deutsch von Kristian Lutze. Berlin: Suhrkamp Verlag 2011. 389 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Mosley beim Unionsverlag.

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