Schlachtfeld New York
– Den zweiten McGill-Roman hat Elfriede Müller gelesen, unter ganz anderen Aspekten … Hier geht’s zum ersten …
Dass Walter Mosley von Bill Clinton zur Lektüre empfohlen wurde, sollte niemanden abschrecken. Mosley zu lesen, ist ein großes Vergnügen. Er hat vier Serienhelden und Reihen in der besten amerikanischen Hardboiled-Tradition geschaffen. Leonid McGill ist eine dieser Figuren, dessen zweites Abenteuer nun auf Deutsch vorliegt. Bei der Lektüre von Mosley wird deutlich, dass nicht nur Leonid an Hegel, Marx und Bakunin geschult wurde, sondern auch der in Watts großgewordene Autor.
So traditionell und solide wie die sich überlagernden Plots daherkommen, so düster, philosophisch und existentialistisch sind die Überlegungen und Monologe der Hauptfigur, dessen Gesellschaftskritik sich historisch verortet, in die Geschichte der Besiegten, der Schwarzen und der Aufständischen. Leonid McGill ist der Sohn eines schwarzen Kommunisten und Gewerkschaftsführers mit dem Namen Tolstoy, der die Familie zugunsten einer kubanischen Brigade verließ, als Leonid 12 war. Leonid wurde wie sein jüngerer Brüder Nikita zu einem Revolutionär erzogen, der mangels anstehender Revolutionen mit diesen Fähigkeiten nun im spätkapitalistischen New York klarkommen muss. Zuerst stand er zwar nicht auf der Seite, aber doch im Dienste des Verbrechens, nun geht er auf halbwegs legalem Wege, der fast noch schwieriger zu bewältigen ist: „Er (mein Vater) war ein Idealist, der wahrscheinlich im Kampf für die gute Sache gefallen ist. Ich bin bloß ein Überlebender aus dem Eisenbahnwrack der modernen Welt.“ Das Boxen hat ihm geholfen seine Jugend hinter sich zu lassen und ist ihm mit Mitte Fünfzig auch weiterhin von Nutzen.
Falscher Titel?
Leonid lebt in der falschen Familie, mit einer Frau, die ihn und die er nicht mehr liebt, mit drei erwachsenen Kindern, von denen er einen Sohn bevorzugt, der wie die Tochter nicht von ihm ist. Aura, die Frau, die er eigentlich liebt, verließ ihn gerade wegen eines Anderen. Der falsche Ort ist New York, durch das Leonid führt und das er kennt wie seine Westentasche. Die falsche Zeit ist der Moment, als er auf der Suche nach einem verschwundenen Mädchen in einen Mordfall verwickelt wird, weil er nach der Polizei am Tatort auftaucht. Vielleicht ist es auch ein falscher Titel, das Original heißt „Known to Evil“. Die Suche nach dem Mädchen ist auch die Suche Leonids nach dem Sinn seines eigenen augenblicklichen Lebens, das er eigentlich neu gestalten will, aber die Leichen im Keller seines alten Lebens machen ihm das nicht nur schwer, sondern helfen ihm häufig auch aus der Patsche und verweisen darauf, dass man in der heutigen Welt legal und ehrlich nicht sehr weit kommt.
Drei Plots
Es gibt eigentlich drei Plots: der erste, vermeintlich zentrale erzählt, dass Leonid für die graue Eminenz New Yorks, Alphonse Rinaldo, einen Auftrag erledigen muss. Rinaldo kann man nichts abschlagen, er ist so etwas wie der König von New York und offensichtlich mächtiger als der Präsident der Vereinigten Staaten, wobei er noch unfeinere Methoden der Machtausübung anwendet. Der Auftrag besteht in der Suche nach dem bereits erwähnten verschwundenen Mädchen, dem lange das Leben sehr leicht gemacht wurde, ohne dass es ihr auffiel. Bei der Suche wird Leonid nicht nur von alten Weggefährten, deren Taten und Umfeld er eigentlich lieber hinter sich lassen würde, sondern auch von seiner neuen Sekretärin Mardi Bittermann, der Informatikerin Zephyra und einem Computernerd unterstützt. Während sich die Suche so dahingeschleppt, gerät Leonid in eine zweite Geschichte: Er will Gutes tun, indem er seinem ehemaligen Opfer Ron Sharkey hilft, dem eigentlich nicht mehr zu helfen ist. Diesen hatte Leonid im Auftrag seines ehemaligen Geschäftspartners ins Gefängnis gebracht, damit der Geldgeber das Unternehmen und Rons Frau gleich mit übernehmen kann. Nun versucht er den vorher unbescholtenen Mann wieder rauszukriegen. Der dritte Plot ist eher der Fall von Leonids Lieblingssohn, der einen Frauenhändlerring aufmischt, weil sein älterer Bruder sich in das Callgirl Tatjana verliebt hat. Doch der wichtigste Strang ist Leonids verzwicktes Leben, seine Gedanken über dieses Leben und die Herrschaftskritik an einem runtergekommenen Land.
Der Roman beschreibt präzise und genau die alltägliche Polizeiarbeit und die Recherche eines Privatdetektivs. Die Cafés und Bars, die frequentiert werden, würde man selbst mal gerne aufsuchen.
Elfriede Müller
Walter Mosley: Falscher Ort, falsche Zeit. Ein Leonid-McGill-Roman (Known to Evil, 2010). Deutsch von Kristian Lutze. Berlin: Suhrkamp 2011. 414 Seiten. 9,95 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Offizielle Webpräsenz des Autors.