Geschrieben am 22. Juni 2013 von für Bücher, Crimemag

Warren Ellis: Gun Machine

Warren_Ellis_Gun_MachineGood Morning Sinners

– Mit „God bless America“ hatte Warren Ellis vor ein paar Jahren einen der abgedrehtesten Romane über Schein und Sein der USA abgeliefert. Jetzt also „Gun Machine“ – oder New York City als Palimpsest. Eine Besprechung von Roland Oßwald.

In Manhattans Geschichte finden sich immer wieder Auswüchse besonders verquerer Ideen moderner Menschen. Eine relativ junge ist der algorithmische Handel, ein automatischer Handel von Wertpapieren durch Computerprogramme. Dabei werden bestehende Kauf- bzw. Verkaufsverträge auf elektronischem Weg an die Börse geleitet.

Nahe liegt, dass dabei Geschwindigkeit eine große Rolle spielt. Und deshalb kamen einige besonders pfiffige Zocker auf den Gedanken, dass es doch von Vorteil sein könnte, Gebäude in der unmittelbaren Umgebung der Wall Street zu kaufen, in die Häuser eine Menge Hardware hineinzustellen, und dann von dort Glasfaserleitungen an die Börsenserver zu legen. Im automatisierten Handel entscheiden Millisekunden über Millionengeschäfte. Die logische Konsequenz sind Zwangsräumungen alter Mietshäuser rund um die Wall Street. Hin und wieder wehren sich die ansässigen Menschen, auf die Straße gesetzt zu werden. Aber dafür gibt es schließlich die Polizei und andere Helfer. Und so beginnt auch der neue Roman von Warren Ellis.

Detective John Tallow geht mit seinem Partner einem Notruf nach, der einen nackten Typen mit Schrotgewehr in der Hand vor einem Apartment in der Pearl Street meldet, und droht jeden Fremden, der in seine Bude rein will, abzuballern. Sein Vorhaben setzt der Mieter augenblicklich um, als die beiden Polizisten eintreffen. Er schießt Tallows Partner in Stücke. Tallow tut, was zu tun ist. Er tötet den Mann.

Warren_Ellis_TransmetropolitonSakrale Muster

Beim Schusswechsel wird die Tür des gegenüberliegenden Apartments getroffen. Die Spurensicherung untersucht und stellt fest, dass mit der Tür des Apartments 3A etwas nicht stimmt. Man dringt in 3A ein, was nur zu bewerkstelligen ist, indem man die Wand neben der Tür einschlägt. Die Tür selbst ist nicht zu knacken. Man wird fündig. In Apartment 3A hängen mehrere hundert Waffen, angeordnet nach einem sakralen Muster, die Form eines gigantischen Wampum-Gürtels zeichnend.

Es dauert Tage, all die Waffen ins Kriminaltechnische Institut zu schaffen. Bereits die Ergebnisse der ersten untersuchten Pistolen verschlägt den beteiligten Beamten die Sprache. Jeder identifizierten Waffe aus Apartment 3A in der Pearl Street können sie eindeutig einen ungelösten Mord zuweisen. Hochgerechnet blicken sie auf einige hundert offene Mordfälle der letzten zwanzig Jahre in New York City. Da der Fund das Versagen des NYPDs aufzeigen würde wie kaum etwas Vergleichbares in seiner Geschichte, entfacht schnell Panik in den Strukturen der Behörde. Politisches Taktieren beginnt. Niemand will die Verantwortung übernehmen.

Und weil Detective Tallow zur falschen Zeit am falschen Ort war und gerade verloren in der Gegend herumsteht, wird er mit dem Fall betraut. Ihm werden zwei skurrile Forensiker zur Seite gestellt, und das ganze Team wird in einen Kellerraum der Dienststelle abgeschoben. Die Presse darf nichts von der Sache erfahren und im Polizeiapparat möglichst auch nur eine Handvoll Eingeweihter. In den höheren Etagen wird beraten, wie man den Fall bzw. Fund am besten in die Versenkung befördert. Klar ist, dass Tallow dabei als Bauernopfer fungieren soll.

Warren Ellis, Autor von „Gott schütze Amerika“ und „Gun Machine“ (© Zoetica Ebb)

Warren Ellis, Autor von „Gott schütze Amerika“ und „Gun Machine“ (© Zoetica Ebb)

Der Jäger

Während Tallow versucht ,seine Haut zu retten, läuft ein anderer Mann durch das Dickicht der Stadt und mordet weiter. Im Buch wird er als der Jäger betitelt. In der Wahrnehmung des Jägers hat sich das New York von heute, das des weißen Mannes, gewaltsam über das Ursprungsland der Lanape Indianer hergemacht und so gut wie alles zerstört, was den Ureinwohnern einmal als Lebensraum diente. Der Jäger hat einen Weg für sich gefunden, alles Moderne zu verdrängen, und die Welt so zu handhaben, wie sie einmal war. Anstelle von Autos sieht er wilde Tiere, die Hochhäuser werden zu riesigen Bäumen, die Menschen, die herumlaufen, zu den ersten Siedlern aus Europa.

Die indianische Währung Wampum wurde von den Holländern einst inflationär vervielfältigt, um den Indianern Tiere und Felle abzukaufen. Am Ende der Inflation, als Muschelgürtel und Perlenketten immer häufiger ohne ideellen Gegenwert im Umlauf waren, erlosch die Währung zu Dreck und wurde in der Pearl Street als Straßenbelag ausgewalzt. Die Lanape waren all ihrer Werte beraubt worden. Das Land ging in die Hände der Siedler über, und deren Handel sah nach wenigen Jahren keinen Raum mehr für die Ureinwohner vor.

Für den Jäger gilt es, diese Schuld wieder einzufordern. Er hat eine Strategie entwickelt, im städtischen Dschungel zu überleben wie einst die Indianer im Wald. Seine Dienste als beinahe unsichtbarer Krieger und Killer haben ihm sogar so viel Macht im modernen Manhattan verliehen, dass sein Lebenswerk das Gefüge der ganzen Stadt ins Wanken bringen wird. Verlieren kann er nicht. Mit seinem Ende wird sich ein gewaltiger Riss in den Beton der Stadt schlagen. Und dann wird vielleicht auch wieder der Geist seiner Vorfahren über Manhattan wehen.

Warren Ellis ist bekannt geworden als Autor von Comicreihen. Zu den besten des gesamten Genres in den letzten zwei Jahrzehnten dürfte sein „Transmetropolitan“ gehören. Die Hauptfigur Spider Jerusalem unterhält heute einen Twitter-Account (wahrscheinlich wird dieser von Fans betreut), dem es zu folgen lohnt, obwohl die Reihe schon vor Jahren beendet worden ist. Sehr unterhaltsam ist Ellis selbst auf Twitter, aber auch seine Webseite ist empfehlenswert. Er ist ein erfrischend moderner Autor, was man sich für Autoren in unserem Lande auch häufiger mal wünschen könnte.

Nach „Gott schütze Amerika“ ist „Gun Machine“ Ellis zweiter Roman auf dem deutschen Markt. Und man liest immer noch seine Herkunft als Comicschreiber durch. Die Dialoge sind mitunter genial, während das Setting teilweise grob gezimmert wirkt. Die Eröffnungsidee, ein Apartment voller Waffen, die alle mit ungelösten Mordfällen in Verbindung stehen, ist wunderbar, die Nebenfiguren, wie die der zwei Forensiker machen ebenfalls großen Spaß, aber hier und da fehlt etwas Zug im Text, und bei einzelnen Szenen bleibt unklar, wohin sie eigentlich führen sollen.

Ein wenig liegt es an der deutschen Übersetzung, die manches Mal etwas gestelzt klingt. Das stört natürlich die amerikanische Film- und Fernsehindustrie nicht, die hat sowieso eine Schwäche für Comicschreiber, denn 20th Century Fox TV und Chernin Entertainment haben bereits die Filmrechte eingeholt. Wir können uns also auf den Film freuen. Und da gibt es jede Menge schöner Bilder im Buch, die man auf der Leinwand sehen möchte.

Roland Oßwald

Warren Ellis: Gun Machine (Gun Machine, 2013). Deutsch von Ulrich Thiele. München: Wilhelm Heyne Verlag 2013. 383 Seiten. 8,99 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Zur Homepage von Warren Ellis. Mehr zu Roland Oßwald.

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