Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Bücher, Crimemag

Sachbuch: Werner van Treeck: Dummheit

van Treeck DummheitDümmer, als die Polizei erlaubt?

von Klaus Kamberger

Kriminologisches Proseminar, 1. Sitzung für Kommissarsanwärter, Regel Nr. 1: „Am Ende machen sie alle den einen. Den entscheidenden Fehler!“ Wenn das kein Trost ist… Heißt es doch im Klartext: Am Ende ist es der schlimme Finger, der sich einfach als dümmer entpuppt, als die Polizei erlaubt. Aber stimmt das auch?  Wenn ja, dann wäre ja sogar ein mephistophelischer Top-IQler jedem über den zweiten Bildungsweg ins Wanne-Eickeler Morddezernat gerutschten Kleinermittler unterlegen. Das kann doch nicht sein.

Ist es auch nicht. Weder in der Wirklichkeit, noch im Krimi. (Erstere spiegelt sich ja nicht einmal in letzterem; was wir zumindest seit dem Hin und Her um Georg Lukács wissen.) Was der Krimi aber spiegelt, das sind unsere Hoffnungen. Vor allem die Hoffnung, dass einer, der mental eher schlicht ausgestattet ist und z.B. einfach nicht denken kann, trotzdem nicht dumm sein muss. Eine, zugegeben, etwa schale Hoffnung. Und der Sozio-Philosoph Werner van Treeck macht sie uns jetzt vollends zunichte.

Schon den alten Griechen, lässt er uns in seiner lockeren Tour-de-horizon durch die Gefilde der menschlichen Dummheit wissen, war klar, dass jeder Mensch, so er nicht den höchsten Grad der Weisheit erklimmt, per se ein törichtes Wesen bleiben muss, dumm, lasterhaft und weiter nichts. (Woraus Blaise Pascal später doch wieder den versöhnlichen Schluss zieht, dass es dann einfach töricht wäre, wenn es sich nicht all jene, denen es nicht gelinge, weise zu werden, zum expliziten Lebensziel machten, komplette Toren zu werden. Und dafür gibt es Beispiel en masse: Einem Schlaumeier vom Grade eines Horst Seehofer ist es jedenfalls vorbildlich gelungen; und in Dresden und Umgebung stolpern ihm nicht wenige ebenso exemplarisch hinterher…)

Womit wir zugleich den wichtigen Sprung vom Individuum zum Kollektiv geschafft hätten. Was aber ist kollektive Dummheit? Robert Musil hat es uns schon vor rund siebzig Jahren ins Stammbuch geschrieben: „Namentlich ein gewisser unterer Mittelstand des Geistes und der Seele ist dem Überhebungsbedürfnis gegenüber völlig schamlos, sobald er im Schutz der Partei, Nation, Sekte oder Kunstrichtung auftritt und Wir statt Ich sagen darf.“

Das klingt, sei’s wie es sei, wohl weiterhin beängstigend aktuell. Doch wer nun nicht der Versuchung nachgeben und sich nicht über Seehofer, AfD und Pegida neunmalklug „überheben“ mag, für den steht erneut ein Blick zurück auf die alten Griechen zu Wahl, genauer, auf ihre Schule der Stoa. Denn die kam endgültig darauf, was den wahrhaft Weisen vom bloßen Toren unterscheidet: Der Weise, sagt sie, ist sich selbst genug, entbehrt also nichts (wenn er natürlich auch viele Dinge nötig hat). Der Törichte dagegen hat überhaupt nichts nötig, weil er ja nichts entbehrt. Punkt.

Alles klar? Wenn nicht, dann bietet sich van Treecks Kompendium zum ebenso intensiven wie vergnüglichen Weiterblättern an. Bis man dann am Ende für sich ein wenig schlauer – und ein wenig bescheidener geworden ist. Wohlgemerkt: Wer über die Dummheit als solche reflektiert, muss ja nicht per se gleich schlauer sein als die anderen. Im Gegenteil: Hans Magnus Enzensberger ist ihm dafür ein Zeuge, hat er doch die Dummheit sogar als etwas geradezu Höheres bezeichnet, nämlich als eine „Himmelsmacht“. Ob er damit die christliche Einfalt gemeint haben könnte? Wer weiß…

Van Treeck meint nicht zu Unrecht, dass, wer sich über die Dummheit auslässt, in eine nicht unbeträchtliche Gefahr gerät: Wer immer über sie spreche, erhebe schließlich den Anspruch, über sie Bescheid zu wissen und somit selber „nicht dumm zu sein“. Was in den Augen des Autors aber wiederum nichts als eine ausgemachte Dummheit ist, im nächsten Schritt imdes zu der – dialektisch schön abgepolsterten  –  Schlussfolgerung führt: „Gerade dort, wo wir selbst sie machen, gibt es Grund, der Dummheit das Feld zu bestreiten.“

Klaus Kamberger

  • Werner van Treeck: Dummheit. Eine unendliche Geschichte. Reclam: Stuttgart 2015, 186 S., € 19,95.

Tags :