Böse Clowns sind überall
Horror-Romane sind in der literarischen Hackordnung noch weit niedriger angesiedelt als andere Genres. Und wenn man daran glaubt, dass das wirklich so ist, verpasst man schnell eine Menge guter Literatur. Nicht passiert ist das glücklicherweise Susanna Mende …
Fangen wir mit dem Titel an: Wie kommt es, dass ein Roman, der im Original The Pilo Family Circus heißt, auf Deutsch unter dem Titel Hölle veröffentlicht und dem Genre Thriller zugeordnet wird? Wo der Originaltitel auf den ersten Blick nette, lustige Unterhaltung verspricht, wird der deutsche Titel missverständlich explizit. Außerdem greift die Zuordnung zu dem diffusen Terminus Thriller bei weitem zu kurz und hat hier wohl nur in der allgemeinen Feststellung Gültigkeit, dass es sich tatsächlich um ein brillant geschriebenes Stück phantastische Spannungsliteratur handelt, allerdings von der völlig schrägen, schwarzhumorigen Sorte.
In der Tat ist das, was der nette und ein wenig orientierungslose junge Held Jamie erlebt, der in Brisbane ein unscheinbares Leben fristet, ein unerwarteter Höllentrip. Dabei fängt es recht harmlos an: Auf dem Nachhauseweg von seiner Arbeit als Portier in einem Gentlemen’s Club überfährt er beinahe einen Clown. Und seit Stephen Kings Es wissen wir, das Clowns nicht nur lustige Gesellen sind, die Kinder zum Lachen bringen, indem sie über ihre eigenen Füße stolpern.
Die Hölle sind wir …
Die Spaßmacher, mit denen Jamie es zu tun bekommt, sind in der Tat schwere Kaliber, auch wenn sie wie die guten alten Clowns aussehen; sie tragen rote Nasen und weite bunte Hosen und haben weiß angemalte Gesichter. Sie sind außerdem ganz unterschiedlich vom Charakter, einer ist kaltblütig und gerissen, der nächste völlig durchgeknallt (wer verliebt sich schon in einen Farnwedel?) und einer so masochistisch, dass er bestimmt gerne mit dem Hündchen aus „Ein Fisch namens Wanda“ getauscht hätte, als die schwere Betonplatte auf es niedersauste. Nur mit dem Unterschied, dass er nach kurzer Zeit wieder darunter hervorgekrabbelt wäre und sich an seinen schweren Verletzungen ergötzt hätte. Eine völlig unberechenbare Truppe also, die nur Teil eines bizarren, alptraumhaften Panoptikums darstellt, mit dem Jamie Bekanntschaft machen wird. Der Zirkus nämlich, in dem er unfreiwillig Mitglied wird, befindet sich nicht im eigentlichen Sinne auf der schönen Mutter Erde, sondern in einer Art Zwischenreich, das durch ein komplexes Aufzugsystem mit der normalen Welt verbunden ist. Dieses Zwischenreich ist der Zirkus der Brüder Pilo, wo es ziemlich wild und intrigant zugeht. Die Pilo-Brüder selbst führen gegeneinander einen erbitterten Krieg um Vorherrschaft, die Wahrsagerin kocht mit Hilfe ihrer Kristallkugel ihr eigenes Süppchen, Akrobaten und Clowns bekriegen sich mit den hinterhältigsten Mitteln, und alle, die gegen die Pilo-Regeln verstoßen, laufen Gefahr, in der sogenannten Schreckenskammer in grauenvolle Monster verwandelt zu werden und als solche ihr restliches Dasein fristen zu müssen.
Jamie, der nun unfreiwillig den Clownberuf ausübt, hat natürlich alle Hände voll zu tun, um nicht zwischen die Fronten zu geraten, vor allem, weil sich auch noch sein Alter Ego dazugesellt, der böse Jamie nämlich, in den er sich unter bestimmten Bedingungen, die ich hier nicht verraten möchte, verwandelt und dabei grausam, rücksichtslos und gewalttätig ist, womit er sich und den Rest der Clowns in echte Schwierigkeiten bringt.
… und die Freiheit ein Tunnel?
Unser Held sieht erst dann ein kleines Licht am Ende des bizarren Tunnels, in den er für alle Ewigkeit verdammt zu sein scheint, als er in die konspirativen Aktivitäten einiger Zirkusmitglieder eingeweiht wird, bei denen es natürlich nur um eins gehen kann: Freiheit, jawohl! Der Wunsch, zurück in das unscheinbare, kleine Leben auf Erden zu kommen, lässt ein paar Zirkusmitglieder Kopf und Kragen riskieren. Ob Jamie es schafft oder nicht, wird hier natürlich nicht verraten, nur so viel: Will Elliott, der den Leser bereits von der ersten Seite an in Atem hält, gelingt ein so furioser, visuell einprägsamer, phantastischer, gewalttätiger und gleichzeitig schreiend komischer Showdown, dass man nach Ende der Lektüre erschöpft aber berauscht in sein Sofa sinkt. Wenn man sich dann wieder beruhigt hat, stellt man verwundert fest, dass diese auf den ersten Blick verrückte Welt und die darin agierenden Menschen mit ihren psychotischen Zügen einem zutiefst vertraut sind.
Okay, okay, werden Sie jetzt sagen, ist ja schön und gut, aber was ist das denn jetzt für ein Roman? Horror, Science-Fiction, Fantasy, Thriller oder was? Wenn ich Clown Goshy wäre, würde ich an dieser Stelle aus Ratlosigkeit einfach nur mein Teekesselpfeifen anstimmen. Doch tatsächlich ist es von allem etwas und sperrt sich somit gegen sämtliche Schubladen. Und vor allem: Es ist von höchster Qualität, und es ist sogar das Erstlingswerk des jungen Australiers Will Elliott, das bereits sechs Literaturpreise und 2007 eine Nominierung für den „International Horror Guild Award“ erhalten hat. Elliott selbst äußert sich in einem Interview zum Genre Horror und bedauert seinen Status als schwarzes Schaf in der Literaturfamilie, weil es so vielfältig und mit allem kombinierbar sei. Mit Hölle führt er selbst vor, wie sich gute Literatur im virtuosen Spiel mit literarischen Elementen von seinen Festlegung befreit. Und damit sei dieser übrigens hervorragend übersetzte Roman auch allen überzeugten Nicht-Horror-Lesern empfohlen. Es lohnt sich!
Susanna Mende
Will Elliott: Hölle (The Pilo Family Circus 2007) Roman. Deutsch von Birgit Reß-Bohusch. Piper Verlag 2008. 400 Seiten. 16,90 Euro.