Feldkircher Lyrikpreis 2015
Die Jury (Marie-Rose Rodewald-Cerha, Regina Hilber, Julietta Fix und Axel Görlach) hat sich entschieden. Die Preisträger_innen des Feldkircher Lyrikpreises wurden soeben erstmals der Öffentlichkeit präsentiert.
1. Preis: Susanne Eules für Gedicht doina de jale
2. Preis: Christoph Szalay für Insomnia
Jury Begründungen:
1. Preis | Susanne Eules
Susanne Eules, Foto: Howard Romer0
Als ich dieses Gedicht zum ersten Mal las, fast wäre es mir durch die Lappen gegangen, weil es sich verschämt hinter das Blatt eines anderen Autors geklemmt hatte, versuchte ich sofort mir vorzustellen, wie es wohl entstanden war. In meiner Fantasie sah ich eine Autorin oder einen Autor in Vilnius in einer Bibliothek sitzen, vielleicht eine Stipendiatin, die an einem bestimmten Projekt forscht und mehr oder weniger zufällig auf die Geschichte von Kazi- mierz Sakowicz stößt. Eine Autorin, die bewegt und fasziniert von der Geschichte, einen lyrischen Ansatz sucht, diese zu Papier zu bringen. (JF)
Susanne Eules Text setzt sich mit den Aufzeichnung gen von Kazimierz Sakowicz auseinander, eines polnischen Journalisten, der in Ponar lebte. In dieser in einem Wald verstreuten Ansiedlung nahe der Stadt Wilna beobachtete und dokumentierte Sakowicz in den Jahren 1941 bis 1943 aus seinem Versteck auf dem Dachboden die Massenerschießungen an litauischen Juden. Die dabei entstandenen tagebuchartigen, geheimen Notizen versteckte er aus Angst vor Entdeckung in Limonadenflaschen, die er im Wald von Ponar vergrub. Nach deren Auffinden lagerten die Notizen mit dem Stempel ‚unleserlich‘ versehen lange Zeit im Litauischen Staatsarchiv.
Rachel Margolis, die im Wilnaer Ghetto Mitglied der Widerstandsorganisation F.P.O. und Mitarbeiterin in der Ghettobibliothek war, entzifferte in den 90er Jahren die in Heften, auf Zetteln und Kalenderblättern festgehaltenen Aufzeichnungen von Kazimierz Sakowicz. 1999 wurden sie schließlich in Polen und 2003 in Deutschland veröffentlicht. Sakowicz‘ Notizen, die überwiegend sachlich und distanziert bis ins Detail die Mordmaschinerie beschreiben, sind immer wieder durchsetzt von Bemerkungen zum Himmel, zum Wetter, zur Normalität dieser an sich idyllischen Landschaft und lassen eine unausgesprochene Traumatisierung erahnen, der Susanne Eules mit ihrem Gedicht Doina de Jale Sprache und Stimme gibt. (AG)
Doina de Jale ist ein Gedicht, das sich auf den Ursprung der Lyrik besinnt, auf die zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung. Die Geschichte von Kazimierz Sakowicz war der Auftrag an die Autorin, die diese gleich den Klezmorim, die ehemals als Auftragsmusiker auf Hochzeiten, Ernte- und Hoffesten spielten, in Lyrik transformiert hat. Wie in den Lieder der Klezmer Musik, eine aus dem aschkenasischen Judentum stammende Volksmusiktradition, wechselt die Stimmung in den einzelnen Strophen zwischen Fröhlichkeit und Trauer, zwischen Dur und Moll. Die dreizehn sechszeiligen Strophen sind Begleittext zu einem imaginären Musikstück für Fiedel und Hackbrett. Begleitet von dem Psalm er, der segnet, wird das Gedicht eröffnet. Es wird deutlich, dass sich Susanne Eules auch im weiteren Verlauf des Textes an den jüdischen Gebeten zum Sabbat orientiert und in Form von Psalmen neben dem Haupttext darauf verweist. Diese Anmerkungen, die die geschichtlichen Umstände des Gedichtes unterstreichen, gestatten dem Text Heterogenität in Bezug auf den Inhalt und die sprachliche Wahrnehmung. Ohne mit der Geschichte des Kazimierz Sakowicz und den Verweisen auf Psalmen und Musik zu konkurrieren, bringt Susanne Eules ihre Sprache in Position; sie singt in klar reflektierten, ästhetischen Sprachsplittern, die das geschichtliche Ereignis in rhythmischen Kaskaden aufbauen. So entsteht ein poetischer Geschichtsspeicher, der das Lied vom Grauen und Leid analysierend, immer wieder Objektivität und Subjektivität verquickend, verdichtet. Susanne Eules bewegt sich mit erstaunlicher Musikalität, changiert zwischen Sachlichkeit und elegisch-poetischen Tönen und komponiert so einen mitreißenden Sog, dem man sich schwer entziehen kann. (JF)
Wir gratulieren Susanne Eules zum 1. Preis
Julietta Fix und Axel Görlach im August 2015 für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2015
2. Preis | Christoph Szalay
Christoph Szalay, Foto: Katharina Sieghartsleitner
Aufbruch und Ankommen. In Christoph Szalays Gedicht Insomnia ist das Meer Träger und zugleich Getragener einer (Beziehungs-)Reise, die Anfang und Ende anzuhalten versucht als lyrisches Manifest- ein Meer, das es einzufangen gilt, um sich später von diesem als lyrisches Wir wieder einholen zu lassen. Dazwischen die Schatten als Geister, hidden gestures, wie der Autor sie benennt. Klang und Stimme muten wie ein stiller Ozean an, durchbrochen nur von kurzzeitigen Wellengängen. Der große Sturm bleibt bewusst ausgespart und das ist auch die Stärke dieses schönen Gedichts: Gleichklang und poetische Weite bewegen sich kontinuierlich auf dieses Wir zu und driften wieder ab.
Parallel dazu wird der Miniaturzyklus von einer zweiten Stimme begleitet, einer Zwischeninstanz, die das voran Gesagte einerseits als Essenz abbildet, andererseits auch als eigener Sequenzlauf betrachtet werden kann. Hier offenbart sich Szalays Sprachbewusstsein noch deutlicher.
In kürzesten Wortmeldungen und Aphorismen sind große Gedanken verankert, Betrachtungen, in denen wir uns wiedererkennen.
VONHIERISTESNURMEHRDERHIMMELUND DASMEER hält so ein Stimmfetzen aus dem off fest. Das Oben und Unten jeweils als die große Konstante, die Weite des Himmels ebenso wie die Weite des Meeres, bilden sich ab als Spiegelbild einer immanenten Schlaflosigkeit.
Ob Meer und Himmel zueinanderfinden, sich nachhaltig berühren werden, bleibt dem Leser überlassen. Gelungen auch das abschließende Wort, sofern Anfang und Ende unterscheidbar sind:
....wegwenden oder was alles gehoert nun uns
Wir gratulieren Christoph Szalay zum 2. Preis!
Regina Hilber im August 2015 für die Jury des Feldkircher Lyrikpreises 2015
Die beiden "Gewinnergedichte" präsentieren wir Ihnen morgen und übermorgen im Text des Tages.
Ihre JF
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