Schräge Vögel speien Pumpguns
März 2012 | Es ist eine Binsenwahrheit, dass man Eigenes im Spiegel von Fremdem überhaupt erst oder zumindest schärfer wahrnimmt, und diese Binse gilt auch für die Sprache. Sprache ist vielleicht sogar in besonders hohem Maß von ihr betroffen, weil wir alle täglich mit ihr umgehen. Eben diese Selbstverständlichkeit ist es, die dem Dichter hilft und manchmal im Weg steht, die ihn verlockt und blind macht. Die Sprachbahnen im Gehirn werden früh verschaltet, ...
Plädoyer für das stehende Heer
In der Bundeswehr vollziehen sich tiefgreifende Veränderungen. Aus der Wehrpflichtarmee, wie sie in Preußen um 1808 eingeführt worden war (Krümpersystem genannt), als Reaktion auf die schlagkräftigeren Volksheere der französischen Revolution, deren Taktik von Napoleon verfeinert wurde, soll wieder eine Berufsarmee werden, wenn man so altmodisch sagen will: ein stehendes Heer, eine Armee aus langdienenden, in hohem Maße professionalisierten Soldaten. ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 8
Leises fremdes Vogelweinen in Blanka Beiruts Morgenwohnung. Nervös flattert der Nymphensittich hin und her, doch es ist ja nur die Seele der Thermoskanne, die gerade zum Wörterhimmel aufsteigt. Mit kleinen Möwenglissandi. Irritierende Klangkonzerte auch im Hausflur. Was wie Baulärm anmutet, ist das Gepolter der Putzfrau. Auf der Straße Blechperkussion ordnender Altwarenhändler und hochpotenzierte Gebetsrufe. ...
Dietmar Sous und sein neuer Roman "Sweet About Me" nun bei Knaus – ein Werkstattgespräch
"Vater, Mutter, Tochter Maya, ein Häuschen vor der Stadt, Familienurlaub an der Nordsee. Mehr Normalität war nie. Doch dann trifft Maya einmal zu oft den wunden Punkt des Vaters, und eine heile Welt zerbricht", heißt es im Klappentext. Überdies treffend herausgestellt der "tragikomische Blick, angereichert mit viel Musik, in die Abgründe eines kleinbürgerlichen Lebens". ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 7
Der Himmel ist heute eine Stunde lang grün und grau wie Kinderrotze. Trotzdem hat der Nymphensittich Wolken angeknabbert. Und Teile davon auch noch in Blanka Beiruts Handtasche versteckt. Deshalb ist diese nass, und über ihnen regnet der Regen, yağmur yağıyor! Und es schneit. Ach nein, der Schnee regnet doch auch. Zumindest auf Türkisch. Und überall in Istanbul. Auch in die Sprachschule hinein, wo Blanka Beirut den Bären namens Ayı wiedertrifft. ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 6
Armut heißt Birne und davon singt der Bär in allen seinen vierzig Liedern. So zumindest türkische Redekapris der Straßen im Zwielicht, der staubigen Hinterhöfe von flimmernder Paradiesbox und Palast und Goldhorn. Hinter zwei von sieben Bergen. Dort wohnen auch die Maronimannen, die ohne Kleinehexenzauber frierend auskommen müssen.
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 5
Auf der Brücke nach Eminönü wird Blanka Beirut mit aufgehaltener Hand als Hoca angesprochen. Oder hat sie sich verhört? Hodscha? Das kann nur an Pedrettis kleinem Engel liegen, der in ihrer Handtasche eingezogen ist, weil er unbedingt mal wieder in einen sauren Apfel beißen will. Dort erzählt er dem Nymphensittich vom Himmelgut und dem langweiligen Leben als Gesangsknabe. ...
Abschiede oder Willkommensgruß - Sprachräume von Frank Milautzcki
16.02.2012 | Die Welt redet mit uns und wir reden mit der Welt. Kommunikation, die darunter leidet, daß wir die Welt nicht so verstehen, wie sie es meint, sondern so, wie wir unsere Begriffe setzen. Was bedeutet: in unserem Sinne. Wir meinen erkenntnisgesteuert durch Raum und Zeit zu schiffen, aber stehen mit unseren veralteten Denkweisen mehr denn je auf der Kippe uns zu verabschieden. Das Tempo der von uns angestoßenen Veränderungen suggeriert uns Bewegung, die frei macht, die moderne Welt will...
Füßchentherapie
Februar | 2012 Neulich hatte meine katholische Freundin einen Mittelfußbruch. Sie bekam einen Gips, zwei Krücken, die man jetzt Gehhilfen nennt, ein Rezept für Thrombosespritzen, eine Krankschreibung, die sich endlich mal lohnte, und einen Abrechnungsschein für den Taxifahrer, der uns in der nächsten Zeit zwischen Wohnung und Klinik hin und her chauffieren würde. Zum Glück passierte der Fußbruch während der Arbeit, das ist preiswerter, als wenn man sich in der Freizeit verletzt. ...
Die anziehende, herausfordernde Wortlosigkeit der Tiere. Ulrike Draesner begibt sich in die Nachbarbereiche des Gedichts.
Februar 2012 | Tiere in Gedichten sind ein leidiges und herrliches Thema. Ich denke nicht an Rilkes Panther! Sondern an Gedichte, in denen Tiere selbst sehen, fühlen, sprechen. Nie werde ich vergessen, wie sehr mich Ted Hughes‘ Crow, ein Zyklus von fast 90 Gedichten, innerlich sprachlos ließ vor Aufregung, Staunen und Freude. Die Gedichte fassen das Leben Crows; sie erleuchten, was es heißt, ein Wesen vom Schlag „Krähe“ zu sein. ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 4
Auch in der fremden Stadt verbringt Blanka Beirut die Tage mit Buchstaben und Sätzen. Sie filetiert Texte und schneidet Wörter auseinander. Dabei achtet nicht sie auf das Geschrei auf dem Blatt. Nur der Nymphensittich nimmt den Aufstand der Silben wahr und macht Blanka bittere Vorwürfe. Wie als Unterstreichung knallt der gestreifte Nachbar von gegenüber etwa alle 15 Minuten mit seiner Autotür. Das Vogelvieh beruhigt sich erst wieder, als Blanka zum Trost die Silben türkisch mit Suffixen bestickt....
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 3
Immer der Nase nach. Über die Galata Köprüsü. Mokkageruch zeigt den Weg zum ägyptischen Basar. Sollte so sein. Aber Blanka Beiruts Nase findet sich gar nicht zurecht, angesichts der olfaktorischen Übergriffe auf der Brücke. Und die war ihr ganz anders versprochen worden! Zufriedene Angler, malerische Möwen, sentimentale Musikspieler, sanfter Fischgeruch, melancholische Katzen, schwarze Frauenaugen von singender Meerenge. Vor lauter Katzenpippifisch und anderem Müllgestank, ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 2
Der Winterwind rumpelt üngemütlüc in der Straße herum. Und treibt Schnee und Abfälle als gemeinsames Gestöber an Blanka Beiruts Fenster vorbei. Aber in der Wohnung ist alles still. Bis auf Tisch und Stuhl, die mit dem Heizer reden auf fünf und auf zwö. Aber wer soll das schon verstehen? Nur Piano kann das. Und will auch: Wörte und Töne und allerlei. Blanka knackt Tritonüsse von Poulenc, aber dann schreibt die Stille Bücher, und das ist praktisch. ...
Erinnerung an Hans Henny Jahnns "Fluß ohne Ufer" von Stefanie Golisch
28.01.2012 | Die Einsicht in fremde Schuld setzt im Wesentlichen zwei einander widerstrebende Reaktionsformen frei: zum Einen den Ruf nach Sühne und Vergeltung, zum Anderen den nach Vergebung und Gnade. Beide sind religiösen Ursprungs. Dominiert noch im Alten Testament die Vorstellung des zürnenden Gottes, so kommt mit Jesus Christus die Vergebung als universeller Wert in die Welt. Am Grund abendländischer Zivilisation stehen Härte und Milde. In der Vorstellung des Fegefeuers fallen beide zur wollüstigen Vision reinigender Bestrafung zusammen. ...
Aus Zeitblei. Grazer Erzählungen von Mechthild Curtius
Den Namen >Gsellmann< habe ich beim Herumfahren im oststeirischen Hügelland in Blockbuchstaben gelesen, senkrecht auf einem sehr hohen Fabrikschornstein, unerwartet, zwischen lauter Wäldern, Viehweiden und Weinbergen. Da ist mir Kameramann Ernst Möhles Empfehlung für die Grazreise eingefallen, unbedingt Gsellmanns Weltmaschine zu besichtigen. In einem kleinen Gehöft tief im Tal, wo es keiner erwarte. Er hatte als erster einen Fernsehfilm über die Erfindung des österreichischen Eigenbrötlers gemacht. ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 1
Blanka Beiruts Jahr hat feucht und nymphensittichgrau begonnen. Und mit dem Gefühl, dass Hier immer woanders ist. Und mit Dort zusammenwohnt.
Sie reist an die Boase.
So wird der Bosporus auf Türkisch genannt. ...
Die verbo(r)gene Stimme trifft Gedichte. Ulrike Draesner dehnt und biegt sich im Gedichtflusskabelrohr.
Januar 2012 | Jeder kennt sie, jeder hat sie erlebt – auf oder vor der Bühne, oder als Veranstalter zwischen allen Stühlen. Für eine schlechte Lesung gibt es viele Gründe, sie ist kein Naturereignis: fehlende Werbung im Vorfeld, fast kein Publikum oder eines mit vollkommen anderen Erwartungen, der Veranstalter führt einen Autor ein, der man nicht ist („aber Sie haben ja gar keine schwarzen Haare!“), Hotel verfloht (dankenswerterweise handelte es sich um Hundeflöhe, die freiwillig ...
Impressionen einer Reise nach Marrakesch von Charlotte Ueckert
Überall in den Zeitungen lese ich, wie modern Marrakesch geworden ist. Eine Stadt, die auf Augenhöhe mit europäischen Metropolen kommen möchte. Treffpunkt des Jet Sets, Austragungsort internationaler Konferenzen. Luxushotels, in denen eine Nacht ab tausend Euro aufwärts kostet. Hollywoodstars, die ihren Dritt- oder Viert- Wohnsitz kaufen. Traditionelles Kunsthandwerk, aber auch moderne Kunst auf der Höhe von Tate und Sotheby’s. Ein König, ...
"Eingefrorene Momente" - Mit Julia Mantel sprach Bernd Leukert.
Wer Gedichte schreibt, will etwas anderes, als mit Prosa zu erreichen ist. Gedichte bieten Möglichkeiten, die die anderen Entäußerungen nicht bieten.
Ich glaube, Dichtkunst ist Konzentration auf das Wesentliche. Prosa arbeitet mit Personen, entwickelt einen Handlungsstrang. Lyrik ist für mich eher wie eine Form eingefrorener Momente, man nimmt die Realität und skizziert sie. ...
Geschmackssache
Daß ich zu Weihnachten krank werde, entwickelt sich inzwischen zu einer Tradition. Mein Körper hat diesem Fest nichts mehr entgegenzusetzen. Jahrelang gab es einen erbitterten Kulturkampf mit meiner Mutter auszustehen, weil ...
weitere Beiträge: