Lauras Glasauge
12.05.2012 | Lauras Glasauge Was hat das ostdeutsche Erzgebirge mit der Adriastadt Murano bei Venedig gemeinsam? Glas. Glasbläserei. Glas-Auge, Erfindung, Entwicklung. Und Legende: Das dritte Kind des Glasbläsers Julius Gotthelf wird krank geboren. Ein Mädchen, schwach, wächst langsam, bleibt klein, lange ein Kind. Und so dicht Laura dem Vater zusieht, sie erkennt nicht recht. "Geh nicht so nahe heran, Feuer kann dem Augenlicht schaden." War es das grelle Licht? ...
Der Herrgott ist in gewissen Teilen der Bibel ein "jüdischer Schriftsteller"
09.05.2012 | Gespräch mit Oleg Jurjew. Nowoje literaturnoje obosrenije/Neue Literaturrundschau) (Moskau), Nr. 66, 2004 Das Gespräch führte VALERY SCHUBINSKY (Gekürzte Fassung) ...
"Ich schreibe Gedichte, um herauszufinden, wo sie passieren".
09.05.2012 | Gespräch mit Oleg Jurjew. „Воздух“ („Vosduch“) (Moskau), Nr. 1, 2010 Das Gespräch führte LINOR GORALIK (Gekürzte Fassung) ...
Wolkenmaschinen und ausgeschnittene Zeit
07.05.2012 | Die Tagebuchstaben wachen wieder auf. In der Schweizer Frühmorgenstadt schneidet die Sonne einen Kuchen aus frischer Luft an. Ein Duft aus Heu, Träumen und Gebirgsbach entweicht, und der Nymphensittich kreischt darin herum. Blanka Beiruts Stift rollt zwischen zwei Linien auf dem Blatt wie ein Zug auf den Schienen. In Tag und Textzug lässt nichts eine erneute Teilung von Zeiten, Ländern und Städten ahnen. Auch Blankas Regionalbahn nach Sternen ...
Durch die Wüste
07.05.2012 | Else Lasker-Schüler, wie sie auf vielen Fotographien erscheint, wirkt auf uns heutige Betrachter wie eine „normale“ Dame der Gesellschaft. Meist blickt eine ernste Frau direkt in die Kamera, das Haar geordnet; sie trägt dunkle Kostümjacken, dazu ordentlich um den Hals gelegte weiße Kragen, und von Schmuck ist kaum etwas zu sehen, eine Kette, eine Brosche, Ohrringe. Selbst die Kopfbedeckungen wirken seriös. Das berühmte Fellkäppchen, ...
Poesiefestival in Indonesien//April 2012
Mai 2012 | Die ersten beiden Aprilwochen verbrachte ich auf einem Poesiefestival in Indonesien. Das Format war ungewöhnlich: 28 Dichter aus allen Kontinenten (bis auf Südamerika) und 20 wechselnde Dichter aus Indonesien tourten durch Java. Eine „creative caravan“, eine Riesenreisegruppe: Pressekonferenzen, abendliche Lesungen, Diskussionen an Universitäten oder in christlichen und muslimischen Colleges. ....
Osteraugenfärben
Mai 2012 | „Oh Haupt voll Blut und Wunden“: Neben Jesus paßt dieser Ausruf am besten zu meiner katholischen Freundin. Häufig ist ja nicht nur ihr Haupt betroffen, sondern auch alle anderen Körperteile, die mit blauen Flecken stigmatisiert sind. Und in einen Nagel getreten ist sie auch schon mal. Mit etwas mehr Geschäftssinn, könnte ich sie als das Wundmalwunder von Halle ausgeben. Das verkaufte sich besser als meine Lyrikbände. Aber da mir eh keiner glauben würde, ...
Ein Ausflug
05.05.2012 | Wer sich an literarischen Wettbewerben beteiligt, tut das um einen Text zu Ende zu bringen, weil es ja ein Einsendedatum gibt. Das ist das Datum, an dem man sich vom Text verabschiedet, ihn trotz aller Mängel für volljährig erklärt. Sonst würde man ihn noch viele Male umarbeiten… Einen anderen vernünftigen Grund dürfte es wohl kaum geben. Um einen Preis zu gewinnen? Nicht ernsthaft, ein bisschen vielleicht doch, aber… Im Normalfall gewinnt man nicht. ...
Notizen aus Istanbul, Teil II von Gerrit Wustmann
04.05.2012 | Es gibt in Istanbul viele Orte, an denen man gemütlich in der Sonne sitzen und die Vielfalt des pulsierenden Lebens der Stadt beobachten kann. Auf dem Platz vor dem ägyptischen Bazar und der Yeni Cami in Eminönü; nachts unter dem Galata-Turm; oder hier: vor dem Atatürk-Denkmal auf dem Taksim Platz. Interessanterweise sind es kaum Touristen, sondern fast ausschließlich Türken, die sich vor der Statue des Staatsgründers fotografieren lassen....
Give me your eyes that I might see – zum 30sten Jahrestag eines großen Albums
30.04.2012 | Ähnlich wie Frauenzeitschriften ihre Stylingtipps, das Schuh-Special und den großen Passt-er-wirklich-zu-dir?-Liebestest, haben auch Musikzeitschriften eine mit schöner Regelmäßigkeit erscheinende Rubrik: Die "Platte der Woche" (respektive: des Monats, des Jahres) - eine Momentaufnahme, ein temporärer Akt der Subjektivität, bei dem sich entweder eine sogenannte Fachjury austoben darf oder ein Poll eine Solidarität innerhalb ...
Tonmanns Tagebuch, Reise nach Marbach.
In Blaubeuren, um Blaubeuren und darum herum. Kahle Fläche mit niedrigem Hafer zwischen Weiden, hell belichtete Hochebene getreppt, Stufenkanten aus schmaler Hecke. Weite Wiesen sind wie regungslose Riesenviecher gefläzt, struppiges Gras, ein kurzgeschorenes Tierfell. Hänge sind Flanken mit Flecken vielfarbiger Blumen. Lila Acker-Skabiosen, gelber Sonnenhut, blaue Glockenblumen, Rosmarin, Thymian, vor dem Wind geduckt. ...
cheaper than flowers
April 2012 | Ich stand an einem Transferpoint, einem kleinen schäbigen Platz, ausgestattet mit einem überfüllten Standaschenbecher und einer Schubkarre mit leeren Wasserflaschen. Zwischen achtlos weggeworfenem Müll, Kaugummipapier, leeren Zigarettenschachteln, einem aufgeweichten Tampon und benutzten Taschentüchern blitzten meine roten Fußnägel. Neben mir hielt Sirli mit einem übergroßen, weißen Regenschirm jede Form von Sonneneinstrahlung von mir fern ...
Notizen aus Istanbul, Teil I von Gerrit Wustmann
14.04.2012 | Das erste, was mir auffällt, als ich durch Beyoğlu streune, sind die fehlenden Tische. Auf der Galip Dede Caddesi und in den Seitengassen der İstiklal Caddesi haben normalerweise die unzähligen Restaurants, Cafés und Imbissbuden ihre Tische, Stühle und Bänke aufgestellt, manchmal so eng, dass ein Auto kaum mehr durchkommt. Genau da lag im letzten Jahr der Haken, erfahre ich. Angeblich war Ministerpräsident Erdoğan in der Stadt, und es soll ...
Wir, die Netz-Kinder
14.04.2012 | Es gibt wohl keinen anderen Begriff, der im medialen Diskurs ähnlich überstrapaziert worden ist wie der Begriff "Generation". Ich habe einmal versucht, die "Generationen" zu zählen, die in den vergangenen zehn Jahren ausgerufen worden sind, seit diesem berühmten Artikel über die sogenannte "Generation Nichts". Ich glaube, es waren stolze zwölf. Eines hatten sie alle gemeinsam: Sie existierten nur auf dem Papier. In der Realität gab es diesen einzigartigen, greifbaren, unvergesslichen Impuls ...
Kochkunst
April 2012 | Wenn meine katholische Freundin am Herd steht, weiß ich vorher immer, daß sie dort alles falsch macht, auch wenn es hinterher hervorragend schmeckt. Also ging ich mal wieder in die Küche, um in die Töpfe zu sehen. Diesmal stand auf dem Herd eine Pfanne, in der sich verschiedene Sorten Gemüse und Hähnchenfleisch geschmacklich verbinden sollten. Meine Freundin goß Wasser hinein, es zischte und ich dachte mir, ob sie nicht ein bißchen zuviel Wasser ...
Jede Strophe ein wabbelndes Bäuchlein
April 2012 | Vor gut einem Jahr bekam ich innerhalb einer Woche zwei Anfragen nach Texten zum Thema ‚Essen‘. Auch ein nachkochbares Rezept sollte jeweils beigegeben werden - und wenigstens dabei will man sich nicht blamieren! Der erste Text gelang immerhin einigermaßen rasch, dann wartete ich auf kulinarische Erleuchtungen. Nachfragen der Herausgeber beantwortete ich beschwichtigend, derartig verlockende Gerichte stellte ich in Aussicht, ...
Tomas Tranströmer bei der lit.cologne
30.03.2012 | Er sah so aus, als wollte er all das hier nicht und doch war er da und sagte, ich konnte es mir nicht vorstellen, Tomas Tranströmer hier vorzustellen. Nun tue er es. Die lit. cologne ist ein Event. Genau das unterscheide sie von der Leipziger Buchmesse, mit der sie terminlich konkurriert. Zum 12. Mal beginnt die lit.cologne zeitgleich mit der Messe, dauert aber eine Woche länger.
Die Uhren werden auf Sommerzeit gestellt. Eine Geschichte von Mechthild Curtius
01.04.2012 | Seit den Filmreisen 1985 schreibe ich regelmäßig Reise-Tagebücher, die szenische Grundlagen zu sieben Romanen und sicherlich dreihundert Erzählungen wurden. Die Orte und Landschaften müssen echt, vor Ort in vielen Heften geschildert, im Zustand wie gesehen, wiederzufinden sein, die Menschen und Handlungen müssen erfunden sein, er-dichtet. Für Mario Vicario und Famiglia in Firenze, Universitäts-Kollege, Italienisch-Lektor, Archivar der Laurentiana, sind die puren Reisen unverdichtet gescannt: ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und letzte Tagebuchstaben vom Bosporus
Blanka Beiruts Blätter bleiben heute leer. Nicht die kleinsten Tagebuchstaben hat sie beim Saubermachen der Abreisewohnung in den Ecken gefunden. Nur letzte Stundenkrümel stehen ihr ihm Weg. Und das liegt nicht nur an der Zeitverschiebung, hüben wie drüben. Die Zeitreste werden aufgesammelt und geknabbert wie Pistazien. Auch der Nymphensittich kommt auf seine Kosten: Kreischen darf er, und Sesamkörner und Brotkrumen und türkisch Allerlei pickt er vom Boden und wirft sie in die große Tasche. ...
Wörtmüsikler - Wortklavier und Tagebuchstaben vom Bosporus 9
Eine rätselhafte Botschaft liegt auf Blanka Beiruts Küchentisch. Mit einer Telefonummer. Wie kommt sie dahin? Ganz einfach: auf dem Einwickelpapier des frisch gekauften Brots. Ist Blanka gemeint? Oder war das Papier vorher überdimensionaler Notizzettel?
Egal! Blanka ruft der Sache nach. Ohne wiesoweshalbwarum. Aber: besetzt. Den ganzen Tag. Stehen deshalb die Möwen schon wieder vor der Texttür und feilschen ...
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