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Magazin für Verrisse aller Art
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Quem JucatAnmerkung zu F. J. Czernins Essay- und Dichtkünsten.
Der österreichische Dichter Franz Joseph Czernin hat im Jahre 1995 mit seiner Kritik
an Durs Grünbeins Gedichtband 'Falten und Fallen' (abgedruckt in 'SCHREIBHEFT 45')
Aufsehen in der Lyrikbranche erregt. Zu recht, finde ich. Der, wie ich gern sagen
möchte, fulminante und zutiefst unbarmherzige Essay hat mir einen Nachmittag lang
außerordentliches Lesevergnügen bereitet. Nachfolgend unkommentiert einige Sentenzen
aus der genannten Arbeit, auf die ich später Bezug nehmen werde:
Quell des erwähnten Lesevergnügens ist zweierlei gewesen: Erstens eine Schadenfreude. Warum soll ich es verhehlen? Den Shooting-Star der Szene auf ebenso rabiate wie bündige Weise als gedankenlosen (weil die Literaturgeschichte nicht mitreflektierenden) Gedichte-Fabrikationsautomaten entlarvt und bis in die kleinste Schraube zerlegt zu sehen, war köstlich. Sowas lese ich immer gern. Zweitens das Empfinden von Schönheit. Czernin entwirft eine - 'Theorie' ist zuviel gesagt - Kollektion von Anforderungen (siehe oben) an das literarische Schreiben, insbesondere an Lyrik, und prüft anschließend minutiös ab, inwieweit Grünbeins Texte diesen Anforderungen genügen. Ergebnis: Ungenügend, setzen! Das Verfahren an sich ist nicht sonderlich anspruchsvoll, vermittelt aber, konsequent durchgezogen wie hier, das Empfinden von Schönheit, jedenfalls mir. Herzlichen Dank dafür, lieber Czernin. Nun sind mir allerdings schon bald nach der Lektüre Bedenken gekommen. Vielleicht ist das alles gar nicht so doll, was der Czernin da treibt, sagte ich mir. Forderungen aufstellen, x-beliebige, und auf deren Erfüllung pochen kann ein jeder, völlig unabhängig davon, ob der jeweils Kritisierte sie erfüllen kann oder will oder ob sie 'billig' sind, also eine Plausibilität besitzen, die über die Qualität eines schlauen Einfalls, einer aparten Spitzfindigkeit oder auch einer allgemeinen, nicht weiter begründeten, also fragwürdigen 'Übereinkunft' hinausgeht und womöglich eine gewisse Gesetzeshaftigkeit für sich beanspruchen kann. Fehlt diese Art 'nomothetischer' Plausibilität oder ist sie von einem rechtschaffen hindenkenden Leser nicht zu erkennen (und ich erkenne sie zum Beispiel nicht), so gerät eine Abhandlung wie die Czerninsche leicht in den Verdacht der zirkulären Denkakrobatik (vulgo: Hirnwichserei), die zu nichts taugt als zu zeigen, daß der Verfasser in der Lage ist, eine von ihm selbst entworfene Meßlatte - sei sie auch noch so abstrus - an einen Untersuchungsgegenstand anzulegen und konsistente Urteile zu generieren. Das ist im Zeitalter des nie endenden, gern ziellos ausufernden öffentlichen Schwadronierens zwar ein unbestreitbares Verdienst. Doch dürfte die praktische Relevanz der so gewonnenen Urteile nahe am Nullpunkt liegen, das heißt, diese Urteile würden - im vorliegenden Fall - die Wirklichkeit der Grünbein-Gedichte gar nicht tangieren, geschweigedenn 'mitten im Schwarzen' sitzen. Nun darf aber natürlich niemand fragen: Was ist denn bitte 'die Wirklichkeit eines Grünbein-Gedichts?'. Ich halte fest: Czernin hat sich hinsichtlich des materiellen Gehalts seiner Einlassungen als zweifelhafter, hinsichtlich ihrer formellen Bewältigung als glanzvoller Kritikus erwiesen. Wie ist es aber nun um die Dichtkünste, eigentliche Ambition des famosen Essayisten, bestellt? Der Frage möchte ich anhand der AKZENTE, Heft 5, vom Oktober 1996 nachgehen. Hierin ist der Autor mit 16 Sonetten vertreten, samt einer 'Bemerkung', die dem besseren Verständnis der Verse dienen soll. Unglücklicherweise kann ich mit einem eigenen Ansprüche-Katalog, Gegenentwurf zum Czerninschen etwa, nicht aufwarten. Meine Leseerlebnisse mit Lyrik - kurze Gedichte haben mir gefallen, aber auch lange; gereimte ebenso wie ungereimte; Bachmann-, Celan- und Heym-Verse haben mich nicht weniger erfreut als Rothman-, Dietrich- und Malkowski- Sentenzen; und selbst die berüchtigte Christiane Allert-Wybranitz fand ich nicht durchgehend (muß ich mich schämen?) abscheulich - meine Leseerlebnisse, sage ich, haben, heterogen wie sie sind, es mir nicht gestattet, auch nur einen einzigen Satz zu destillieren, den ich dauerhaft als Anforderung an Lyrik im allgemeinen hätte brauchen können. Von Zeit zu Zeit gab es zwar solche Sätze. Doch kaum hatte ich sie einmal in diesem Sinne angewandt, erwiesen sie sich auch schon als untauglich, weil mich unerwartet das Gegenteil dessen erfreut hat, was sie forderten. Und das ist oft so gegangen, so lange, bis ich es aufgegeben habe, solche Sätze zu formulieren. Stehe ich, der ich die Czernin-Sonette beurteilen will, nun ohne Rüstzeug da? Nicht ganz. Ich kann ja durchaus sagen: Die Texte haben mir nicht gefallen. Und ich vermag auch näherungsweise anzugeben, warum dem so ist. Nur wird meine Erklärung weder systematisch ausfallen (sondern anekdotisch) noch wird sie sich verallgemeinern lassen (weil ich sie nicht verallgemeinern will - aus o. a. Gründen). Alsdann frei von der Leber weg:
Nee, lieber Czernin, so heiß mir Dein Essay ins Herz gegangen ist, so kalt haben mich Deine Sonette gelassen, diese aseptischen Ausgeburten eines klügelnden Großhirns. Aber vermutlich haben meine aburteilenden Sätze mit der Wirklichkeit Deiner Gedichte soviel zu tun wie Dein Essay-Gedonner mit dem Werk Durs Grünbeins. So long, Tschau, Tschüß und Servus, wie der Friese gern sagt - und nix für ungut. Fritz Gimpl
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