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Magazin für Verrisse aller Art     Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   



AUSGABE 1



ZUM STAND EINIGER DINGE II

Ein Sermon von Sal Baader


Soviel zu Print. Nun mal elektronisch. Anläßlich eines TV-Prominenten-Interviews - und es werden ja immer nur Prominente interviewt, das heißt, muß man genauer sagen, wer interviewt wird, ist ob eo ipso prominent, Instant-Berühmtheit, die herausragt aus der Heerschar jener bedauernswerten Tröpfe, deren Erlebnisse und Meinungen nicht und niemanden interessieren und zwar in keinem denkbaren Zusammenhang - man muß sich fragen: Woher kommt diese seuchenartig grassierende Versessenheit, vor gezückten Journalistenstiften, hingestreckten Mikrophonen, surrenden Kameras und völlig desinteressierten, wie schlecht gewartete Frageautomaten daherquatschenden sogenannten Moderatoren die belanglosesten, dämlichsten, unerträglichsten Bekenntnisse in rasenden Sermonen vom Stapel zu lassen? Woher diese Sucht? Man lechzt wohl nach bißchen Wichtigkeit und Ruhm, und sei es nur für warhol'sche fünfzehn Minuten? Öffentliches Meinendürfen als Wachstumsschub für Kümmer-Egos? Nun gut, so mag es sich verhalten. Das bereitet mir weiter keine Probleme. Allseits geschätzt sein zu wollen, ist ein menschliches Streben, mir selbst nicht vollkommen fremd, räusper. Wie kommt es dann aber, daß ich kaum Sympathien für die rasenden Bekenner hege (wenn sie mir doch so ähnlich sind), sondern mich ihrer in den meisten Fällen schäme? Weil sie so schrecklich Intimes preisgeben, daß es mir die Schamesröte ins Gesicht triebe? Wahrlich nicht. Andersrum wird ein Schuh draus: Diese Leute haben gar nichts preiszugeben, nichts Intimes, Ureigenes, Unverwechselbares jedenfalls, sondern nur eine Standardauswahl vorgekochter, präsentiertellerfertiger Sonderangebote aus dem öffentlichen Ansichtensupermarkt - die sie für ersteres halten. Und das eben schämt mich für sie: Ihr Dasein als Meinungs-Recycler in all seiner bevormundeten, hirngebügelten Armseligkeit entlarvt zu sehen. Und mir will scheinen, daß diese Sorte von Veranstaltungen (Talkshows u. dgl.) solche Stupidität geradezu erzwingt, auch vom klügsten Gesprächsteilnehmer: Fragen und Antworten sind nur in den kleinsten, 'allgemeinverständlichsten' Häppchen zugelassen; mehrere Themenbereiche müssen in der kürzesten Zeit 'abgedeckt' werden; die sogenannten Talkmaster prüfen mit mehr oder weniger Geschick praktisch nur noch ab, in welchem Maße ein Gesprächsteilnehmer in der Lage ist, die derzeit gültigen Standardmeinungen rhetorisch einwandfrei herunterzubeten, was im Erfolgsfall mit dem Applaus der Publikumsherde belohnt wird (die ihre eigene beschränkte Weltsicht nur zu gern vom Promi-Mund bestätigt sieht). Selbst die Klügsten, sage ich, geraten in diese Teufelsmühle. Die meisten Teilnehmer freilich sind nicht besonders klug, und das fehlerlose Herunterleiern des Gängigen ist schon die höchste Geistesleistung, die man von ihnen erwarten kann. Bei Schauspielern jeder Couleur trifft dies mit Vorliebe zu, nebenbei. Fazit: Der kluge Mann scheut die Talk Show wie der Teufel das Weihwasser. Besucht er dennoch eine, so ist er keiner mehr.

Nun aber Themenwechsel, damit der Leser Abwechslung hat. Jeder Mensch radelt, sofern er in München wohnt, dann und wann ein Stück die Isar hinauf oder hinunter. Gut ausgebaute Fahrwege machen das Gestrampel zum hohen Freizeitvergnügen. In neuerer Zeit allerdings werden Durchschnittsradler wie ich (kenntlich an Alltagskleidung und Dreigang-Getriebe) immer öfter von quasistellaren Objekten überholt (und ruchlos geschnitten - das trübt ein wenig die Freude), deren untere Hälfte zwar zweirädrig ist, doch kaum noch Ähnlichkeit aufweist mit dem, was wir von jeher unter 'Fahrrad' verstehen. Die obere Hälfte ist ein vor dem Wind geducktes, muskulöses (zuweilen auch schmerbäuchiges) Flitzebogenkrumm in buntgemusterter Dreiwetterkleidung, das unter der Sturzhelmhaube eine wilde Tempo-Entschlossenheit in die Welt grimassiert.
Nun kann man gegen körperliche Ertüchtigung in Form des Radfahrens eigentlich nichts einwenden, gerade unter Umweltaspekten. Es werden nicht nur keine Abgase ausgestoßen, sondern, im Gegenteil, jede Menge anderswo entstandener Schadstoffe von der Lunge des Radlers aus der allgemeinen Atemluft herausgefiltert - was letztlich auch mir zugute kommt. Dieser Vorteil überwiegt das bißchen Geschnittenwerden bei weitem. Nur, frage ich mich, muß unbedingt in dieser Form geradelt werden? Ich meine hier nicht das Tempo oder die Rücksichtslosigkeit (obgleich beides Ausfluß des Nachfolgenden ist). Ich meine dieses Ausstaffiertsein mit allen Schikanen (auch wenn man nur ein bißl über den Zoo hinaus ins Grüne fährt), diese rasende Outfit-Besessenheit, dieses lemminghafte Bestreben, in der Produktwelt 'Fahrrad' unterzugehen. Wie kann ein erwachsener Mensch nur derartig erpicht darauf sein, die Leih-Existenz eines 'Mountainbikers' zu führen, die ihm ein Dritter, die Fahrradindustrie, mit Umsatzabsicht zur Verfügung stellt? Der eine bietet etwas an, der andere greift begeistert zu - ist das nicht das Blamabelste überhaupt (für den Zugreifer), die Bankrotterklärung an jede Eigenständigkeit? Wird hier nicht offiziell eingestanden: Ich brauche einen, der mir sagt, was ich tun soll, der mir die Last abnimmt, selbstbestimmt zu leben, dem ich mich unterwerfen kann in allen (Ausstattungs-) Ansprüchen, die er an mich stellt, soweit mein Geldbeutel bzw. meine Kreditwürdigkeit reichen? Wie kann ein erwachsener Mensch freiwillig, frage ich, sich einer Herde von Tausenden beigesellen, die auf einen Schlag alle das Gleiche tun: einer Mode nachrennen? Da muß doch ein Schamgefühl davorsein, das diesen Gleichschritt verhindert. Lieber tut man doch sonstwas, als sich solch eine konfektionierte Individualität zuzulegen, als eine Freiheit zu nutzen, die in der Wahl zwischen Elastomeren- und Ölkartuschenstahlfedergabel besteht. Oder irre ich mich? Und muß man nicht fürchten, daß, wenn einer sich dem Diktat einer Mode in dieser Art beugt, ja, mit Freuden unterwirft, daß er auch anfällig ist für Sinnlieferanten ganz anderer Art, und daß er eines Tages womöglich wieder inmitten grölender Horden auf irgendeine Feldherrnhalle zumarschiert?

Die Nummer 46 des Jugendmagazins 'JETZT' der Süddeutschen Zeitung bildet auf dem Cover eine Fünfzehnjährige ab, die ein Antlitz zum Niederknien besitzt. Ich will mir hier bei der Beschreibung keinen abbrechen. Nur soviel vielleicht: Um das dunkel glimmende Augenpaar meint man den Anflug eines asiatischen Einschlags zu erkennen. Und es wohnt eine Asymmetrie in den blutjungen Zügen, die deren Schönheit weit über das lolitahaft Schnucklige hinaushebt. Man wird nicht geil beim Blick auf das Photo, sondern hört die Englein im Himmel singen, möchte das Leben hingeben (mindestens das) für ein einziges Lächeln dieses Persönchens. Von solchem Kaliber ist das Jung-Frauengesicht.
Leider widmet das Magazin dem Mädel nur wenige dürre Zeilen. Man erfährt ihren Namen, daß sie in Pforzheim zur Schule geht und daß sie bereits bei einer Münchner Photomodellagentur unter Vertrag steht. Geknipst zu werden bringt ihr 600 Mark pro Tag ein.
Natürlich, sage ich mir, will dieses Wundergeschöpf 'Supermodel' werden. Was denn auch sonst? Es kann ja heutzutage gar nicht anders sein. Aber ich will nicht, daß Du eine Modetussi wirst! Nein, sage ich mir, ich will es nicht. Es soll nicht der Mädchenliebreiz Deines Angesichts unter ewigem Blitzlichtgewitter sich allmählich verwandeln in die ausdruckslose Perfektheit eines make-up-gestylten Markenartikels. Du sollst mit Deinem Gesicht kein Geld verdienen, damit du es weiter bist, die aus diesen Funkelaugen schaut und nicht die Eignerin eines Vermögensgegenstandes, den photogen zu erhalten, geldbringend, die lächerliche Hauptsorge ihres Lebens ist. Ich will nicht, daß irgendein eitler Geldsack oder Promi-Idiot dich abstaubt, dem Du nicht glühend begehrte Geliebte, sondern Vorzeigegegenstand, Trophäe bist, wenn's hochkommt. Und mir kommt es hoch bei diesem Gedanken. Das Übelste aber wäre, wenn Du gegen Ende Deiner 'Karriere' Interviews gäbest nach Art dieser abgetakelten Fregatten, die sich bitter über die 'Menschenverachtung' eines Business beschweren, für das der Wert einer Frau proportional zur Zahl ihrer altersbedingten Hautfältchen abnimmt. Dann würde ich lachen, schallend, würde mich umdrehen und Dich stehen lassen im Unglück, das den Rest Deines Lebens andauern wird.
Tu's also nicht, Süßeste. Sei gescheit. Werde kein 'Supermodel', wenn es sich eben vermeiden läßt.






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