AUSGABE 1
ZUM STAND EINIGER DINGE II
Ein Sermon von Sal Baader
Soviel zu Print. Nun mal
elektronisch. Anläßlich eines TV-Prominenten-Interviews - und es werden ja immer
nur Prominente interviewt, das heißt, muß man genauer sagen, wer interviewt
wird, ist ob eo ipso prominent, Instant-Berühmtheit, die herausragt aus der
Heerschar jener bedauernswerten Tröpfe, deren Erlebnisse und Meinungen nicht und
niemanden interessieren und zwar in keinem denkbaren Zusammenhang - man muß sich
fragen: Woher kommt diese seuchenartig grassierende Versessenheit, vor gezückten
Journalistenstiften, hingestreckten Mikrophonen, surrenden Kameras und völlig
desinteressierten, wie schlecht gewartete Frageautomaten daherquatschenden
sogenannten Moderatoren die belanglosesten, dämlichsten, unerträglichsten
Bekenntnisse in rasenden Sermonen vom Stapel zu lassen? Woher diese Sucht? Man
lechzt wohl nach bißchen Wichtigkeit und Ruhm, und sei es nur für warhol'sche
fünfzehn Minuten? Öffentliches Meinendürfen als Wachstumsschub für Kümmer-Egos?
Nun gut, so mag es sich verhalten. Das bereitet mir weiter keine Probleme.
Allseits geschätzt sein zu wollen, ist ein menschliches Streben, mir selbst
nicht vollkommen fremd, räusper. Wie kommt es dann aber, daß ich kaum Sympathien
für die rasenden Bekenner hege (wenn sie mir doch so ähnlich sind), sondern mich
ihrer in den meisten Fällen schäme? Weil sie so schrecklich Intimes preisgeben,
daß es mir die Schamesröte ins Gesicht triebe? Wahrlich nicht. Andersrum wird
ein Schuh draus: Diese Leute haben gar nichts preiszugeben, nichts Intimes,
Ureigenes, Unverwechselbares jedenfalls, sondern nur eine Standardauswahl
vorgekochter, präsentiertellerfertiger Sonderangebote aus dem öffentlichen
Ansichtensupermarkt - die sie für ersteres halten. Und das eben schämt mich für
sie: Ihr Dasein als Meinungs-Recycler in all seiner bevormundeten,
hirngebügelten Armseligkeit entlarvt zu sehen. Und mir will scheinen, daß diese
Sorte von Veranstaltungen (Talkshows u. dgl.) solche Stupidität geradezu
erzwingt, auch vom klügsten Gesprächsteilnehmer: Fragen und Antworten sind nur
in den kleinsten, 'allgemeinverständlichsten' Häppchen zugelassen; mehrere
Themenbereiche müssen in der kürzesten Zeit 'abgedeckt' werden; die sogenannten
Talkmaster prüfen mit mehr oder weniger Geschick praktisch nur noch ab, in
welchem Maße ein Gesprächsteilnehmer in der Lage ist, die derzeit gültigen
Standardmeinungen rhetorisch einwandfrei herunterzubeten, was im Erfolgsfall mit
dem Applaus der Publikumsherde belohnt wird (die ihre eigene beschränkte
Weltsicht nur zu gern vom Promi-Mund bestätigt sieht). Selbst die Klügsten, sage
ich, geraten in diese Teufelsmühle. Die meisten Teilnehmer freilich sind nicht
besonders klug, und das fehlerlose Herunterleiern des Gängigen ist schon die
höchste Geistesleistung, die man von ihnen erwarten kann. Bei Schauspielern
jeder Couleur trifft dies mit Vorliebe zu, nebenbei. Fazit: Der kluge Mann
scheut die Talk Show wie der Teufel das Weihwasser. Besucht er dennoch eine, so
ist er keiner mehr.
Nun aber Themenwechsel, damit der Leser Abwechslung
hat. Jeder Mensch radelt, sofern er in München wohnt, dann und wann ein Stück
die Isar hinauf oder hinunter. Gut ausgebaute Fahrwege machen das Gestrampel zum
hohen Freizeitvergnügen. In neuerer Zeit allerdings werden Durchschnittsradler
wie ich (kenntlich an Alltagskleidung und Dreigang-Getriebe) immer öfter von
quasistellaren Objekten überholt (und ruchlos geschnitten - das trübt ein wenig
die Freude), deren untere Hälfte zwar zweirädrig ist, doch kaum noch Ähnlichkeit
aufweist mit dem, was wir von jeher unter 'Fahrrad' verstehen. Die obere Hälfte
ist ein vor dem Wind geducktes, muskulöses (zuweilen auch schmerbäuchiges)
Flitzebogenkrumm in buntgemusterter Dreiwetterkleidung, das unter der
Sturzhelmhaube eine wilde Tempo-Entschlossenheit in die Welt grimassiert.
Nun kann man gegen körperliche Ertüchtigung in Form des Radfahrens
eigentlich nichts einwenden, gerade unter Umweltaspekten. Es werden nicht nur
keine Abgase ausgestoßen, sondern, im Gegenteil, jede Menge anderswo
entstandener Schadstoffe von der Lunge des Radlers aus der allgemeinen Atemluft
herausgefiltert - was letztlich auch mir zugute kommt. Dieser Vorteil überwiegt
das bißchen Geschnittenwerden bei weitem. Nur, frage ich mich, muß unbedingt in
dieser Form geradelt werden? Ich meine hier nicht das Tempo oder die
Rücksichtslosigkeit (obgleich beides Ausfluß des Nachfolgenden ist). Ich meine
dieses Ausstaffiertsein mit allen Schikanen (auch wenn man nur ein bißl über den
Zoo hinaus ins Grüne fährt), diese rasende Outfit-Besessenheit, dieses
lemminghafte Bestreben, in der Produktwelt 'Fahrrad' unterzugehen. Wie kann ein
erwachsener Mensch nur derartig erpicht darauf sein, die Leih-Existenz eines
'Mountainbikers' zu führen, die ihm ein Dritter, die Fahrradindustrie, mit
Umsatzabsicht zur Verfügung stellt? Der eine bietet etwas an, der andere greift
begeistert zu - ist das nicht das Blamabelste überhaupt (für den Zugreifer), die
Bankrotterklärung an jede Eigenständigkeit? Wird hier nicht offiziell
eingestanden: Ich brauche einen, der mir sagt, was ich tun soll, der mir die
Last abnimmt, selbstbestimmt zu leben, dem ich mich unterwerfen kann in allen
(Ausstattungs-) Ansprüchen, die er an mich stellt, soweit mein Geldbeutel bzw.
meine Kreditwürdigkeit reichen? Wie kann ein erwachsener Mensch freiwillig,
frage ich, sich einer Herde von Tausenden beigesellen, die auf einen Schlag alle
das Gleiche tun: einer Mode nachrennen? Da muß doch ein Schamgefühl davorsein,
das diesen Gleichschritt verhindert. Lieber tut man doch sonstwas, als sich
solch eine konfektionierte Individualität zuzulegen, als eine Freiheit zu
nutzen, die in der Wahl zwischen Elastomeren- und Ölkartuschenstahlfedergabel
besteht. Oder irre ich mich? Und muß man nicht fürchten, daß, wenn einer sich
dem Diktat einer Mode in dieser Art beugt, ja, mit Freuden unterwirft, daß er
auch anfällig ist für Sinnlieferanten ganz anderer Art, und daß er eines Tages
womöglich wieder inmitten grölender Horden auf irgendeine Feldherrnhalle
zumarschiert?
Die Nummer 46 des Jugendmagazins 'JETZT' der Süddeutschen
Zeitung bildet auf dem Cover eine Fünfzehnjährige ab, die ein Antlitz zum
Niederknien besitzt. Ich will mir hier bei der Beschreibung keinen abbrechen.
Nur soviel vielleicht: Um das dunkel glimmende Augenpaar meint man den Anflug
eines asiatischen Einschlags zu erkennen. Und es wohnt eine Asymmetrie in den
blutjungen Zügen, die deren Schönheit weit über das lolitahaft Schnucklige
hinaushebt. Man wird nicht geil beim Blick auf das Photo, sondern hört die
Englein im Himmel singen, möchte das Leben hingeben (mindestens das) für ein
einziges Lächeln dieses Persönchens. Von solchem Kaliber ist das
Jung-Frauengesicht. Leider widmet das Magazin dem Mädel nur wenige dürre
Zeilen. Man erfährt ihren Namen, daß sie in Pforzheim zur Schule geht und daß
sie bereits bei einer Münchner Photomodellagentur unter Vertrag steht. Geknipst
zu werden bringt ihr 600 Mark pro Tag ein. Natürlich, sage ich mir, will
dieses Wundergeschöpf 'Supermodel' werden. Was denn auch sonst? Es kann ja
heutzutage gar nicht anders sein. Aber ich will nicht, daß Du eine Modetussi
wirst! Nein, sage ich mir, ich will es nicht. Es soll nicht der Mädchenliebreiz
Deines Angesichts unter ewigem Blitzlichtgewitter sich allmählich verwandeln in
die ausdruckslose Perfektheit eines make-up-gestylten Markenartikels. Du sollst
mit Deinem Gesicht kein Geld verdienen, damit du es weiter bist, die aus diesen
Funkelaugen schaut und nicht die Eignerin eines Vermögensgegenstandes, den
photogen zu erhalten, geldbringend, die lächerliche Hauptsorge ihres Lebens ist.
Ich will nicht, daß irgendein eitler Geldsack oder Promi-Idiot dich abstaubt,
dem Du nicht glühend begehrte Geliebte, sondern Vorzeigegegenstand, Trophäe
bist, wenn's hochkommt. Und mir kommt es hoch bei diesem Gedanken. Das Übelste
aber wäre, wenn Du gegen Ende Deiner 'Karriere' Interviews gäbest nach Art
dieser abgetakelten Fregatten, die sich bitter über die 'Menschenverachtung'
eines Business beschweren, für das der Wert einer Frau proportional zur Zahl
ihrer altersbedingten Hautfältchen abnimmt. Dann würde ich lachen, schallend,
würde mich umdrehen und Dich stehen lassen im Unglück, das den Rest Deines
Lebens andauern wird. Tu's also nicht, Süßeste. Sei gescheit. Werde kein
'Supermodel', wenn es sich eben vermeiden läßt.
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