AUSGABE 1
Schreiberhack IV
Diedrich Diederichsen
Fangen wir mal so an: Hätten wir uns
die Leküre seiner 'Politische Korrekturen' geschenkt, wären wir auch nicht
dümmer als wir es jetzt, nach dem Studium des Büchleins, sind. Das Thema an sich
ist ja nicht uninteressant: Wie kommt 'PC', die ominöse political correctness,
nach Germany, und was richtet sie in diesem Lande an? Frappanterweise schafft es
Diederichsen in kürzester Frist (zehn Seiten Lektüre ungefähr genügen ihm),
einem Neugierigen jede Lust auf die Antwort auszutreiben und stattdessen den
dringlichen Wunsch zu erzeugen, der Text möge so bald als möglich ein Ende
haben. Das Kunststück gelingt mit einer Perfektion und Nachhaltigkeit, daß man
unwillkürlich ein teuflisches Komplott vermutet: Irgendeine mächtige Instanz (im
Zweifel immer die böse Regierung) heuert den wortgewaltigen und einflußreichen
Pop-Kolumnisten D. D. an und erteilt ihm, gegen nicht zu knappes Honorar, den
top-geheimen Auftrag, im Mäntelchen kritischer Analyse dieses mißliebige Thema
durch eine nur von ihm beherrschte rhetorische Kunstfertigkeit gleichsam in Luft
aufzulösen und aus der Welt zu schaffen. Aber Spaß beiseite: Wie gelingt es
Diederichsen, jegliches Interesse an dem brisanten Sujet in Nullkommanichts zu
ersticken? Ist es der imperiale Gestus des Allwissenden, welcher Ahnungslose wie
dich und mich gönnerhaft an stratosphärischen Einsichten teilhaben läßt, der uns
abstößt? Ist es die schiere Informationsmasse, die unsere Fassungskraft im Nu
übersteigt, dieses Klein-Klein von Detailnachrichten, das - außer der
Unübersichtlichkeit - nur der Eitelkeit des Verfassers dient, der sich damit als
profunder Kenner der Materie ausweisen will? Nein, das eigentliche Übel ist der
Jargon, den der Autor 'am Leibe hat'. Selbiger belehrt uns auf der Stelle
darüber, daß es nicht lohnt, auch nur einer Zeile der Abhandlung Aufmerksamkeit
zu schenken. Ich zitiere, pars pro toto, einen einzigen Halbsatz (S.59): "...und
die bloße Tatsache, daß (Dinesh D'Souza) und ihre Familie verfolgt worden ist,
ändert nichts daran, daß Teile ihres Textes durchaus als entpolitisierende
Betroffenheitsliteratur gelesen werden können, die..." Der Satz ist gut. Der
Satz ist sehr gut! Auf den ersten Blick ist man begeistert. Welche
Bedeutungswucht sich superelegant in einer Satzschlinge unterbringen läßt:
'entpolitisierende Betroffenheitsliteratur'. Gigantisch! Eine Pretiose aus dem
Schatzkästlein der allerunbestechlichsten Feuilleton-Cracks und Kulturkritiker.
Das Peinliche ist nur: Kein Mensch weiß, was das heißen soll. Was bedeutet
'entpolitisieren'? Was ist gemeint mit 'Betroffenheitsliteratur'? Fragen wir
hundert Leute danach, kriegen wir zweihundert verschiedene Antworten drauf. Und
hier kommt in Sicht, worauf ich hinaus will: Ich verlange von einem Essayisten,
daß er denkt, bevor er schreibt. Und zum Denken gehört es, sich und den Lesenden
Rechenschaft zu geben über die verwendeten Begriffe (vulgo: zu definieren),
wenigstens an Schlüsselstellen. Das sind doch Basics. Diederichsen aber zieht es
vor, auf einen dumpf-fühlhaften Konformismus bei seinen Schäfchen zu setzen, der
schon irgendwas hineinliest in das, was er sich irgendwie an dieser Stelle wohl
gedacht haben mag. Solches Gottvertrauen in Ehren, aber es ändert nichts an dem
mißlichen Umstand, daß die zitierte Passage eine semantische Nullstelle ist,
bloße Sprechblase, die nur den Schein allgemeinverständlicher Bedeutung besitzt.
Und von preziösen Sprechblasen solchen Kalibers wimmelt der Text nur so. Sie
vergällen einem jeden Lesespaß (das verstehenwollende Hirn stößt dauernd ins
Leere), und sie machen Diedrich Diederichsen zum Exponenten einer Flachsinns-
und Sabbelkultur, der es auf 'relevante' und begreifbare Inhalte nicht ankommt,
sondern nur auf die solchen Inhalten zugehörige, weltbewegende Pose.
Sal Baader
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