AUSGABE 1
Schreiberhack II
Programm des Berlin Verlags
Zuweilen findet man sich
unversehens beim Durchblättern eines Verlagsprospektes wieder. Man ist ja immer
interessiert an der Literatur und daran, in welcher Form sie von den
Druckanstalten dargeboten wird. Zufällig gerieten wir neulich an den Katalog
'Frühjahr 1996' des löblichen Berlin Verlags. Auf den ersten Blick war zu
erkennen: tadellos aufgemacht, das Ding, recht schön übersichtlich, angenehme
Haptik, auch die Autorenphotos ausgesprochen aufschlußreich. Man studiert ja
gerne die Gesichter der Erfolgreichen. Was fehlt denen, das ich habe und mir
ähnlichen Erfolg verbaut? Meist wird man schmerzlich fündig dabei. Nun gut, wir
begannen zu lesen. Und da war der Spaß sehr rasch vorbei. Zur Erhellung dieses
Umstands mögen folgende Zitate dienen. Von David Gutersons Buch 'Schnee, der
auf Zedern fällt' heißt es: "Ein Roman mit brillanter Oberfläche und
faszinierender Tiefe. Ein poetischer und zugleich enorm spannender Roman."
Bitte, das läßt man sich gefallen. Emmanuel Carrères neuester Titel wird
folgendermaßen vorgestellt: "Ein subtiler Roman, erschreckend, großartig und
verzweifelt, der einen in fiebrigem Zustand entläßt. Die klare kühle Prosa, die
aus der Anspielung, vom Unausgesprochenen lebt, ist von suggestiver Kraft." Na
ja, denkt man sich, zwei Leuchten von solchem Kaliber in einem Verlag. Hut ab
vor dem Verleger. Dann über Fleur Jaeggy: "Mit seiner hypnotischen Intensität
ein fesselndes Buch, eines, von dem man verfolgt wird: machtvoll, kaum mehr
abzuschütteln. Die Intensität des Textes, seine Präzision sind
schwindelerregend." Weiter: "Batya Gur's Stil ist atemberaubend, ja geradezu
hinreißend. Das Buch ist getragen von tiefer Emotionalität und zugleich ein
Triumph präziser realistischer Erzählkunst." Muß ich noch mehr zitieren? Alan
Isler: "Ein elegantes, bewegendes und wunderbar komponiertes Buch, ein
außergewöhnliches und beneidenswert gutes Erstlingswerk. Ein hinreißend
originelles Buch." Solvej Balle: "(Sie) besticht durch die kühne Verquickung von
beinahe(!) wissenschaftlicher Präzision und Visionen unterschwelliger
Bizarrheit." Julia Blackburn: "Herrlich exzentrisch und geradezu fesselnd (...)
mit großer Sensibilität, Verve und Geist zu Papier gebracht." Und schließlich
Neal Ascherson: "Dies ist ein überragendes Buch, wunderschön geschrieben,
evokativ, kenntnisreich und von tiefer Subtilität." Fini. Was möchten wir
dem Leser, der Leserin nun sagen mit dem Zitatensalat? Liegt das nicht auf der
Hand? Also bitte, für diejenigen, die's anders gar nicht begreifen: Eine
Ansammlung von Geistestitanen, die solche Hymnen verdiente, kann es nicht geben,
nicht in einem einzelnen Verlag. Das sagt einem der gesunde Menschenverstand.
Also muß hier etwas faul sein im Staate Dänemark. Die Damen und Herren Autoren
werden, folgert man unvermeidlich, dieses Viertongehupe bitter nötig haben.
Diese Leute, schließt man messerscharf, sind keine erlesene Könnerschar, sondern
nur die Gurkentruppe vom Berlin Verlag. Soviel zur Akquisitionswirkung
gutgemeinter Verlagsprospekte.
Isolde Nöle-Nörgelbein
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