AUSGABE 1
ZUM STAND EINIGER DINGE I
Ein Sermon von Sal Baader
Viele Dinge liegen im argen in diesem Lande. Von manchen weiß man es, von
anderen nicht. Sal Baader nimmt sich der verkannten Defekte an. Ihm ist es dabei
um den Dissens aller Demokraten zu tun. Für dieses ebenso heikle wie schwierige
Unterfangen qualifizieren den Autor unter anderem: Eine sechsmonatige
Korrespondenten-Tätikeit für die Far Eastern Times auf den Komoren; ein
dreitägiger Forschungs-Aufenthalt unter Aborigines in Arnhem Land, Northern
Territory, Australien; der Einsatz als Sub-Rechercheur im Dienste Tom Wolfes für
dessen 'Fegefeuer der Eitelkeiten'.
Wenn wir erfahren, daß
ein sogenannter Prominenter Orgien in großem Stil gefeiert hat oder gar immer
noch feiert ('Alkohol und Frauen im Spiel'), dann versetzt uns das üblicherweise
einen Stich, der das Gift des Geschlechtsneids in unsere Adern träufelt (von
Schnapsneid habe ich bisher noch nichts vernommen). Wir fühlen, wieder einmal,
daß das Leben im ICE-Tempo an uns vorüberdonnert, um anderswo zu toben. Und für
eine Weile sinken wir untröstlich in uns zusammen, hassen uns selbst und unser
lebenslanges Versagertum. Üblicherweise, sage ich, reagieren wir so auf die
obige Art von Nachrichten. Doch neulich ist es, unerwartet, ganz anders
gekommen. Ich las in einem Regenbogenblatt von den 'wüsten, über Jahre und feste
Partnerschaften hinweg veranstalteten Exzessen' eines bekannten Schlagerstars.
Bei dem Wüstling hat es sich nicht um Pop-Titanen wie John Bon Jovi, Prince oder
Mick Jagger gehandelt. Nein, es war die Rede von - Roland Kaiser, dem
Schnulzensänger. Nun weiß ich nicht, wie dieser Name auf den geehrten Leser
bzw. die geschätzte Leserin wirken mag. Auf mich jedenfalls wirkte er in seiner
biederdeutschen Klanglichkeit ungemein besänftigend, erleichternd, entspannend,
zumal ich den genannten Wüstling samt diverser Gespielinnen in einer Reihe von
Photos abgebildet sah: Das angejahrte Schnulligesicht, dessen zunehmende
Teigigkeit von den schicken Bartstoppeln nicht kaschiert, sondern hervorgekehrt
wurde und die von Bild zu Bild größere Enttäuschung in den Lebemann-Zügen,
Enttäuschung über Gefährtinnen, die in immer augenfälligerer, von dem Mann
fälschlicherweise für Liebreiz und Selbstbewußtsein gehaltener Tussihaftigkeit
fraglos das schuldig geblieben waren, was seine vom Übermaß des Sangeserfolges
zerrüttete Seele einzig würde vielleicht vor dem Sturz ins Bodenlose gerettet
haben können: eine deftige, unkapriziöse Bodenständigkeit gepaart mit
Richtlinienkompetenz nach Muttiart. Von Schmachtblondchen, die mit Mondesblick
an ihrem Schmalzidol hängen, kann man sowas natürlich nicht bekommen. Also
stürzt der arme Mann sich verzweifelt in immer neue Versuchsliebschaften, um
immer enttäuschter und besoffener daraus zu flüchten. Das nennt die Presse dann
'Orgien'. Nein, dieses Hundeelend muß mich nun wirklich nicht aufregen. Der
Yellow Press sei Dank.
Andere Publikumsorgane stehen weit weniger hoch
im Kurs bei mir. Nehmen wir zum Beispiel die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG her, das
allseits gepriesene Münchner Weltblatt. Es lebt, wie alle anderen Blätter auch,
von den Sensationen, Katastrophen und Monstrositäten dieser Welt. Doch scheint
man diese Tatsache in München nicht wahrhaben zu wollen. Wie anders wäre es zu
erklären, daß die Blattfürsten ein armes Literaturzeitschriftlein namens TORSO
wegen des Abdrucks einiger kümmerlicher, gleichwohl sensationeller Gedichte des
mutmaßlichen Kriegsverbrechers Karadzic von einem gedungenen Lohnschreiber nach
Strich und Faden durchprügeln ließen? Im Tremolo sittlicher Höchstentrüstung kam
die Tirade daher. Und ich fragte mich verwundert, ob denn die anmaßenden
Burschen tatsächlich den Balken im eigenen Auge nicht sähen. Das Mäntelchen der
'Seriosität', das sie so eifrig um ihre Berichterstattung schlagen, scheint
ihnen irgendwie die Sicht auf das Wesen des eigenen Tuns (siehe oben) zu
verhängen. Aber egal, sagte ich mir, Bigotterie ist es nicht, was dich ärgert.
Dich ärgert vielmehr, daß du nicht informiert wirst, wo du brennend interessiert
bist. Kaum hatte ich nämlich aufgeschnappt, daß ein öffentlich als Rohling und
Scheusal gebrandmarkter Mensch wie der genannte Serbenführer etwas kulturell so
Verfeinertes treibe wie Gedichte zu verfassen, so wollte ich diese Ergüsse auch
lesen. Warum? Und wenn nur blanke Sensationslust der Grund für meine Neugier
gewesen wäre - wer dürfte mich tadeln ob dieses Motivs? Nun, die SÜDDEUTSCHE tut
es unausgesprochen, ob sie darf oder nicht. Sie ignoriert (entgegen ihrer
gesetzlich verankerten Informationspflicht) mein dezidiertes Leserinteresse aus
Gründen elender 'political correctness'. Im Klartext heißt das: Sie will ihre
Leser nicht erschrecken (zwengs Auflagenerhalts). Morden und Dichten, das weiß
doch jeder, können nicht zusammengehen. Wo kämen wir da hin, wenn jedes
hergelaufene Weltblatt das diesbezüglich festgefügte Weltbild seiner Leser so
mir nichts, dir nichts erschüttern dürfte? Da würden nur zu bald auch andere
Dinge in ungehörige Verbindung gebracht: Ministerpräsidentschaft etwa und
Armleuchterei oder Medienerfolg und Beschränktheit oder Bravbürgertum und
Holocaust. Doch da ist, dem Himmel sei Dank, die strenge Tante SZ vor! Rasch
wird ein Leitartikler zum Sondereinsatz befohlen, der die Leserhirne
stabilisierend mit soforthärtendem Meinungszement ausgießt. Und gleich ist alles
sonnenklar: Schauderhaft dieser Karadzic, noch schauderhafter dessen Ergüsse, am
schauderhaftesten aber das Schmierblatt, das dieselben abdruckt, um ein Gran
öffentlicher Aufmerksamkeit zu ergattern. Nein, sage ich, so nicht, liebe
SÜDDEUTSCHE. Die Absichten des TORSO sind zweitrangig. Entscheidend allein ist:
Ich möchte wissen - und dort werde ich bedient. Das zählt. Sonst nichts.
Fingerfuchtelndes Pharisäertum hat zwar einen gewissen Unterhaltungswert, aber
es hilft mir nicht weiter. Ich denke und urteile nämlich gern selbst, auch über
Karadzic und Konsorten. Und dazu brauche ich Anschauungsmaterial, kein
moralinsaures Lamento. Und das Vergnügen, selber zu denken, möchte ich mir auch
vorerst von niemandem nehmen lassen. Falls ich mir's anders überlegen sollte
eines Tages, werde ich auf der Stelle SZ-Abonnent. Großes Indianer-Ehrenwort.
Einstweilen aber sage ich: Danke, lieber TORSO, weiter so!
Da wir nun
einmal bei den Printmedien sind, muß auch die Hochglanzabteilung ihr Fett
wegbekommen. Nehmen wir stellvertretend für andere den 'Cosmopolitan' her, gewiß
eine der übelsten jener Gazetten, die mit Hollywood- und Modelgesichtern um
Käuferschaft buhlen. Das Titelblatt pries eine von der Zeitschrift
protokollierte und abfotographierte Begegnung der Filmstarin N. Kinski und des
Theatermachers L. Haußmann an. Das erregte mein Interesse und ich tätigte
spontan den Kauf. Doch die Enttäuschung daheim war nicht gering. War mir der
genannte Theatermensch tags zuvor noch im SZ-Magazin durch rotzige, doch
durchaus dem gesunden Menschenverstand entspringende Sprüche gegen den
schauerlichen Bombast des Kulturbetriebs und seine Witzfiguren von Machern und
Kritikern aufgefallen, angenehm aufgefallen, derart, daß ich Lust bekam, einmal
das Bochumer Theater zu besuchen, dem er intendantisch vorsteht - hatte ich also
eine nicht zu niedrige Meinung von dem jungen Mann, so erwies er sich derselben
als vollkommen unwürdig, da er sich im 'cosmo'-moderierten Zwiegespräch offenbar
vom Spar-Esprit der armen Nasti anstecken ließ und ein Zeugs von sich gab, daß
es die Sau graust ("Liebe ist, wenn man sich die Mühe macht, an der Beziehung zu
arbeiten" oder "Alltag hat in der Liebe nichts zu suchen, er zerstört die Liebe,
zum Beispiel beim gemeinsamen Abwaschen"). Das Cover-Photo übrigens schien mir
bezeichnend, sowohl für die abgebildete Frau Kinski als auch für das sogenannte
'Lifestyle-Magazin' selbst: Rauschegoldengeliges Blondhaar, herunterrieselnd
über ein Elfenantlitz, das durchdrungen ist von einer als träumerische
Entrückung getarnten, allesbeherrschenden Einfältigkeit. Wenn es nach mir
ginge - und damit komme ich zum Kernpunkt meiner Erregung - würden solche
Hochglanzmachwerke auf der Stelle aus dem Verkehr gezogen, denn sie sind, mit
Verlaub, Knechtungs- und Verblödungsinstrumente allererster Güte. Hier wird
unter dem publizistischen Banner der 'Emanzipation', des Individualismus, der
freien Selbstentfaltung und -behauptung exakt das Gegenteil präsentiert und
propagiert: das Schickste nämlich, also das Gängigste, Konventionellste,
Angesagteste(!), mithin Fremdbestimmteste. Seite um Seite immer derselbe
abscheuliche Laich, der sich zischelnd und blubbernd um ein wehrloses Leserhirn
legt und ihm die derzeit gültigen Anschauungen, die nur das Flachste und
Primitivste betreffen (Aussehen und Besitz), in die Ganglien ätzt.
Systematisches Verdummen der eigenen Kundschaft nenne ich das, eine Infamie
ohnegleichen, die selbstverständlich verboten gehört.
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