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Magazin für Verrisse aller Art
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POSEZu Botho Strauß: "Das Partikular"An deutschen Dicht- und Denkerbörsen wird Botho Strauß seit Jahren als hehrer Bundesschöngeist hoch gehandelt, und es ist wahr, der Mann läßt sich nicht lumpen. Schwer verdrossen aber unermüdlich läßt er die geschniegelten Preziosen seines Schaffens auf uns herniederprasseln, auf uns und die Welt, in der unter vielem anderen das Schöne fehlt. Gnadenlos wütet er gegen die Diktatur des Wissens und das Kausalitätsprinzip, wettert gegen Denk- und Sprachversottung in den Medien, gegen Fernsehen und den Überbau der technisch-industriellen Zivilisation im allgemeinen. Merkwürdig, irgendwie versteht man gelegentlich solchen Furor gegen das Angerichtete, wie Botho Strauß den Zustand der Welt zu nennen beliebt. Man findet ja selber so manches, was ringsum abgeht, einfach zum Kotzen. Was aber predigt unser Geistesmogul gegen das Elend der Welt? Wie will er das verschandelte Abendland vorm selbstverschuldeten Untergang noch retten? Zum Ursprünglichen müssen wir zurück, bläut er uns ein, zum Urgrund, zu den Elementen, zur Sprache des Mythos und den intuitiven Begriffen. Das letzte Wort hat der Dichter, donnert es ex cathedra von der Kanzel des Literaturpropheten. Im jüngsten Werk DAS PARTIKULAR hat er sein vorläufig letztes Dichterwort angerichtet, dort raunt die Stimme des Ursprünglichen u. a. wie folgt: . . . die Männer hielten die Sprache an sich für eine rein innersprachliche Angelegenheit ohne delphische Spalten und Risse, aus denen betörender Rauch stieg. Dennoch waren sie betört vom Sinn, der aus einer unwahrscheinlichen Öffnung, einer geplatzten Stelle der Sichselbstmeinenden entwich . . . Auch wir sind betört, ja ergriffen, ganz besonders die geplatzte Stelle des Sichselbstmeinenden hats uns angetan. Blaß vor Neid gestehen wir: Verschwiemelter kann man‘s nicht mehr sagen. Doch, was wird hier eigentlich gesagt? Wir wissen es nicht, nichts vermutlich, zumindest nichts im Sinne des technisch-industriellen Überbaus. Die Frage allein beweist nur, wie hoffnungslos unser Bewußtsein von der Dikatur des Wissen bereits verwüstet ist. Verstehen ist hier nun mal nicht angesagt, es geht ums Dichterwort, um intuitives Begreifen, und darum darf uns allein der Tonfall affizieren, der ungeheure Aufwand sprachlicher Mittel, die der Autor gravitätisch in seine Zeilen wuchtet, um das hohe Kitschpotential seiner Retro-Utopie mit Bedeutsamkeit aufzupumpen. Welcher andere lebende Autor deutscher Feder sonst wäre noch zu solchen Spreizungen seiner Sätze fähig, wem sonst stünde derart feingeistig gestelztes Vokabular zu Gebote: . . . man schlendert unterm Äquilux von Dämmerung und Straßenleuchte . . . ah, das Unsichtbare! Schwarz war es also, nicht garnichtsfarben, sondern rebenschwarz. Schwarz war der rauschende Schacht, wie eine Windhose aufwärts wirbelnder Seelen . . . sie waren einander Ungeschickte . . . dabei fiel mir ein durchsichtig-schönes Mädchen auf, das sich angestrengt vor mir, dem Unruheherd, zu bergen suchte. Unter dem Fransendach des blonden Haares blickte es apotropäisch unter sich . . . ein feiner runder Kammerzofenbusenausschnitt mit Kettchen und goldenem Sternzeichen . . . die schöne Hasenfüßin. Weise beschränkt sich Botho Strauß im PARTIKULAR auf miniaturhafte Formen des Erzählens, hatte er doch bereits vor Jahren mit seinen Romanen RUMOR und ganz besonders mit DER JUNGE MANN sein Erzählerunvermögen erschöpfend dargetan. Die kleinen Begebenheiten, die er hier vorstellt, sollen nichts weiter sein als experimentelle Studien zur Nanometrie der Gebärde und des Gehabes, die einzig noch zu nennenswerten Ergebnissen führe, wie der Autor uns belehrt. Das Ergebnis ist eine überwältigende Leblosigkeit der Texte und fortgeschrittene Leichenstarre ihrer Personen, ganz im Dienst der nanometrischen Bemühungen des Autors, Kleiderständer seines unersättlichen poetischen Imponiergehabes. Einmütig toste aus den Feuilletons das Lobgeheul. Großkritiker Greiner (DIE ZEIT) hält Botho Strauß für den letzten Gesellschaftskritiker, indem er ihn an Günther Grass mißt. Darin hat er recht wie selten, aber der Maßstab ist alles andere als fair. Botho Strauß ist notwendig, behauptet Greiner enthemmt am Ende seines Beitrags. Das verblüfft. Was ist notwendig für eine Kategorie? fragten wir uns ratlos. Notwendig, auch wichtig, liest man ja oft, aber vor allem immer dann, wenn Rezensenten nach Euphemismen für stockfad und langweilig bis unerträglich suchen. Er war uns gram, schnieft Gabriele Killert (Deutschlandfunk), las uns im SPIEGEL die Leviten. Nun aber, im PARTIKULAR hört Frau Killert einen angeheiterten Ton heraus, Botho Strauß biete hier (endlich) wieder den sentimentalen Stoff des Lebens in phantastischer Form dar. Luzide erzählerische Exploration hat sie wahrgenommen, poetische Fallhöhen (was immer das sei), und sie findet, von neologistischem Zierat sei der Text weitgehend frei. Das finden wir zwar gerade nicht, aber vermutlich hat Frau Killert beim Abfassen ihres Features kräftig gebechert, um diesen angeheiterten Tonfall zu vernehmen. Wir können ihr das nicht übelnehmen. Manchen Text muß man sich schönsaufen. Fern vom kulturkritischen Groll sei Botho Strauß nun, freut sich dagegen Volker Hage (DER SPIEGEL), dessen notorische Textblindheit auch hier wieder zu sich selbst findet. Altersmilde sei der Autor geworden, so Hage, und konstatiert doch zugleich grimmige Genauigkeit. Hier unterbietet nur noch Ijoma Mangold von der BERLINER ZEITUNG mit dem Begriff humane Genauigkeit. So wie eigentlich alle Rezensenten stimmt sie in den unisono-Jubel darüber ein, daß Botho Strauß den politisch unkorrekten Ausschweifungen seiner Anschwellenden Bocksgesänge abgeschworen habe. Anthropologische Neugier, entdeckt sie, Zartheit und Einfühlsamkeit, sublime Schönheit, menschenfreundlich wie ein Lächeln. Wohlsein, Frau Mangold! Im FREITAG 23 registriert Ingo Arend nachhaltige Literatur (?), und in der JUNGEN FREIHEIT (Baal Müller) rappelt es von surrealer Emphase. Christine Adam von der NEUEN OSNABRÜCKER ZEITUNG findet das Buch, rätselhaft und erhellend, Bernhard Gervink von den WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN überwiegend rätselhaft, und Alexander Huber von der BRAUNSCHWEIGER ZEITUNG wagt die Bemerkung: der Grat zum Gelaber ist schmal. Das klingt fast ehrlich, aber grundsätzlich ist die Stimmung rundum positiv, ja beglückt. Nach der politischen Entwarnung geht die Rezensentengemeinde vor dem Kanonisierten geschlossen in die Knie. Nun wieder politisch korrekt hat er zurückgefunden zu seiner wahren Bestimmung als deutscher Dichter, schwierig, dunkel, verschroben, sonderlich . . . Es geht um Nimbus, das deutsche Dichterwort muß schwer und teuer sein, sonst ist es nichts wert. Und vor allem - darin sind sich alle einig - nichts von der wohlfeilen Glätte affirmativer Zeitgeistprosa bei Botho Strauß. Nun ist es eine höchst unlautere, wenn auch bei Durchschnittsrezensenten ungemein beliebte Methode, den Autor für das zu loben, was er nicht ist. Doch liegt man damit in diesem Casus glatt daneben, denn die Glätte jener Zeitgeistprosa und das Schroffe der Straußschen Prosa sind nicht so different, wie wir glauben sollen, im Gegenteil: Beides ist Pose. Beides hat seinen Platz im pluralistischen Rummel des Angebots (Botho Strauß, der Alexis Sorbas der Kulturkritik, Diedrich Diedrichsen der Kierkegaard der Popkultur). Beides verdankt sich dem Zeitgeist, und so ist auch Botho Strauß' Attitüde (Außenseiter in schicker Melancholie fernab vom Getümmel des Konformismus) Pose: dieses Sich-zeigen-wollen im kryptisierten Dunkel einer verkünstelten Sprache. Der Autor reiht sich zwanglos ein in die Riege dunkeldeutscher Wirrköpfe (Magier) von Hamann bis Handke. Botho Strauß, im Bemühen, den herrschenden Jargons der sogenannten Diskurse in Politik, Sport, Industrie etc. nicht anheimzufallen, outriert. Beim Versuch, die eigene Sprache zu erfinden gegen Jargon und Kult, kreiert er genau das: Kult und Jargon. Und darum ist DAS PARTIKULAR ein Buch, das wir getrost und gern vergessen. Auch wenn hier gelegentlich Richtiges im Falschen sich verbergen mag, das Falsche infiziert unweigerlich das Richtige. Der Ton macht die Musik, das Hohepriesterliche, der prätentiöse Schwulst. Walter Wurster
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