AUSGABE 5
SCHARFGEPLANTE KÜNSTLEREI
Zu Georg Klein: ANRUFUNG DES BLINDEN FISCHES
Kürzlich hörte man von einem der führenden Literaturclowns der Republik die Meinung,
ein Erzählband sei jeweils so gut wie die beste seiner Geschichten. Diese Auffassung
ist absurd, wenn man nicht zugleich die Frage beantwortet, wie schlecht die übrigen
Geschichten dann wohl sein dürfen.
Gefragt, ob im Erzählband ANRUFUNG DES BLINDEN FISCHES von Georg Klein eine beste
Geschichte zu finden sei, welche die Qualität des Bandes determinieren könne, bleibe
ich ratlos. Ich finde alle Geschichten ungefähr nur gleich weniger gut und einander
furchtbar ähnlich.
Woran liegt das?
Zum einen am Inhalt. Statt von Geschichten sollte man besser vielleicht von Installationen
sprechen, zusammengeschraubt aus Bausteinen, die beliebig austauschbar scheinen. Nun
gilt Austauschbarkeit als extrem zeitgemäß, und Georg Klein schätzt zeitgemäße Settings:
Konzernvorstände, Computerwelten, Industrie, Nachtclubs, Kunsthandel, Galerien,
Abwasserwesen, Großstadtvarietés, Luftverkehr, und er schätzt das Skurrile: das Material, mein Erzählstoff ist schon mager genug, ich brauche jede
Anekdote.
Das Personal der Geschichten besteht aus Männern in der Mehrzahl: Manager im Streß,
Informatiker, Abteilungsleiter, Fachidioten, Journalisten, und sie verfügen über
begrenzte, ebenfalls austauschbare Merkmale, sind neurotisch gestört, sinnlos betrunken,
sie haben chronische Prostatitis, nervöse Mägen, kauen an den Nägeln, rauchen,
koksen, schlafen schlecht und träumen schwül und selbstbezogen. Manchmal sind sie
schwul, und sie beschäftigen sich mit zeitgemäßen Dingen: Softwarefragen (des Autors
Haupt- und Lieblingsthema), Rohbilddeutung im Abwasserbereich, Scanner für
Handschrifterkennung, Projektgutachten im Erotikartikelmarketing, Röntgengeräte
als Mittel der Kunst, und vor allem wird stark gesoffen, da schreckt man auch vor
hochprozentigem Haarwasser nicht zurück.
Wenn Frauen auftreten, dann meist als Domina (Chefin, Kommandantin, Bucklige Gräfin),
und leicht stiften sie das Klima eines Sadomaso-Kabinetts.
So weit, so zeitgeistlich korrekt.
Die Eintönigkeit der Geschichten wird jedoch nicht nur durch die nah verwandten Inhalte,
sondern vor allem durch die Sprache bewirkt. Georg Klein schreibt wie geschmiert, kein
Adjektiv bleibt er schuldig. Seinen Sätzen merkt man an: Hier wurde jedes Wort, jede
Silbe dreimal umgedreht, hier wurde glattgebügelt, durchgestylt, poliert und blankgewienert
bis zum Geht-nicht-mehr, und vor allem ist da der Rhythmus. Gnadenlos rhythmisiert sind
diese Texte, von vorne bis hinten ein kaum je unterbrochenes, meist jambisches
ta-tám-ta-tám, ta-tám: Jetzt sétzt die Kómandántin íhren Stíefel mít dem Sílberspórn
dem Onkel Ulf auf séinen knáckigén Altmännerpó . . . Die Schérbensámmlung hát er díeses
Mál, aus Scháden klúg gewórden/ dem Réferenten dés Senátors ín die Hánd gedrückt . . . usw..
Dem Rhythmus angepaßt ist ein immer gleicher gutgelaunter Tonfall, den man von
Herrenabenden kennt: meine unter dem täglichen Asbach ächzende Leber,
ein bißchen frivol und jovial, mal läppisch witzelnd aufgekratzt: der Mammaonkel Ulf,
mal eitel-maniriert: es mildert das Gesehene, wenn man es schon als Gehörtes kennt,
immer auch ein bißchen eklig auf Hochglanzbroschürenart, und Stilblüten werden nicht
gescheut: aus krummer Höhe schielte er so zwiespältig intim auf sie herab, daß mir
die Bettgenossenschaft auf der Hand zu liegen schien.
Stark rhythmisierte Prosa ist kaum wünschenswerter als Spulwurmbefall. Hat das Versmaß
das lesende Bewußtsein einmal okkupiert, wird man es nicht mehr los, die Worte hüpfen
vor sich hin und werfen ihre Semantik ab wie alte Haut, der Text gleitet ab ins
Selbstreferentielle, aber das wissen wir ja, wenn Texte selbstreferentiell werden,
kommt der deutsche Literaturbetrieb immer gleich zum Höhepunkt.
Natürlich ist das alles Absicht, denn es geht hier eigentlich um Sprache, Sprache ist
der wahre Ort des Geschehens. Georg Klein will ein Meister der Sprachkunst sein,
zeigen will er, wie er Sprache beherrscht, er ist das Wölffli, er betreibt eine scharfgeplante Künstlerei, und da muß jedes Wort sitzen, alles muß bis ins Kleinste
überlegt sein, denn die kleinen Pannen sind es oft, die eine scharfgeplante Künstlerei
in Peinlichkeit zerschellen lassen.
Wie wahr.
Die anankastische Rhythmusglätte und der stramme Tonfall des Kleinschen Sprachduktus
überziehen den Text wie eine Klarsichtfolie zum Schutz vor solcher Peinlichkeit, und
das Ergebnis ist einerseits schizoide Kälte (Seinsmodus in der Softwarewelt?); Georg
Klein will wohl Alpträume wahrmachen, die Alpträume der technisch-industriellen
Zivilisation (seit der Erfindung der Dampfmaschine sind sie virulent), Mensch und
Maschine, mein Rechner und ich, wer frißt wen zuerst?
Andererseits entsteht ein Klima unverbindlicher Ironie, die uns sagt, es ist alles nicht
so arg. Möglicherweise versteckt sich da und dort satirischer Hintersinn, doch zu wirklicher
Satire fehlt den Geschichten jeder Biß, dazu sind sie wiederum zu nett.
Kleins Geschichten stoßen im unmittelbaren Sinn des Wortes ab, sie wecken etwa soviel
Interesse wie eine Lochkartenstanze, man liest sie nicht gern, zu unverrückbar steht
der Autor zwischen Text und Leser. Zwei oder drei Geschichten lang läßt man sich’s
gefallen, und wenn man Glück hat, kann man sich über des Autors Sprachbeherrschung
milde amüsieren, aber dann ist man bedient. Schon der Titel des Bandes spricht ja
Bände, und zu recht wurde er kürzlich vom Magazin der Süddeutschen Zeitung zum
peinlichsten Titel des Jahres gekürt .
Kleins ANRUFUNGEN DES BLINDEN FISCHES gehört zum langweiligsten, was ich in den letzten
Jahren lesen mußte. Die Botschaft ist rasch verstanden, die sprachlichen Mittel sind
schnell erschöpft, der Rest bleibt scharfgeplante Künstlerei.
Hallux Valgus
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