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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   



AUSGABE 5


MEINUNGSWÜTERICHE

Zu Schöhnhuber/Mahler: "Schluß mit dem deutschen Selbsthaß"; VGB, 32 Mark

Mit der Besprechung dieses Buches begibt sich der Rezensent auf gefährliches Terrain. Findet er auch nur ein Jota gut an dem Gesprächsprotokoll, wird er unweigerlich abgestempelt werden als Freund der Rechten und aus dem Kreis der respektierten Kulturschaffenden ausscheiden. Findet er rundweg schlecht, was in diesem Werk geboten wird, so erfüllt er nur die geltenden PC-Normen und kann damit, so scharfsinnig er auch sezieren mag, keinen Blumentopf gewinnen. Undankbare Aufgabe! Wir nehmen sie dennoch auf uns, weil es schließlich nicht alle Tage vorkommt, dass ein Ex-RAFling vom äußersten linken Flügel auf den äußersten rechten überwechselt. Wie tickt so ein Bursche? Das möchte man doch gerne wissen. Das vorliegende Protokoll stillt diese Neugier einigermaßen. Das ist doch schon mal unbestreitbar gut an dem Werk.

Der Generaleindruck der Lektüre ist der: Schönhuber spricht klar und irgendwie bodenständig. Er ist der gestandene Praktiker rechter Gesinnung und Politik. Man versteht, was er sagt, erfährt aber nicht, was er eigentlich will, wohin sein Denken strebt, wie er die deutsche Gesellschaft zum Beispiel verändert haben möchte, damit sie ihm gefällt. Man hat das Gefühl, hier habe einer, der jahrelang Prügel bezogen hat für das, was er von sich gab, ein chamäleonhaftes Geschick entwickelt, ausgerechnet jenes, worum es ihm geht, hinter anekdotischen Schilderungen und Stellungnahmen derart erfolgreich zu verbergen, dass er selbst nicht mehr weiß, was er eigentlich will. Schönhuber dient deshalb in der inszenierten Debatte hauptsächlich als Frage-Golo für den 'Theoretiker' Mahler.

Mit Mahler verhält es sich genau umgekehrt. Man versteht exakt, wohin er strebt: Er will die Volksrevolution. Aber er kann nicht verständlich machen, wie er dieselbe zu erreichen gedenkt und warum er sie überhaupt will. Obwohl er sich über Seiten und Seiten verbreitet, ist es ein Ding der Unmöglichkeit zu begreifen, was ihn ausgerechnet zu diesem Ziel treibt. Man hat das Gefühl, hier laufe eine Denkmaschine auf Hochtouren, die der Besitzer nicht vollständig unter Kontrolle hat. Zu oft gleitet die Rede in einen Jargon ab, der die Züge einer Privatsprache trägt, zu welcher es keinen Zugang für andere gibt. Oder wie soll man Sätze wie die folgenden sonst charakterisieren?:

'Dieses Bewusstsein wird sich jetzt überall durchsetzen, weil die Bestimmung des Menschen die Freiheit ist, die nur so in diesem Verhältnis des Teils zum Ganzen gedacht und aus diesem Bewusstsein heraus die Welt durchdringen kann, und zwar jetzt universell, weil der Geist in allen Menschen an sich einundderselbe ist. Seine in einer gesonderten Lebenswelt herausgedachte höhere Gestalt findet auch in den Menschen aus anderen Lebenswelten zu sich, hebt deren Bewusstsein auf die Höhe der Zeit. Die Freiheit propagiert sich selbst. Der Drang zur Freiheit ist allgegenwärtig und mächtig. Das konkrete Bewusstsein als Volksgeist ist die absolute Macht.'

oder:

'Je bizarrer sich der Individualismus äußert, je verrückter die Hohen Priester der Multi-Kultur gegen den Gedanken der völkischen Einheit anrennen, desto näher ist der Umschlagspunkt, an dem der vereinzelte Einzelne erschöpft der Volksgemeinschaft wieder in die Arme sinkt.'

oder:

'Im Mythos wirkt der Geist im Element des sinnlichen Bewusstseins, ehe er sich zur Klarheit des Gedankens durchringt.'

Solche verschwurbelten, unverstehbaren Aussagen ranken sich bei Mahler um zwei Axiome, nämlich um die Annahme der 'Überfremdung', unter der die deutsche Republik seiner Ansicht nach über kurz oder lang zugrunde gehen wird sowie die Überzeugung, wir seien Vasallen des US-Ostküsten-Establishments, das ruchlos nach Weltherrschaft strebe oder sie gar schon ausübe.

Es ist nun leider so, dass Mahler die beiden Dreh- und Angelpunkte seines Denkens nicht substantiiert. Er scheint diese grundlegenden Annahmen für unerschütterliche Tatsachen zu halten, die ob ihrer schlagenden Evidenz eines näheren Belegs nicht bedürfen. Wer sie nicht sieht, diese Tatsachen, ist entweder blind, dumm, Gutmensch oder Vasall.

Und genau an dieser Stelle liegt die Krux des Buches und womöglich der stramm rechten (und linken?) Gesinnung überhaupt: Das Fundament ihres Denkens besteht aus Luftblasen, aus synthetischen Konstrukten, Gespenstern, wie man auch sagen könnte, die ihre Adepten höchst selbst erschaffen, um sich von ihnen bis in die nächtlichen Träume verfolgen und tags darauf zu energischen Abwehrleistungen aufstacheln zu lassen. Der Fachterminus für diesen Gemütszustand heißt: Paranoia.

Und es ist ja wirklich wahr: Man hat bei Kameraden wie diesen, die man ja nicht nur aus Büchern, sondern auch aus dem wirklichen Leben kennt, stets den Eindruck, sie bräuchten für irgendein Zukurzgekommensein, vielleicht für ein ganzes missglücktes Leben, dringend ein x-beliebiges, aus der Luft gegriffenes Feindbild, dem sie die Schuld an ihrer Daseinsmisere aufbürden können und von dessen Bekämpfung und Beseitigung sie sich illusionärerweise das Paradies auf Erden erhoffen. Infantilismus im Greisenalter. Wie soll man solche Leute ernst nehmen?

Und es kommen ja noch zwei Aspekte hinzu, die diese 'Denker' disqualifizieren. Das ist zum einen die ungeheure Meinungswut. Die beiden Herren haben zu allem und jedem einen sogenannten Standpunkt und zwar einen dezidierten. Davon allein wird dem Leser schon übel. Über die komplexesten Sachverhalte fällen sie in Nullkommanichts die simpelsten Urteile. Je öfter, desto lieber. Dabei unterlassen es die rasenden Meinungswüteriche nicht einmal, sich wechselseitig mit dem, was sie vermutlich für ,Wissen’ halten, hemmungslos anzustrunzen. Das ist schon fast putzig, wie der eine den anderen mit immer neuen Abstrusitäten zu übertrumpfen sucht. Haben die beiden Debattierer noch nie einem klugen Menschen zugehört, der sich der Welt und ihren Rätseln allenfalls in Frageform nähert, niemals in apodiktischen Exklamationen?

Das Schlimmste aber ist die Sprache, die hier gesprochen wird. Es wimmelt nur so von Begriffen wie Volksgeist, völkische Einheit, Volksgemeinschaft, Kulturimperialismus, Überfremdung, Großkapital und ähnlichem. Glauben die Herren Disputierer denn ernsthaft, zurechnungsfähigen Lesern ungestraft ein Vokabular andienen zu dürfen, das schon vor Jahrzehnten zur Chiffre für Stupidität, Größenwahn und Menschenverachtung verkommen ist? Neue Ideen (die Mahler ja angeblich hat) ausgerechnet mit den ausgelutschtesten und stigmatisiertesten Etiketten an den Mann bringen zu wollen - da langt man sich doch ans Hirn, wie der Bayer sagt.

Die Strafe für so viele Formfehler: Die Herren Rechten werden von vernünftigen Leuten ganz zu Recht für fehltickende Wirrköpfe gehalten, mit denen und deren Gedankengut die Beschäftigung keine Minute lohnt.


Fritz Gimpl




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