AUSGABE 5
DANEBENGEGANGEN
Zu Birgit Vanderbeke: "Alberta empfängt einen Liebhaber"
Das literarische Schaffen Brigitte Vanderbekes verhält sich zur Weltliteratur
wie das Steinhuder Meer zum Stillen Ozean. Für das Thomas-Bernhard-Imitat DAS
MUSCHELESSEN wurde ihr seinerzeit von der Jury des sogenannten Klagenfurter
Wettbewerbs, die sich noch nie um ein literarisches Fehlurteil gedrückt hat,
ein Preis zugesprochen. Bekanntlich landen die Bücher des durchschnittlichen
Bachmann-Preisträgers eher früher als später (Ausnahmen bestätigen die Regel)
in den Wühlkisten der Buchhandlungen, schnellebig, wie unsere Zeit nun einmal
ist, und Frau Vanderbeke hat in dieser Richtung konsequent weitergeschrieben.
Daß ihr Werk ALBERTA EMPFÄNGT EINEN LIEBHABER in den Wühlkisten derzeit noch
nicht zu finden ist, verdankt es der literarischen Viererbande. Der Oberste
Bundeszerreißwolf hatte (ein Jahr mag es her sein) von Talent gezetert,
erzählerischer Begabung, und was nicht sonst noch. Das konnten wir uns nicht
entgehen lassen, etwas wie erzählerische Begabung hatten wir ja lange nicht mehr.
Das Thomas-Bernhardisieren hat sich Frau Vanderbeke in der Tat abgeschminkt,
aber damit hat sie ihren Texten das letzte genommen, was vielleicht doch noch
hätte anregend sein können, denn es gibt ohne Frage auch gelungene Imitate
(z. B. die Rolex aus Hongkong). Um es gleich zu sagen, an diesem Buch hat mich
nichts, aber auch gar nichts bewegt oder berührt oder einfach nur interessiert,
und ich finde, das ist eine Leistung ersten Ranges, die man tief genug nicht
schätzen kann, denn angeblich handelt das Buch von Liebe, oder der Unmöglichkeit
derselben, und da ist man doch auch bei minderer Qualität des Werks immer
irgendwie noch ansprechbar.
Was ist der Inhalt des Buches? Das Wesentliche zur sogenannten Handlung steht
im Klappentext, mehr muß man gar nicht lesen, er ist dröge genug, dieser
Klappentext, nur wer sich gerne noch mehr langweilen möchte, liest weiter.
Rasch stellt er fest: Von Erzählung ist hier keine Spur, es wird nur so getan
als ob, denn ihre attestierte erzählerische Begabung tarnt Frau Vanderbeke
meisterhaft hinter Plattitüden, allgemeinen Feststellungen und neckischer
Altersweisheit, die sie als Versatzstücke des Erzählens hochhält wie Plakate
oder Spruchbänder, und darauf stehen dann Sätze wie: ’die Sonne schien auf die
Frühlingswiese‘, ’irgendwas geht mit Männern und Frauen einfach immer daneben‘,
denn auch ’Bavaroise geht immer daneben‘, aber ’schwangere Frauen sind für
einen Mann nicht ganz einfach‘. ’Liebe im Kopf ist leichter als im Leben‘,
im übrigen ist sie eine ’Heuschreckenplage‘, und ’das Gemeinsame im Leben ist
genau das, wovor man sich am meisten fürchtet.‘
Ansonsten erfährt man einiges über Waschpulver, H-Milch, Nudelsalat und
Wachtelsuppen, im Bett wird gern über Holzschutzmittel und entflogene weiße
Papageien debattiert. Am liebsten gibt sich Frau Vanderbeke leise witzelnd,
dabei produziert sie Sätze wie diese: ’er verbrachte ein paar Monate mit mehr
oder weniger wechselnden Frauen in mehr oder weniger wechselnden Betten‘,
’kurz darauf ging Nadan zur Marine, während die anderen vom Kampf gegen den
Imperialismus prophylaktisch asthmatisch wurden und reihenweise Meniskusschäden
und ärztliche Atteste bekamen.‘
Dieses Buch ist auf genial nichtssagende Weise stilistisch bemüht und trifft
ständig voll daneben. Möchten und Nichtkönnen ist das fundamentale Lebensproblem
der Erzählerin (und offenbar auch der Autorin), sie badet es aus im Stilistischen
und mit ihr unfreiwillig der Leser: ’Seit ich sprechen kann, leide ich unter
stilistischen Sorgen.‘ Dieses Leiden macht die Autorin müde, es lähmt sie,
hindert sie am Leben und den Leser am Lesen. Sie ist ganz Stil, Stil ist ihre
Zwangsjacke: Sagt man ’lieben Sie Brahms?‘ oder ’liebst du Brahms?‘ oder doch
besser ’magst du Brahms?‘ Unbedingt muß die Krawatte zum Durchbrennen passen,
und wenn nicht, geht auch alles sonst daneben. Wir lernen, daß Frauen sich neue
Unterwäsche kaufen, wenn sie ein neues Leben anfangen, und einen Namen darf man
nicht zu oft wiederholen, sonst nutzt er sich ab. Schwerexistentielle Fragen
dieser Art sind das Hauptthema des Buches.
Dieses Buch zu lesen ist eine Folter dritten Grades. Jedes Nähkästchen ist
spannender. Obwohl es so kurz ist (schlappe 110 Seiten), kam es mir grausam
lang vor, als wäre der Mann ohne Eigenschaften eine Kurzgeschichte dagegen.
ALBERTA EMPFÄNGT EINEN LIEBHABER ist möglicherweise eines jener Bücher, in
denen der Leser sich wiederfinden soll, wie man in der Psycho-Szene sagt, als
ob das ein Maßstab für Qualität wäre, und wenn er sich nicht wiederfindet, ist
er selber schuld, aber wer wird sich hier denn wiederfinden wollen, in diesem
Buch so vollständig und erschöpfend ohne Liebe, Lust und Leben? Vielleicht
soll das Buch eine Stilübung sein, wenn auch eine mißratene, und wir müssen
es gar nicht ernstnehmen, das wäre noch das freundlichste was ich sagen könnte,
aber wahrscheinlich ist es wieder nur so ein Subtextbuch, eines dieser vielen
Subtextbücher, mit denen uns erzählbehinderte deutsche Jungautoren seit
Jahrzehnten auf den Wecker fallen.
Warum mußte dieses Buch geschrieben werden? Wieder und wieder habe ich mir
diese Frage gestellt. Ich weiß es nicht, es sei denn deshalb, weil eben ständig
irgendwer irgendwas schreibt, das ist einfach so, verbieten kann man es nicht
und der Betrieb muß weitergehen, die Produktion muß gesteigert werden, und
meistens fragt auch keiner nach, weil sich keiner wirklich interessiert,
Hauptsache, man hat was im Programm, und man findet ein paar Jubelperser
in den Feuilletons, die eine Saison lang verkaufsfördernde Besprechungen
schreiben, die findet man schließlich immer, und wenn alle Stricke reißen,
steht draußen vor der Tür die Wühlkiste an regenfreien Tagen.
Pater Ralf de Frikassee
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