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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Dieter Conen & Hadi Eberhard

   



AUSGABE 5




Herrn Schmerzers krausse Novelle

Enttarnung in vier Akten


1. Tatbestand:
Helmut Kraussers neuestes Opus "Schmerznovelle" ist der klassische Fall eines Teflon-Textes: Du beginnst konzentriert mit der Lektüre, doch schon nach drei, vier Sätzen, spätestens einer halben Seite, rutscht deine Aufmerksamkeit von dem darin Mitgeteilten ab ins Nirwana der Alltagsgedanken, die dir den Kopf mit stetem Hintergrundrauschen erfüllen. Gerade um dem zu entkommen, nimmst du dir ein Literaturwerk zur Brust. Wie kommt es zu diesem Abrutschen?

2. Anklage:
Die Sprache des Autors enthält so reichlich Ungefähres, so viele Ungenauigkeiten, derart zahlreiche semantische Nullstellen, dass ein verstehenwollendes Leserhirn praktisch andauernd ins Leere stößt und alsbald frustriert abschaltet.

3. Beweisführung
"Ein schwerer September lastete auf dem Ort." Was ist ein 'schwerer September'?

"In Wassernähe tanzten Heere von Insekten,..." Ich habe nichts gegen Heere, die tanzen. Aber das Sprachempfinden legt hier doch nahe, den konventionellen Begriff 'Schwärme' zu verwenden, da die kriegerische Vokabel mit der Vorstellung von Rüstung und Bewaffnung verknüpft ist, schwerer Gerätschaft also, welche die zum Tanzen nötige Leichtigkeit vermissen läßt.

"Ihre Flugfiguren blieben das einzige unruhige Moment in einem Panorama schwitzender Behäbigkeit." Das klingt irgendwie ganz nett, ist aber eine klare Contradictio in adjecto. Denn eine Behäbigkeit wird, so weit ich sehe, allein im Zuge einer Bewegung sichtbar: Jemand Schwergewichtiger begibt sich uneilig und an der Grenze zur Tapsigkeit von hier nach dort. Der Satz behauptet aber gerade, das außer den tanzenden Insekten alles still steht. Im übrigen gehören zu einem Panorama jede Menge toter Gegenstände: Wohnhäuser, Heustadeln, Baukräne, Telegraphenmasten, Bergrücken, Brücken und so weiter. Diesen Dingen anthropomorphisierend eine 'schwitzende Behäbigkeit' zuzuschreiben, ist mehr als gewagt. 

"Auf den Booten im See trieben schläfrige Menschen, manche vom Sommer bis zur Entstellung gebräunt. Meist ältere Menschen; der Ort gehörte zum größten Teil wohlhabenden Ruheständlern."
Diese Passage enthält nun gleich drei dicke Fragwürdigkeiten: Erstens handelt es sich hier um einen Ich-Erzähler. Der steht, so legt es die Erzählsituation nahe, am Ufer und blickt aufs Wasser hinaus. Er sieht die Boote darin treiben. Die Bootsinsassen aber sind viel zu weit entfernt, als daß er ihren Bräunungsgrad erkennen könnte. Logisch möglich wäre diese Aussage nur einem allwissenden auktorialen Berichterstatter, der über den Schifflein schwebt und die Leute direkt vor 'Augen' hat.

Zweitens: 'bis zur Entstellung gebräunt' - wie muß man sich diesen Hautzustand denken? Schwarz-ledrig? Verkohlt? Halb schon in Verwesung/Mumifizierung übergegangen? Bißl übertrieben, scheint mir. Oder schlicht eine schreiberische Flapsigkeit, die der Mottenkiste der boulevard-journalistischen Modewendungen entnommen ist, auf die man gerne zurückgreift, wenn einem eine treffende Beschreibung seines Objekts nicht einfallen will. Oder wenn sie zuviel Mühe macht. Außerdem: Das Urteil 'Entstellung' impliziert die Kenntnis des vorherigen Zustands der betreffenden Personen, welcher sich durch Sonneneinwirkung dramatisch verändert hat. Dass der Ich-Erzähler diese Leute vor der Bräunungskatastrophe gekannt hat, wird aber nirgends erwähnt.

Dritter Bock: In den Booten meist ältere Menschen, die Bewohner des an den See stoßenden Ortes offenbar. Hier beißt's nun völlig aus. Der Erzähler will mir weismachen, dass die einheimischen Pensionäre (wenn's denn wenigstens die dummen Touris wären!) in der brütenden Tageshitze massenhaft auf den See hinaus schippern, um sich in der Sonne braten zu lassen. Das kann er einem erzählen, der die Hose mit der Kneifzange anzieht. Mir nicht.

Mit meiner Analyse bin ich noch nicht ganz bis ans Ende der allerersten Textseite vorgedrungen. Die wenigen untersuchten Zeilen reihen eine Ungenauigkeit an die andere. Und schon ist ein verschwommenes, in Details geradezu groteskes Bild der Szenerie entstanden, die der Verfasser vor mich hinstellen möchte.

Herr Krausser scheint seine Sätze zustande zu bringen, indem er zwischen den einzelnen Satzteilen öfter mal zum Pinkeln geht oder sich einen runterholt oder einen Joint reinzieht. Irgend etwas jedenfalls treibt er, das ihn alle Konzentration kostet. Anders kann ich mir diesen anfängerhaften Beschreibungssalat nicht erklären. Und wir sind ja wohlgemerkt über die erste Seite noch gar nicht hinaus. Der Autor orgelt selbstverständlich munter weiter in diesem Verschwommenheitsstil. Ja, er weiß demselben hie und da ein Sahnehäubchen aufzusetzen in Form eines besonders gelungenen sprachlichen Bocks:

An der Rede einer Figur entdeckt der Erzähler etwas 'subtil Obszönes' (S. 9). Eine ihrer Behauptungen "schien jeden Vorrat an Wahrscheinlichkeit zu überfordern" (47). Vermutlich, weil der Betreffende eine Lust verspürte, "die aller festgezimmerten Konstrukte müde" war (23). Ein Wohnzimmer, in das der Held gerät, war "alles andere als gemütlich, trug kaum eine Spur individueller Bewohntheit" (18). Ein Bild wirkt auf ihn "in seiner Intensität erschreckend" (22). Auch die Begegnung mit einer Frau empfindet er "so intensiv" , weil er sich hilflos und unsicher fühlt (28). Später wiederum ist es das Gefühl "intensiver Todesnähe", das ihm zusetzt (74). Eine Frau hat sich, "bewußt oder nicht, viel Mädchenhaftes bewahrt" (17). Dem Antlitz einer anderen hatte "das Leben Individualität geschenkt und wieder geraubt" (47). Die Physiognomie eines Mannes dagegen hatte "etwas völlig Anachronistisches bekommen" (49). Dafür war in wieder einer anderen Dame "etwas so stark, so ungeheuer lebendig" (56). Alles in allem kein Grund zur Sorge für das Novellenpersonal, denn "wenige Glanzlichter genügen, um einem beliebigen Leben die Illusion einer parabolischen Signifikanz zu verleihen" (59). Doch Vorsicht! "Realität ist die Essenz einer erbarmungslosen Selektion" (140). Alles klar?

Solches Geschreibsel muß man nicht kommentieren. Diese Sätze richten sich selber und zwar unwiderruflich. Weil aber der Rezensent auch ein bißchen Freude haben möchte, hier doch einige kritische Anmerkungen: 

Wer die Intensität einer Empfindung oder einer Situation beschreiben will und dafür die Vokabel 'intensiv' benutzt oder wer sagen will, dass eine Frau sich mädchenhafte Züge bewahrt habe, und sich dazu nichts anders einfallen läßt, als den Begriff 'mädchenhaft' zu verwenden, der stellt sich ein Armutszeugnis sondergleichen aus. Wer in einem Gesicht etwas subtil Obszönes entdeckt und davon Mitteilung macht, indem er dieses Etwas 'subtil Obszönes' nennt - was teilt der überhaupt mit? Nichts! Er liefert eine semantische Nullstelle.

Hat der Autor nie davon gehört, daß es beim Schreiben darum geht, Empfindungen und Erlebnisse in der Wahrnehmung des Lesers entstehen zu lassen? Durch das bloße Aufsagen der Bezeichnung des betreffenden Gemütszustandes oder Erlebnisses wird das kaum gelingen. Herrn Kraussers literarischer Approach gleicht dem Versuch, durch das Herausbrüllen des Wortes "Witz!" andere zum Lachen zu bringen.

Von einer weiteren Unart des Autors soll abschließend die Rede sein: Herr Krausser hat den Hang, dann und wann besonders glänzend - oder was er dafür hält - zu formulieren. Ich will dem Leser weitere Zitate ersparen. Nur so viel: Diese fulminanten Passagen treiben wie erblindete Fettaugen auf der kalten Suppe seines Textes. Sie dienen nur sehr bedingt der Entwicklung der Geschichte (über die man am besten kein Wort verliert). Sie haben hauptsächlich den Zweck, der schreibenden Konkurrenz zu zeigen, wo formulierungsmäßig gesehen der Hammer hängt, das heißt, wer der größte Sprachartist im Lande ist. Strunzeratur.

Fazit: Helmut Krausser fehlt es, könnte man sagen, an Demut vor der Sprache. Er ist ein schlampig formulierender, unscharf denkender, zugleich hochmütiger und präpotenter Autor, der sein Medium zu beherrschen meint, in Wirklichkeit jedoch von ihm beherrscht wird und in jede Falle tappt, die es ihm stellt.

4. Urteil:
Entzug der Schreiblizenz für fünf Jahre, danach Sicherheitsverwahrung in der geschlossenen Haidhauser Literaturanstalt, in welcher Manuskripte ausschließlich für die Schublade produziert werden dürfen.


Fritz Gimpl




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