AUSGABE 5
'Mein Penis war heiß und geschwollen'
(Zu drei Werken des M. Houellebecq: ELEMENTARTEILCHEN, DIE WELT ALS SUPERMARKT
und SUCHE NACH GLÜCK)
Verstünde
Michel Houellebecq vom Schreiben soviel wie von Masturbation, der
Nobelpreis wäre ihm sicher, aber wenigstens hat er uns eine Erkenntnis
geliefert, für die wir ihm danken sollten: Nicht nur in Deutschland
gibt es Autoren, die nicht erzählen können. Mit Houellebecq liegt
Frankreich in dieser Hinsicht EU-weit auf der Überholspur.
Sein Buch ELEMENTARTEILCHEN ist eine jener Romanleichen, die immer dann
entstehen, wenn Autoren versuchen, Weltbilder, philosophische Ideen,
Gesellschaftstheorien und andere Nebensächlichkeiten mit erzählerischen
Mitteln ins Bewußtsein ihrer Leser zu stemmen. Unerträglich, wenn sie
auch noch Schreibtheorien dazu ausknobeln. Autoren dieser Art gibt es
jede Menge, es genügt ein kurzer Blick in die Suhrkamp-Gruft, die
Rowohlt-Katakomben, die Fischer-Gräber.
350 Seiten lang rackert Michel Houellebecq sich ab, so etwas wie ein
zivilisationskritisches Weltbild zusammenzuzimmern, für das eine halbe
Seite leicht gereicht hätte. Dieses alles andere als originelle
Weltbild ist, kurz gesagt, geprägt von Haß und Verzweiflung. Die Welt,
so Houellebecq, wird vom totalen Konsum beherrscht. In einen Supermarkt
hat sie sich verwandelt. Alles Menschliche ist zur Ware erniedrigt, an
erster Stelle alles, was mit Sexualität zu tun hat, Erotik, Liebe, Ehe,
Beziehung, Familie, Befruchtung, Zellteilung, Reifung. Die Gesellschaft
ist zum globalen Swinger-Club degeneriert. In der Welt des
hedonistischen Konsumismus ist sexuelle Freiheit nur noch Zwang, Lust
ist Leid, Libido unerträgliche Qual. Seelisch enteignete Beziehungskrüppel
wanken durch den Freizeitpark eines entfremdeten Daseins und befriedigen
sich selbst. Auch wenn sie koitieren, masturbieren sie.
Was sonst auch? Masturbation ist immer noch die gefragteste
Vereinsamungsmetapher aller einfallslosen Schriftsteller, denn sie
wissen es selbst am besten: Auch wenn sie schreiben, masturbieren sie.
Schuld an der Misere ist im übrigen und allgemeinen wieder einmal und
immer noch - wir sind in Frankreich - die US-amerikanisch dominierte
Kulturindustrie.
In
den frühen 70-er Jahre lautete folgerichtig die Antwort auf diese
damals noch etwas frischere Gesellschaftsanalyse (Marcuse, Pasolini u. a.):
Macht kaputt, was euch kaputtmacht! Doch die Kaputtmacher sind
inzwischen selbst kaputt, und Houellebecq hat als Erlösung aus dem
Elend der Supermarktwelt nichts Besseres anzubieten als eine der
heruntergekommensten Utopien aller Zeiten: den neuen Menschen. Der neue
Mensch ist gentechisch produziert, geschlechtsneutral und asexuell, frei
von libidinöser Knechtschaft.
Um es
klarzustellen: Ich habe nichts dagegen, wenn Leute eine schlimme
Kindheit hatten und nicht schreiben können, aber es interessiert mich
nicht besonders (eigentlich überhaupt nicht). Wäre es gut geschrieben,
ließe ich mir fast alles gefallen, aber leider gehört Michel
Houellebecq zur großen Gruppe von Autoren, die ihrem Weltbild sprachlich
nicht gewachsen sind, und dem Roman schon gar nicht. Dieser Schwäche
eingedenk hat er in einem Interview geäußert, es sei schwierig
geworden, ’einen Roman ohne Klischees zu schreiben‘, er selbst
verfolge den Ansatz, ’dem Romanstoff brutal Theorie und Geschichte zu
injizieren.
Das hat er in der Tat getan, wir können es nur bestätigen, und der
Romanstoff hat die Injektion nicht überlebt. Lustlos wird die
modellhaft hingetrimmte Lebensgeschichte eines Halbbrüderpaares, Bruno
und Michel, abgespult. Da wird nicht erzählt, da wird nur aufgezählt
und abgehakt. Als Personen spielen die beiden keine Rolle, sie stehen
als Pappkameraden im Weltbild des Autors herum und statuieren Exempel.
Bruno ist sexuell hyperaktiv mit hohem Masturbationsaufkommen, Michel
ist sexuell unterwickelt mit niedrigem Masturbationsaufkommen. Seinen
gesammelten Welthaß, seine Misanthropie, seinen Lebensekel, alles hat
Houellebecq Michel und Bruno aufgehalst. Er läßt die Kacke mächtig
dampfen, denn: je schlechter die Welt, desto besser fürs Weltbild.
Schwarzer Kitsch.
Houellebecqs sprachliche Möglichkeiten gipfeln in Sätzen wie diesen: ’Die
Motivation, die sie zusammenführte, war oberflächlich . . . unter den
Anwesenden breitete sich zunehmend größeres Unbehagen aus . . . die
Worte, die gewechselt wurden, peitschten langsam durch die Luft . . .
von ihren Augen gingen heiße Vibrationen aus . . . mein Penis war heiß
und geschwollen . . .
Eingestreut ist lästiges Gehubere über Quantenmechanik und Molekularbiologie, dröges
Genöle über Ökonomie und Gesellschaft, philosophisch-moralische
Traktate, offenbar an Kant gedrillt (’Die reine Moral ist einzig und
universell‘), und anderes, was keiner wissen und schon gar nicht lesen
will.
Der Text lebt nur dann etwas auf, wenn Sexuelles geschildert wird. Da gibt
es manchmal etwas von greller Aggression und eine gewisse unverblümte
Direktheit von Bret-Easton-Ellis-Qualität, aber das sind immer nur
Momente, es wird nicht durchgehalten. Die routinemäßige Motorik des
Hechelfilms bestimmt den Rhythmus der Beschreibung, Zwanghaftigkeit
einer Maschinerie, könnte man sagen, und das Hardcore-Getöse bleibt
theatralische Geste, weil die sentimentale Utopie des Moralisten überall
durchscheint. Houellebecq ist nicht kalt genug. Haben wir es mit einer
Variante der guten alten Entrüstungspornographie zu tun?
Doch zum Glück ist der Roman die mit Abstand strapazierfähigste Gattung der
Literatur, er ist Kummer gewöhnt, und er wird nicht nur einen sondern
viele Houellebecqs überleben.
Die hündische Verehrung, die diesem Autor von der deutschen Rezensentenclique zuteil
wurde, wird erst richtig unbegreiflich, wenn man sich seinem
’essayistischen‘ Werk zuwendet. In dem mehr als knappen Bändchen
DIE WELT ALS SUPERMARKT hat der Dumont-Verlag zum unverschämten Preis
von DM 29,80 den intellektuellen Dünnpfiff eingesammelt, den
Houellebecq in verschiedenen Zeitschriften, Interviews und Briefen unter
sich gelassen hat. Fast ist es tragisch. Der Mann wäre ja so gern ein
Großer Böser Wolf, ein neuer Robbespierre, ein zweiter de Sade, ein
Stalin des Kulturbetriebs, aber leider ist er nur ein bürgerlicher
Mittelklassemoralist, der sich ins Paradies der verlorenen Unschuld zurücksehnt:
’Ich würde gern der beklemmenden Gegenwart der modernen Welt
entkommen: in ein Universum à la Mary Poppins zurückkehren, in dem
alles gut wäre.‘
Im Supermarkt der Literatur wurde Houellebecq zum Objekt der Begierde gekürt,
und der Betrieb gibt seinem Affen Zucker und umgekehrt. Er, der Autor, müßte
eigentlich dankbar dafür sein, daß die Welt so ist, wie sie ist, falls
sie so ist. Inzwischen hat der Dumont-Verlag skrupellos auch noch den
Gedichtband SUCHE NACH GLÜCK auf den Markt gedrückt. Ohne den Namen
’Houellebecq‘ hätte nicht ein einziger Hilfslektor im gesamten
Universum diese peinlichen Texte auch nur mit der Kneifzange angefaßt,
aber wir verstehen schon: Merchandising nennt man das. So ein Verlag muß
ökonomisch denken und Gewinne machen. Qualität ist Nebensache, wenn
die Nachfrage stimmt. Wie immer fanden sich genügend deutsche Gefälligkeitsrezensenten,
die auch dieses Buch gnadenlos beflissen abgefeiert haben.
Genug. Michel Houellebecq ist im Euroraum der zur Zeit am meisten überschätzte
Autor, und ich wage die Prognose, daß er sein Pulver verschossen hat.
Friede seiner Masche!
Kees van de Verschredderen
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