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Magazin für Verrisse aller Art
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EditorialLieber Surfer,I. A. Richards erfrischt uns in seinem Buch Prinzipien der Literaturkritik mit dem Hinweis, der Rezensent teile mit seinem ästhetischen Urteil über das besprochene Werk selbst nichts mit, vielmehr schildere er seinen eigenen seelischen Zustand beim Lesen eines Buchs, beim Betrachten eines Kunstwerks, beim Hören einer Musik. Auf diese Weise mache er uns zum Mitwisser seiner ästhetischen Vorlieben und Abneigungen, ohne daß wir es bemerken.Wir finden diese Erkenntnis wunderbar und stimmen freudig zu, denn das, was Richards meint, ist genau das, was wir hier auch treiben. Lassen Sie sich also nicht verwirren, genießen Sie unbeschwert das frische Gift unserer Kommentare . . . sofern sie nicht betroffen sind, versteht sich. Von Kunst haben wir eine hohe Meinung, die höchste. Darum sprechen wir nicht gern über sie. Falls doch, wäre der Maßstab Leidenschaft, sei es Haß oder Liebe. Das Übliche, also alles dazwischen, das Halbe, Laue, Mäßige, Schlaffe, allgemein gesprochen: das wacker Gelungene lebt in anderen Räumen, zum Beispiel auf dem Markt. Der Markt ist nichts Schlechtes, er ist notwendig. Aber Kunst ist das Andere. Der Markt will das Konsumierbare, das schmerzfrei, angenehm unterhaltend, ohne Anstrengung in den Alltagsraum sich fügt. In den Medien hilft dabei die große Heerschar der Gefälligkeitsrezensenten, den Innenarchitekten des guten Geschmacks, setzt Maßstäbe der Verkäuflichkeit. Das Preisverleihungswesen trägt das seine dazu bei: 1910 bekam Paul Heyse als erster deutscher Schriftsteller den Literaturnobelpreis. Heute erinnert in München eine Eisenbahnunterführung an ihn. Cormac McCarthy wird den Nobelpreis nicht bekommen, und man wird auch keine Eisenbahnunterführung nach ihm benennen, aber man wird ihn in 100 Jahren noch lesen, falls es die Welt dann noch gibt.
Die Redaktion
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