AUSGABE 10
ÜBER DIE VERWENDUNG EINES UNWORTS
Schwul zu sein bedarf es wenig,
ich bin schwul und heiß Ralf König.
Ralf König darf das schreiben, denn Ralf König hat das Kondom des Grauens erfunden und die Schwulcomics, und damit hat er sich als Träger einer Subkultur hinreichend etabliert.
Wer aber sind Christoph Cadenbach und Georg Diez?
Angehörige der Generation Golf, die uns kürzlich im Magazin der Süddeutschen Zeitung (Heft 01/2010) unter dem Titel Gemachte Männer folgenden Satz aufgetischt haben:
Schwule sind Leistungsträger unserer Zeit, doch je mehr wir sie bewundern, desto mehr machen wir sie zur Minderheit.
Da ist sie also schon, und ganz unverstellt, jene neue Volte der Diskriminierung, die ich seit längerem aus den gesellschaftlichen Subtexten herausfiltern kann (siehe Lit-bloX 27. Juni 2009). Durch die Hintertür provoziert dieser Satz in seiner naiven Absolutheit den Umkehrschluß, daß Nicht-Schwule (deutsch: Heterosexuelle), nicht oder nicht mehr lange die Leistungsträger der Nation seien. Die Homos haben den mühsamen Weg durch die Institutionen geschafft, nun stehen sie an der Spitze, und die Heteros danken ab.
An dieser Stelle hätte ich denn gerne mal gewußt, was wohl ein Leistungsträger sei, und wie es denkenden Menschen möglich ist, einen solchen Begriff ironiefrei zu verwenden, und ich weiß auch nicht, was unsere Zeit bedeuten soll. Auf eine derart kritiklose Stiftung unerwünschter Gemeinschaft lasse ich mich gar nicht ein.
Aber ich schiebe diese Frage mal beiseite, denn der Satz hat noch einen zweiten Teil: doch je mehr wir sie bewundern, desto mehr machen wir sie zur Minderheit.
Wie bitte?
Wir bewundern sie also, und wen bitte? Die Leistungsträger oder die Schwulen, oder die Schwulen als Leistungsträger, oder Leistungsträger, sofern oder obwohl sie schwul sind, oder wie? Und schon wieder: wer ist wir? Die Autoren dieses Artikels oder wir alle, wir, die völkische Gemeinschaft, oder die anonyme Gesellschaft des Du und Ich und mein Nachbar?
Falls hier als Angehörige jenes erlauchten Kreises Männer wie Herr Wowereit oder Herr Westerwelle gemeint sind: Ich bewundere sie nicht, weder als Leistungsträger, die sie im Sinne der Sprachversottung im Öffentlichen Raum vielleicht wirklich sind, noch als Personen, die der gleichgeschlechtlichen Liebe frönen. Warum auch?
Ihre politischen Leistungen sind beklagenswert dürftig, und die Ausübung sexueller Vorlieben war bisher Ausdruck einer Veranlagung oder Neigung privater Art, jetzt wird sie von Herrn Cadenbach und Herrn Diez zu einer besonderen gesellschaftlichen, ja staatstragenden Leistung aufgeladen, zu der spießige Heteros in ihrem Mehrheitsmief mit drögem Einheitssex natürlich überhaupt nicht fähig sind.
Und indem wir sie also bewundern, machen wir sie erst recht zur Minderheit. Was soll das heißen? Etwa daß wir sie durch unsere Bewunderung erneut diskriminieren? Müssen wir also jetzt ein schlechtes Gewissen haben, weil es nur wenige Menschen gibt, die überhaupt Bewunderung verdienen, und muß sich das schlechte Gewissen verschärfen, wenn die Bewunderten homophil sind? Müssen wir gar eine Parallele zum Antisemitismus ziehen?
Wir ziehen sie natürlich nicht, denn wir pfeifen auf derart verquere Insinuationen. Wenn wir Anlaß haben sollten, den Träger einer Leistung zu bewundern, was selten genug vorkommt, wenn überhaupt, dann bewundern wir ihn für eben diese Leistung, aber weder für seine sexuelle Orientierung noch für seine Hautfarbe, seine nationale Zugehörigkeit oder sein Geschlecht, und was es sonst noch für Unterscheidungsmerkmale zwischen Menschen geben mag.
Gerade sexuelle Orientierung interessiert uns - mit Verlaub - einen Hühnerschiß, sie hat sich längst selbst entzaubert. Die überwältigende Mehrheit der sogenannten Homos hat inzwischen die gleiche biedermännische Beschaffenheit ihres Wesens offenbart wie die große Mehrheit der sogenannten Heteros.
Klingt saublöd, aber Homos sind auch nur Menschen, das ist die Wahrheit, aber sie sind eben doch auch Männer, und das ist die zweite Wahrheit, darum benötigen sie keine Quote.
Neue Toleranzen stiften neue Diskriminierung, da geben wir Christa von Braun ausnahmsweise mal recht, oder verlaufen die Grenzen nur komplizierter?
Die längst überwundene Kriminalisierung der Homosexualität ist ein vollkommen anderes Thema, und dieses Thema ist durch, Damen und Herren. In der herrschenden permissiven Spaß- und Duzdemokratie ist Homophilie einfach nicht mehr anstößig, und wenn man sich noch so viel Mühe gibt. Eigentlich schade, aber Schwulsein ist banal geworden. Die Legalisierung der Homoehe mag als gesellschaftlicher Fortschritt gelten, in Wahrheit ist sie vor allem Aids und der Sorge um die Volksgesundheit zu verdanken. Die gesetzlich geschützte Partnerschaft schützt eben auch vor der Seuche und vor Ansteckung und den entwürdigenden Bedingungen eines Liebeslebens in der öffentlichen Bedürfnisanstalt. Damit verlor Homophilie zwar auch den Mythos einer anarchischen Sexualität aus hemmungsloser Leidenschaft und unbeherrschbarer Triebhaftigkeit, aber sie wurde menschlich, denn der durchschnittliche Homo war dieser Anarchie auf Dauer gar nicht gewachsen. (siehe hierzu u.a. Julien Green). Diese Männer, und übrigens auch Frauen, wollen einfach nur in Ruhe gelassen werden, um ihre private Intimität nach eigenem Gusto zu gestalten, und schon gar nicht wollen sie für etwas bewundert werden, das für sie nicht mehr und nicht weniger ist als ihre Identität, und die ist brüchig, denn sie ist allemal schwer genug zu haben wie jede Identität, ob Homo oder Hetero.
Menschen leben mit ihren Neigungen, Schwächen, Ängsten und Zweifeln, ihren existentiellen Nöten, ihren Neurosen und Psychopathien, gelegentlich brauchen sie Hilfe dabei. Ein Staat der solche Hilfe leistet, ist nicht ganz zu verachten, auch wenn er sich schwertut. Wie die Gesellschaft reagiert, ist eine ganz andere Frage. Wir müssen Andersgeartete nicht lieben und erst recht nicht bewundern, es genügt, ihre Rechte zu achten, und da haben wir kein Problem mit. Die Kälte des Rechts wird der Sache allemal gerechter als sentimentale Bekundungen eines ebenso billigen wie unerwünschten Mitgefühls.
Aber eigentlich wollte ich ja was ganz Anderes sagen: Der Gebrauch des Wortes schwul hat sich gesellschaftlich inzwischen eingebürgert, doch nur in den Kreisen der sogenannten gebildeten Schichten, denen Homosexuelle hauptamtlich angehören, behauptet dieser Gebrauch eine Akzeptanz der Homosexualität, nur: sie wirkt verkrampft und hilflos, ja verlogen. Denn in Wahrheit wird das Wort den Ruch der Diskriminierung nicht los. In den Kreisen außerhalb jener Gebildeten und Aufgeklärten, die sich fälschlich für Avantgarde halten, der Mehrheit also dient es weiterhin als griffiges Schimpfwort, als Ausdruck der Verachtung und des Hasses, als Waffe, und sie tut weh. Dieses kleine, genial gemeine Wort ohne jede andere Semantik und Konnotation trifft allzu grausam ins Schwarze des Andersseins, und davor rettet kein zertifizierter Gebrauch, auch nicht der sarkastische selbstironische Mut der Verzweiflung eines Ralph König. Im Gegenteil: Unterhalb der Schwelle eines vermeintlich aufgeklärten Sprachgebrauchs lebt das Wort viel virulenter weiter, indem es als Pejorativ negiert wird, und sein Verletzungspotential bleibt ungebrochen. Die Sprachregelungen einer politischen Korrektheit ändern das Bewußtsein nie.
Tabes Dorsalis
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