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Magazin für Verrisse aller Art    Archiv

Herausgegeben von Hans Dieter Eberhard

   



AUSGABE 10


BABYSPECK UND ALTE SÄCKE

Zu Helene Hegemann: Axolotl Roadkill


Wieder einmal wird eine brandjunge Schriftstellerin als Stimme einer sogenannten Generation, diesmal der Generation Internet, als Brüller der Saison besinnungslos gehypt, Helene Hegemann, und beim ersten Lesen denkt man, fast erschrocken, ja, da könnte Potential sein. Da würgt ein sehr junger Mensch extrem aggressiv und drastisch in einer angeblich bis dahin noch nicht gehörten Sprache seine Lebensangst, seine Verzweiflung, sein Weltelend hinaus, und man fühlt sich daran erinnert, wie man selber einmal war, so vollkommen daneben, hilflos in tiefster Not, ohne Trost und Hoffnung, so innerlich zerstört und ratlos, berstend vor Wut und Haß, und man ist ergriffen und angeekelt und wundert sich, wie es möglich war, dennoch überlebt zu haben, und wie man es geschafft hat, das Unerträgliche zu ertragen oder einfach nicht mehr wahrzunehmen, ja an der Unerträglichkeit dieser Welt sogar noch mitgewirkt zu haben.

Lange hält der Anflug von Nostalgie nicht an, denn wahrscheinlich trifft Maxim de Biller ausnahmsweise mal das richtige, wenn er sagt, niemand über 30 solle dieses Buch lesen. Allzu bald beginnt Helenes aufgemotzter Fickofacko-Girlie-Schnack stark zu nerven, vor allem weil er nicht unmittelbar juvenil daherkommt, also aus des Leidens Mitte, sondern ständig reflektierend vor- und nachgespült wird. Helene will nicht nur die große, an der Zeit Leidende, die geistig-seelisch Verkommene und Verwüstete sein, sie will auch noch intellektuell und diskursmäßig über sich stehen, und damit übernimmt sie sich gewaltig.
Warum wird so ein Buch eigentlich ausschließlich von alten Säcken (Herrn de Biller rechnen wir, mit Verlaub, dazu) rezensiert, fragt man sich da, warum nicht von 17-jährigen, das wäre vielleicht noch interessant? Die müßten sich doch angesprochen fühlen, in diesem Text sich wiederfinden, oder wie das heißt.
(Von Roman zu sprechen ist übrigens völlig fehl am Platz, Ergießungen eines erfahrungslosen Daseins hätte voll gereicht.)
Das ganze Ding wirkt einerseits spontimäßig aufgeschnappt andererseits kalkuliert und ausgeklügelt, und da wundert es nicht groß, wenn man erfährt, daß die umtriebige Helene offenbar recht ausgiebig irgendwo abgekupfert hat, und sie findet das normal, ja selbstverständlich, denn etwas originell Eigenes, individuell Unverwechselbares könne es in diesen maroden Zeiten nicht mehr geben, allenfalls Echtheit (aber was ist das?), selbstverständlich unter Hinweis auf die Allverfügbarkeit des Internets und den Postmodernismus, dessen gängigstes ästhetisches Mittel das Zitat ist.

Zwar ist das so ganz falsch nicht, zu dumm nur, daß wir ähnliche Ausreden für mangelndes künstlerisches Vermögen schon vor 50 Jahren hören mußten, damals noch ohne Internet. Kunst ward in Bausch und Bogen als affirmativ stabilisierende Tätigkeit diffamiert, als ein sich ständig selbst repetierendes Quietiv des kapitalistischen Systems, folgerichtig war alles recht und billig, was dieses vermeintliche Konzept von Kunst destruierte. Aus genau diesem Milieu stammt Helene Hegemann, deren Vater Carl Hegemann als Dramaturg unter Frank Castorf am Berliner Volkstheater tätig war, einer Institution, die sich um die Prekarisierung des Theaters weidlich verdient gemacht hat.
Am Busen solcher Subkultur ward Helenen geistig genährt, da hat sie ihren Ennui aufgesaugt, und dort sind auch die Verbindungen zum Lit-Betrieb, die eine rasche Veröffentlichung dieser Kalamität erst möglich machten.

Aufs peinlichste decouvriert sich dabei wieder einmal das Rezensentenwesen selbst, das sich wie immer von jedem Scheiß korrumpieren läßt, wenn nur der Radau groß genug ist. Ganz besonders dämlich ist das Geschmarre von Remix, Mashup, Intertextualität und was nicht noch, um den unbekümmerten Textklau als künstlerisches Verfahren zu exkulpieren. Die alten Säcke wollen sich ihr neues Girlie-Wunder einfach nicht mehr wegnehmen lassen, das stinkt fast nach Pädophilie, denn Helene spricht brutal so manches aus, wovon diese Herren vermutlich nicht mal mehr zu träumen wagen. Man denke nur an jene Bilder aus dem Fernsehen, wo die (pardon) leicht mollige Dichterin dem schwer ergrauten Harald Schmidt und seinem süffisant mümmelnden Grinsen gegenübersitzt, das spricht Bände.

Solcherlei Hintergründe ernüchtern nicht wenig, sie nehmen dem Buch den letzten Rest jenes Echten, um das es der Autorin explizit zu tun ist, trotz der angeblich reichlich konsumierten Drogen. Drogen gab es ja immer, und wieso sollten Crack und Ecstasy qualitativ wirksamer sein als einst Koks und LSD, wenn das malträtierte Gehirn nichts Besseres hergibt?
Scheiße drauf sein, Pornos gucken und Drogen nehmen, das bringt es eben nicht. Drogen stimulieren in der Regel nur nivellierende Redundanz. Das ist in Kürze der ganze Jammer des Neuroenhancements und dieses Buchs.

Wie man hörte, nimmt aber Helene selber gar keine Drogen, dann wäre sogar das nur Erdachtes, Angelesenes, Kopiertes und nicht Erlebtes. Autobiographie funktioniert aber nur dann, wenn es eine Biographie überhaupt schon gibt, doch autobiographisch soll das Buch ja auch wieder nicht sein. Was aber dann?
Sagen wir es so: die Hegemannschen Schreibversuche gehören in den großen Bottich unausgegorener Kompensationskunst, die sich einem fundamentalen Mangel verdankt, den wir hier einmal ganz altfränkisch Mangel an gelebtem Leben nennen möchten, und die Autorin weiß das, oder sie ahnt es zumindest, durch jede Zeile scheint es hindurch, denn blöd ist sie nicht, im Gegenteil: Mir wurde eine Sprache einverleibt, die nicht meine eigene ist. Diese Sprache ist sehr lebendig, obwohl einige Worte extrem überstrapaziert werden. Um die abgehobene Glätte glaubhaft durch all den passierenden Wahnsinn zu tragen, ist wichtig, daß der Text fehlerfrei und perfekt gegliedert ist.(S. 49)
Helene bringt es selber auf den Punkt. Sie ist sich ihrer selbst zu sehr bewußt auf eine unangenehm frühreife und fremdbestimmte Weise, andererseits auch wieder nicht, sonst hätte sie dieses Buch nicht geschrieben. Sie hat keine eigene Stimme, sie überspringt das Leben und zieht eine Summe, deren Summanden sie nicht kennt. Sie ist sich selbst ganz und gar entfremdet, sie weiß nicht, was sie will, und erst recht nicht, was sie nicht will. Sie ist nicht viel mehr als der Reflex einer unübersichtlich gepolten Welt, die sie nur halb versteht, eigentlich überhaupt nicht.

Die Welt nicht zu verstehen ist leider keine besondere Leistung, wir verstehen sie auch nicht, aber diesen Zustand in einen Roman zu transponieren, verlangt andere Kompetenzen als dauerhafte adoleszente Verstimmung.
Das ist alles höchst betrüblich, und wir können daher Helene Hegemanns Buch als Bestandsaufnahme einer irgendwie gearteten Befindlichkeit leider überhaupt nicht ernstnehmen, wir glauben ihr kein Wort.

Sabine Sense-Sähbelmann






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