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Ausschnitt aus PATER MUFFIN von Lothar Niesch
Bäckermieze verstummte, blickte niedergeschlagen, oder voller Reue das war nicht ersichtlich zu Boden, während Kater Muffin seinen mächtigen Schädel schief legte, eines seiner dicken und schweren Lider anhob und mit offensichtlichem Missfallen die mit Mehlstaub bepuderte Katze beäugte. Vier keuchende Jungkater hatten eine Kiste beträchtlicher Größe neben Bäckermieze in den schmutzigen Sand gestellt.
Warum kommst du nicht gleich zu mir?, fragte Kater Muffin mit rauchiger Stimme, wobei er seinen Schädel, der, von der schwarzen Farbe seines Fells abgesehen, an einen Basketball erinnerte, von einer Seite auf die andere legte. Wir kennen uns viele Jahre, fuhr Muffin fort, nie hast du mich in die Stube deines Zweibeiners eingeladen, mir etwas von diesen Backsachen angeboten, hast keinen Wert auf meine Freundschaft gelegt. Was, so frage ich mich jedes Mal, wenn ich dich sehe, habe ich getan, dass du mir so respektlos begegnest? Du sagst nicht einmal Pate zu mir. Und jetzt kommst du zu mir und bittest mich um Hilfe. Ich meine wärest du in Freundschaft gekommen, dann
Kater Muffin verstummte. Ja, was dann eigentlich?
Bäckermieze hatte noch nicht viel gesagt, nur, dass sie mit ihm sprechen müsse. Sie sah, wenn man es objektiv betrachtete, auch nicht gerade beschämt zu Boden, wohl eher genervt oder gelangweilt. Jetzt sah sie auf, stieß die Luft aus und sagte: Zur Dogge noch mal, kannst du nicht endlich mit diesem Pate-Scheiß aufhören? Außerdem komme ich immer zu dir und überhaupt was soll der Blödsinn, von wegen ich hätte dich noch nie eingeladen und dir Backwaren angeboten?
Gespielt konsterniert blickte Kater Muffin von seinem erhöhten Sitz, den ihm ein mit dicken Kissen gepolsterter Leiterwagen verschaffte, auf Bäckermieze herab. Muffin konnte es mit seiner Größe und Statur locker mit einer englischen Bulldogge aufnehmen, weswegen er es bei einem Standortwechsel vorzog, in seinem wurmstichigen Leiterwägelchen (das vor Generationen einem Zweibeinerwelpen als Spielzeug gedient haben mochte) zu sitzen und sich von zwei aufstrebenden aber mittellosen Jungkatern ziehen zu lassen, wie es sie in der Katzengemeinde des Hafenviertels zu Dutzenden gab.
Kater Muffin war das unumstrittene Oberhaupt des Viertels. Unter anderem verdankte er diesen Status dem Umstand, dass er die blökenden Laute nicht nur verstand, mit denen die zweibeinigen Dosen- und Türöffner, Nestbauer und -zerstörer untereinander kommunizierten, er vermochte sogar den gemalten Zustand dieser Laute zu entziffern. Bevor sich Kater Muffin in die jetzige machtvolle Position aufgeschwungen hatte, war er mehrere Jahre der Hauskater des Stadtkinos gewesen. Wäre es nach Muffin gegangen, dann hätte er dieses gemütliche, immer trockene und warme Plätzchen nie verlassen, doch eines Nachts erlitt der Filmvorführer einen Herzinfarkt, kurz nachdem er sich, wie üblich mit seiner letzten Zigarre des Tages, zu Bett gelegt hatte. Die glimmende Zigarre entglitt seiner Hand und steckte erst die Bettdecke, dann das Mobiliar und schließlich das ganze Gebäude in Brand. Muffins Lieblingsfilm war Der Pate gewesen, und nachdem er auf so tragische Weise sein Zuhause verloren hatte, entschloss er sich dazu, das vierbeinige Pendant des Don Corleone zu werden. Mit den ausgehungerten und verlausten Gang-Bossen, die sich das Hafenviertel bis zu seiner Machtübernahme aufgeteilt hatten, hatte Kater Muffin leichtes Spiel gehabt. Er war nicht nur so mächtig und Furcht einflößend wie eine englische Bulldogge, er beherrschte es sogar auf eine Weise zu knurren, die sich anhörte, wie das Knurren einer Bulldoge, kurz bevor sich einem ihre Kiefer um den Nacken schlossen.
Mehr war nicht nötig gewesen und im Handumdrehen hatte er alle Katzen des Viertels um sich vereint, die unterschiedlichen Positionen seines von ihm ersonnenen Staatsgefüges mit, in seinen Augen, qualifizierten Kandidaten besetzt und zuletzt hatte er mit seinem neuen Hofstaat den Speicher der verlassenen Werft bezogen, die am Rande des Hafens der Ewigkeit entgegenmoderte. Sogar ein vergessener und winziger Strandabschnitt, den drei zerrupfte Palmen beschatteten, gehörte zu Muffins Residenz, in der er nun im fünften Jahr regierte. Auch jetzt saß er in seinem Leiterwägelchen an diesen Strandabschnitt, wo er heute, wie gewöhnlich zu dieser Stunde, Recht über sein Volk sprach.
Doch anstatt entspannt von seinem Platz auf sein Lebenswerk herabzublicken, hatte er allen Anlass, sich um den Fortbestand seines kleinen Königreichs zu sorgen. Unter den Zweibeinern machte es die Runde, dass das alte Werftgebäude abgerissen werden sollte. Der Bürgermeister und einige windige Investoren (diesen Begriff hörte Muffin in der Zweibeinerwelt immer öfter, ohne genau sagen zu können, was damit gemeint war) planten ein neues Vergnügungsviertel, direkt neben den Kaimauern der einstigen Werften. Ob Bäckermieze diesbezüglich etwas Neues gehört hatte? Auch Bäckermieze war imstande, die Blöklaute der Zweibeiner zu verstehen.
Was wolltest du eigentlich noch mal?, fragte Muffin die Katze, beäugte dabei misstrauisch die opulente Holzkiste.
Bäckermieze verdrehte die Augen, verbeugte sich theatralisch und flötete: Oh Pate, oh Pate, ich krieche im Staub vor deiner Weisheit, weshalb ich hier erscheine und in aller Demut frage, was wir mit ihnen machen sollen?
Machen?, fuhr es Muffin durch den Kopf. Und von wem sprach Bäckermieze überhaupt? Muffin öffnete sein zweites Lid, stützte sich auf seine Vorderpfoten und fragte: Was machen? Und mit wem? Zweifellos ging es bei Bäckermiezes befremdlicher Wortwahl um diese vermaledeite Holzkiste.
In diesem Moment stürmten Lefty und sein Kumpel Shorty um die Ecke der Werfthalle und warfen sich neben Bäckermieze kopfüber in den Sand. Beides waren eingewanderte amerikanische Kater, die sich schwer damit taten, sich in die differenzierte Gemeinde der barcelonischen Hafenkatzen zu assimilieren. Außerdem hatten beide furchtbare Angst vor Al Quaida, ohne benennen zu können, was genau das war, doch machte genau diese Angst die beiden Amis zu herausragenden Wachposten. Ihnen entging nicht einmal ein vom Wind verlegtes Sandkorn. Jetzt blickten beide abwechselnd und voller Angst über ihre Schultern.
Sie kommen, Boss!, nuschelte Lefty, aufgeregt von einer Pfote auf die andere tretend.
Ja, Boss, ereiferte sich Shorty. Und sie haben so ein Dings, so ein Dings, du weißt schon, mit diesen Dingern unten dran und einem anderen Ding vorne und oben, aus so einem langen Ding kommt schwarzes Qualmdings raus und
Shorty verstummte, schluckte die Worte runter, denn Muffin hatte eine seiner Pranken erhoben.
So gut diese Amis als Wachtposten auch waren, in ihrem fast schon kindlich zu nennenden Eifer, interpretierten sie die beobachteten Vorgänge zumeist ziemlich falsch. Einmal hätten sie fast einen Krieg mit der Hunde-Mafia angezettelt, nur, weil sie einen Yorkshireterrier für eine mutierte russische Ratte aus Tschernobyl gehalten hatten und davon ausgegangen waren, dass die Hunde-Mafia das Hafenviertel nuklear konterminiert hatte. Kater Muffin würde wohl selbst nachsehen müssen, mit was für einem Dings sie kamen und außerdem musste er noch herausfinden, wer mit sie gemeint war. Allerdings hegte er diesbezüglich eine Vermutung. Er winkte seinen beiden Jungkatern zu, die sich mit hängenden Schultern die Riemen umlegten, mit deren Hilfe sie Muffin und sein Gefährt hinter sich herzogen. Mit einem weiteren Wink rief er seine persönliche Leibgarde Krallen-Miguel, Eckzahn-José und Stummel-Angelo herbei, die sich von ihrem schattigen Plätzchen erhoben und auf den Strand spaziert kamen.
Sie sind gleich da!, bekräftigte Lefty, wobei er eine Pirouette drehte und erneut zur Ecke des Werftgebäudes deutete.
Erst, sagte Muffin lässig, und bedachte Bäckermieze mit einem Blick, wollen wir sehen, was sich in der Kiste befindet. Miguel sei doch so gut, und öffne sie für mich.
Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist, gab Bäckermieze zu bedenken.
Muffin hob eine Augenbraue, was in seinem fleischigen Gesicht nicht weiter auffiel. Und weshalb nicht?
Bäckermieze zuckte mit den Schultern und erwiderte: Keine Ahnung. Vielleicht, weil ich sie mit Insektenvernichtungsmittel betäubt hab, eben weil sie aussehen wie überdimensionierte Ameisen, die in einem Scheibending rumfliegen und mit irgendwelchen Strahlenkanonen um sich schießen? Außerdem haben sie so ein Translaterdingens mit dessen Hilfe sie unsere Sprache sprechen, zudem faseln sie ständig von einer zu initiierenden Akzeleration, die sie noch abschließen müssten und dann würden wir vor ihnen im Staub kriechen und dieser ganze Mist.
Akze was?, entfuhr es Muffin. Einen Begriff wie diesen hatte er noch nie gehört. Zudem war er jetzt gespannt wie ein Flitzebogen, mit was für Kreaturen ihm Bäckermieze diesmal aufwartete.
Klingt verdammt gefährlich, Boss!, mischte sich Lefty ein, wie es dem üblichen Vorgehen seiner Landsleute entsprach. Einmischen, zuschlagen und anschließend fragen, was abgeht war typisch für den amerikanischen Kater, aber in diesem Fall hatte er vielleicht gar nicht so unrecht. Sprechende Ameisen, die herumflogen und mit futuristischen Waffen um sich schossen, waren sicherlich mit Vorsicht zu genießen. Andererseits blieb ihnen möglicherweise nicht genügend Zeit für ausgeklügelte Sicherheitsmaßnahmen schließlich kam da ja irgendwer mit einem Dings daher.
Muffin beschloss das Risiko einzugehen und bedeutete Krallen-Miguel die Kiste zu öffnen. Mit einem Stemmeisen hebelte der Anführer von Muffins Schlägertrupp die Kiste auf. Erst entwich ein Schwall Insektenspray, dann ertönte mehrstimmiges Husten, das ziemlich blechern klang und einen Wimpernschlag später erhob sich eine blinkende, metallene Scheibe aus der Holzkiste, schwebte oszillierend etwa eine Katzenhöhe über der geöffneten Kiste. Die anwesenden Katzen ergingen sich in erstaunten Ahs und Ohs, dann beobachteten sie das Öffnen einer Luke an der Oberseite der mit Blinklichtern versehenen schwebenden Scheibe.
Shikomo © http://www.shikomo.de Weitere Leseproben
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