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Ausschnitt aus KATZENMOND von Arne Kilian
Die Sonne berührte den Horizont und das Treiben am Hafen wurde ruhiger. Ich werde fortgehen, sagte sie und beobachtete, wie der Feuerball allmählich im Meer erlosch.
Willst du in die Stadt? Hast du Hunger, Snowball?, fragte Freddy.
Das meine ich nicht. Richtig weggehen. Das Land verlassen. Ich habe eine Menschenfamilie gefunden, die mich putzig findet. Sie reisen morgen ab, und wenn ich den Kindern am Wagen um die Beine streiche, mir den Bauch von den Eltern kraulen lasse, wird es ihnen das Herz brechen, mich hier zurückzulassen. Da bin ich mir sicher. Snowball stieß mit ihrer Tatze in Freddys Seite.
Im Lauf der Zeit habe ich gedacht, dass es dir bei uns gefällt. Hier am Hafen haben wir es doch gut! Die Fischer teilen ihren Fang mit den Katzen. Wir räkeln uns in der Sonne, schlafen auf der Kaimauer und müssen einfach hierbleiben, um im Paradies zu leben. Freddy machte einen Buckel, streckte dann seine Pfoten aus und stellte sich vor Snowball. Was fehlt dir hier? Ich dachte, dass du glücklich bist.
Du machst es mir schwer und ich bereue jetzt schon, dir von meinem Plan erzählt zu haben. Aber ich ... ich bin es dir schuldig ... denn ..., weiter sprach sie nicht, stand auf und stupste ihn mit ihrer Nase an. Das ist gemein von dir! Du weißt doch selbst, dass ich nicht von hier stamme.
Wie unterschiedlich können denn schon der Hafen in Hamburg und unser spanischen Fischerhafen sein? Wasser, Schiffe und Fisch. Was ist daran in deiner Heimat besser? Freddy wich nach hinten aus, als Snowball ihn gerade mit der Schläfe am Hals berühren wollte.
Der Unterschied ist riiiiesig, schnurrte sie und setzte sich elegant auf die Hinterpfoten. Aber darum geht es mir nicht. Ich stamme nicht vom Hafen. Meine erste Familie wohnte in der Innenstadt in einer Dachwohnung, aber dahin will ich gar nicht zurück.
Sie haben dich ja auch einfach zurückgelassen, ergänzte Freddy.
Das weiß ich nicht so genau. Irgend so ein dahergelaufener Kater hat mich damals die ganze Nacht durch die Straßen geführt, bis ich total erschöpft in einem Pappkarton eingeschlafen bin. Die Menschen sind dann natürlich ohne mich zurückgefahren.
Freddy schnurrte. Das war eine tolle Nacht. Katzenmond, wenn ich mich richtig erinnere so wie heute übrigens auch.
Mag sein. Die Sonne war verschwunden und der Vollmond leuchtete auf die Schiffe, die im Wasser schaukelten.
Es hat dir damals gefallen. Das wissen wir beide, und wenn deine Familie dich wirklich vermisst hätte, dann ... Freddy sprach nicht weiter, denn er spürte, dass er damit eine Grenze bei ihr überschritt. Es hatte Wochen gedauert, bis Snowball den Verlust verarbeiten konnte. Er war ihr dabei niemals von der Seite gewichen. Sie eine weiße, reinrassige Hauskatze und er ein streunender Hafenkater von Geburt an. Beide hätten nicht unterschiedlicher sein können, doch genau das hielt sie die bisherigen Monate zusammen.
Mir hat alles gefallen, aber es ist nicht mein Leben. Verstehst du das? Wenn ich nicht wüsste, dass du hier deine Wurzeln hast, dass dein Herz genau an diesen Fleck der Erde gehört, so würde ich dich fragen, nein, ich würde dich beknien, mich zu begleiten. Aber ich kenne dein Wesen und weiß, dass ich das niemals von dir verlangen könnte. Der Mond spiegelte sich in ihren grünen Augen wider.
Freddy bemerkte, dass sie feuchter als sonst waren und ihm fiel nicht ein, was er sagen sollte. Sie hatte mit allem recht das wusste er selbst und hatte es schon die ganze Zeit über gespürt. Snowball musste ein anderes Leben führen. Sie konnte nicht ständig rohen Fisch essen und irgendwo schlafen ob in einer Holzkiste oder in einem alten Autoreifen. Katzenmond, sagte er mehr zu sich und wiederholte es. Heute ist wieder Katzenmond. Schenke mir diese letzte Nacht und ich verspreche dir, dass du morgen früh pünktlich bei den Menschen auftauchen wirst.
Den Namen habe ich von dir gelernt. Ich werde den anderen Katzen in Deutschland vom Katzenmond berichten. Kannst du mir noch einmal die Geschichte dazu erzählen? Ich höre sie so gerne, bat Snowball, ging zu Freddy und schmiegte sich an ihn.
Ein letztes Mal erzähle ich sie dir und dann begleitest du mich. Das kannst du mir nicht abschlagen! Auch Freddy rückte an sie, roch an ihrem Fell. Nach all der Zeit hatte es sein feines Aroma behalten. Zwar waren die Spuren des Hafens darin vorhanden, doch die konnten nicht überdecken, woher Snowball ursprünglich stammte.
Freddy, ohne dich hätte ich mir schon nach wenigen Tagen neue Menschen ausgesucht. Also lass uns diese Nacht durchleben, als würde der Morgen niemals beginnen, als würde der Mond die Nacht überdauern und ewig über uns sein, raunte sie und schloss ihre Augen.
Das hast du aus meiner Geschichte! Mit seiner Pfote berührte Freddy ihre Nase.
Moment!, entgegnete Snowball und miaute bewusst entrüstet. Deine Geschichte? Ich dachte, dass du sie von deinem Großvater gehört hast, der sie von deinem Urgroßvater kennt ...
Genau! Und deswegen ist es jetzt meine Geschichte! Familientradition eben. Aber ich kann sie auch einfach für mich behalten.
Jetzt fang schon an, du Dickschädel!, wies Snowball ihn an und rollte sich ein.
Von dem Mond hast du bereits erzählt. Gut. Die Erzählung stammt aus einer Zeit, in der eine uralte Insel existierte. Die Menschen nennen sie Atlantis. Wir kennen sie unter einem anderen Namen, aber das weißt du schon alles. In Ordnung. Dort lebten mächtige Wesen bei den Menschen. Sie glichen in ihrem Erscheinungsbild uns Katzen, aber sie konnten mit den Menschen sprechen, liefen sogar auf zwei Beinen ...
Oh!, unterbrach Snowball ihn. Das ist neu. Du hast mir bislang nicht erzählt, dass sie mit den Menschen sprechen konnten.
Das müssen sie doch! Ich dachte, dass das selbstverständlich ist und heute erzähle ich dir eben die ausführliche Version. Also weiter! Die Katzenwesen mochten den Mond viel lieber als die Sonne. Sein Licht war einfach angenehmer für sie. Also versuchten sie einen Zauber zu entwickeln, um die Sonne für immer im Meer zu versenken. So wollten sie sich ihren eigenen Katzenmond erschaffen. Damit ihr Zauber funktionierte, mussten bei einem Vollmond zwei Seelen vereint werden. Sie sollten so eng miteinander fühlen, dass sie sterben würden, falls man sie voneinander trennte. Die Kraft ihrer Liebe war notwendig, um mit dieser Energie in einem speziellen Ritual die Sonne zu vertreiben. Die oberste Priesterin der Katzenwesen wurde ausgewählt, um sich ihre zweite Seele zu suchen, doch leider fand sie in einem Menschen ihren Widerpart. So brachte sie es nicht übers Herz, die Sonne für immer untergehen zu lassen. Schließlich bedeutete den Menschen das Himmelsgestirn sehr viel. Um dem Zorn ihres Katzenvolkes zu entgehen, floh die Priesterin mit ihrem Partner von der Insel. Doch ihr Volk wollte sie nicht gehen lassen und sie musste zur Verteidigung ihrer beider Leben die Energie, die sich durch das Ritual angesammelt hatte, gegen ihr Volk einsetzen. So ging Atlantis unter und nur ein Liebespaar, das ungleicher kaum sein konnte, segelte hinaus in die Welt und suchte sich einen einsamen Platz, um gemeinsam glücklich bleiben zu können. Auf diese Weise ist die Verbundenheit zwischen Menschen und Katzen entstanden. Sie ist ein Echo dieser magischen Vereinigung. Und, fügte Freddy mit einem Lächeln hinzu, man sollte daraus lernen, dass man ein ungleiches Paar, deren Seelen sich gefunden haben, niemals trennen sollte. Denn sonst könnte ein folgenschweres Unglück geschehen.
Das denkst du dir gerade aus und brichst damit unseren Pakt, ehe die Nacht überhaupt begonnen hat, maunzte Snowball. Wohin gehen wir zuerst?, fügte sie an und öffnete die Augen.
Wir gehen etwas essen und dieses Mal gibt es keinen Fisch oder Dosenfutter von einem Touristen, der uns für ein besonderes Foto locken möchte. Mehr verrate ich nicht, aber es wird dir gefallen.
Shikomo © http://www.shikomo.de Weitere Leseproben
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