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emperor-miniature
Ausschnitt aus DAS TANGKNÄUEL von Barbara Büchner
Rasputin murr-maul Miesgesicht fauch kalt-nass-ekelig, aua brrr! Weichbauch sonnenwarm Lichtplatz zu Hause besser für steif Knochen Körper schwerfett
Aber nein, ich fürchte, wir müssen die Geschichte aus dem Kätzischen übersetzen, um sie für andere, weniger gebildete Leser verständlich zu machen!
Also, hier die für den Menschen bearbeitete, stark vereinfachte Fassung: Der riesige, zehn Kilo schwere Maine Coon Kater Rasputin hatte nicht viel übrig für die Urlaubswochen in der Ortschaft Pilar Maria an der spanischen Meeresküste, zu denen sein Personal ihn jeden Sommer zwang. Er war nicht mehr der Jüngste, hatte seine festgefahrenen Gewohnheiten und war ein Wohnungskater von echtem Schrot und Korn, dem es durchaus genügte, in Berlin auf einem Fensterkissen im zweiten Stock zu liegen und das Treiben draußen zu beobachten, wobei er in Gedanken auf Kätzisch zynische Kommentare über die vorbeihastenden Autos, Menschen und Hunde machte. Es ging ihm dort gut. Warum in aller Welt sollte er da zur Erholung drei Wochen lang in einem völlig fremden Haus wohnen, einer komischen Hütte aus weiß gestrichenen Baumstämmen, und tagsüber auf der winzigen Veranda zwischen den Oleanderbüschen liegen, an der den ganzen lieben Tag lang kaum zwei Spatzen vorbeikamen? Er mopste sich schier zu Tode, denn sein Personal verschwand entweder schon in aller Frühe in der riesigen, roten Blechbüchse, die er Brüllrauchstinker nannte, oder sie planschten von früh bis spät in dem widerlichen blaugrünen Element herum, in das er keine Pfote gesteckt hätte. Was in aller Welt fanden die Leute daran, sich nass zu machen? Schlimm genug, wenn es einem zufällig passierte, wie es der Fall gewesen war, als sich eine Nachbarin in der Stadt von seinem tremolierenden Liebesgesang genervt gefühlt und ihm einen Krug Schmutzwasser über den Kopf geschüttet hatte, gerade als eine Katzendame anfing, auf sein raffiniertes Gesülze zu reagieren. Aber dass man auch noch absichtlich in das eklige Zeug stieg! Und was noch schlimmer war, er wurde den Verdacht nicht los, dass sein Personal überhaupt nur zu dem Zweck in diese heiße, hinterwäldlerische Gegend fuhr, um vom Sand ins Wasser und wieder zurück hüpfen zu können, wobei sie schrille, misstönende Jauchzer von sich gaben. Seltsame Kreaturen waren die Menschen, für ein vernünftiges Lebewesen wie eine Katze kaum zu verstehen!
Wenigstens aber gab es häufig frischen Fisch, und das Holzgeländer der Veranda war breit genug, dass er darauf liegen und sich die Sonne auf den rot-weiß gescheckten Pelz brennen lassen konnte. Und als er eben meinte, es vor Langeweile nicht mehr aushalten zu können erschien das Tangknäuel.
Rasputin hatte dem spinatgrünen Ding vom ersten Augenblick an misstraut, und das nicht nur, weil es nass war und schauderhaft roch. Er war ein erfahrener alter Kater und hatte deshalb eine gute Vorstellung davon, welche Bewegungen für verschiedene Lebewesen natürlich und angebracht waren. Er wusste, dass Menschen sitzen und stehen, rennen und springen konnten, aber niemals senkrechte Wände hinaufliefen, während Spinnen zwar geschickte Fassadenkletterer waren, aber nicht ihrem eigenen Schwanz nachjagen konnten (zumal sie keinen besaßen), und Hunden gelang es ihre Gestalt von einer vierbeinigen in eine zweibeinige, aufrechte zu wandeln, aber ebenso wenig zu klettern wie Menschen. Ratten konnten springen, schwimmen und sich groß machen, aber nicht fliegen; Vögel konnten fliegen, aber nicht schwimmen. Er wusste also genau, wann sich ein Lebewesen nicht den Vorschriften der Schöpfung gemäß verhielt, und deshalb zogen sich seine Bernsteinaugen zu argwöhnischen Schlitzen zusammen, als er das Knäuel beobachtete. Seetang den er auf kätzisch Grünschleimblubberhaar nannte gab es hier jede Menge. So oft die Flut heranrollte, trug sie Matten von dem übel riechenden Geflecht herbei. Wenn sie sich zurückzog, blieb es auf dem Sand liegen, faulte und moderte und dampfte in der glühenden südlichen Sonne, bis die nächste Flut seinen Kadaver begrub. Nie aber hatte Rasputin ein Knäuel Tang gesehen, so groß wie ein Menschenkopf, das in verstohlener Hast die sanfte Böschung herauf und direkt unter das Haus das auf Stelzen stand rollte. Er überlegte, ob er der Sache nachgehen solle, bedachte sich aber dann, dass er schließlich kein Wachhund war, und hätte das Knäuel vergessen, hätte da nicht eine Stimme über seinem Kopf gejammert: O weh, jetzt seid ihr dran! Jetzt kommt die Pest!
Es war eine dünne, schrille Stimme, und sie gehörte einer haselnussbraunen Langnasen-Zwickzahn-Bommelbauchschwänzlerin, die oben auf der Dachrinne herumturnte, in genau berechneter Entfernung von der maximalen Distanz, die ein alter Zehn-Kilo-Kater ohne Anlauf springen konnte.
Was heißt Pest?, fragte Rasputin, der als tierarztgepflegter Wohnungskater glücklicherweise nicht viel Erfahrung mit schrecklichen Krankheiten hatte.
So was wie Räude, antwortete die braune Ratte (bleiben wir bei der Kurzform). Und als sie merkte, dass er auch die Räude nicht kannte, fuhr sie etwas gereizt fort: Es ist eine Art zu sterben, und eine recht unangenehme dazu. Man wird schwach, hat Schmerzen und Fieber, bekommt dunkle Flecken und fällt zuletzt tot um jedenfalls, wenn man eine Ratte oder ein Mensch ist. Bei Katzen weiß ich es nicht. Trotzdem, an deiner Stelle würde ich mich aus dem Staub machen, denn jetzt ist es noch unter dem Fußboden, aber wenn in der Nacht alle deine Leute schlafen, rollt es unter ihr Bett, und dann werden sie krank und sterben.
Warum?, brummte der Kater, der sich nicht sicher war, ob die Ratte ihn nicht zum Narren hielt. Die Langnasen waren ein hinterhältiges, verschlagenes Volk, das immer irgendwelche bösen Pläne wälzte. Vielleicht wollte sie ihn nur von seiner Veranda vertreiben.
Ach, das ist eine lange Geschichte, und ich habe jetzt wirklich nicht die Zeit, sie dir zu erzählen, erwiderte die Ratte und stellte sich, als wolle sie davonspringen was sie aber natürlich nur tat, um sich wichtig zu machen und Rasputins Neugier zu reizen. Der Trick wirkte alle Rattentricks funktionieren gut und nach längerem Hin und Her erklärte sich die Langnasenschwänzlerin bereit, von dem Tangknäuel zu erzählen, unter der Bedingung, dass er einen Teil seines Abendessens für sie übrig ließ.
Es ist ziemlich lange her, begann sie, aber du kannst sicher sein, dass die Leute hier am Ort die Ereignisse noch sehr gut in Erinnerung haben, denn nichts hält sich so lange wie die Erinnerung an eine schlimme Schuld. Du kennst doch Schiffe, oder?
Natürlich!, antwortete Rasputin, der bis zu seinem ersten Sommeraufenthalt noch nie ein Schiff gesehen hatte und entsetzlich erschrocken war, als plötzlich ein heulendes und brüllendes Riesengeschöpf auf dem ohnehin verhassten Wasser aufgetaucht war. Später waren noch mehr gekommen, und er hatte herausgefunden, dass sie nicht die Absicht hatten, ihn anzugreifen, und war unter dem Bett hervorgekommen, wenn sie draußen an der Bucht vorbeiglitten. Aber er hatte sie nie leiden können. Sie waren groß, laut und ordinär, und ihr hohl tönender Gesang war eine Qual für musikalische Katzenohren.
Na, dann brauche ich dir ja nichts extra zu erklären, sagte die Ratte. In alter Zeit, bevor der Hafen drüben, sie streckte ihren Schwanz wie einen Zeigestab und wies in Richtung der modernen Anlegestelle jenseits des Vorgebirges, gebaut wurde, legten die Schiffe oft hier in der Bucht an, und das war den Leuten von Pilar Maria nur recht, weil es dann hübsche und nützliche Dinge zu kaufen und auch einiges zu stehlen gab. Aber sie wussten, dass auch immer eine Gefahr damit verbunden war, denn auf manchen dieser fremden Schiffe fuhren Seeräuber oder Söldner, die dann plünderten und verwüsteten, und auf manchen fuhr ein noch viel schlimmerer Fahrgast mit, nämlich die Pest.
Rasputin wollte etwas fragen, aber sie bedeutete ihm, dass man Erzähler nicht unterbrechen durfte, weil sonst die Spannung verloren ging, und fuhr fort: Wer da an Bord war, erkannte man daran, dass Schiffe mit verdächtigen Kranken an Bord eine gelbe Flagge hissen mussten, um allen anzuzeigen, dass Gefahr im Verzug war. Alle Leute, die in Hafenstädten und entlang der Küste wohnten, hatten Angst vor den Pestschiffen und erlaubten ihnen nicht, in ihren Buchten und Hafenbecken zu ankern, denn wo die Pest einmal war, da blieb sie. In den Hafenstädten fuhr die Küstenwache hinaus und zwang diese Schiffe, entweder weiterzufahren oder auf offener See liegen zu bleiben, bis entweder alle an Bord gestorben oder wieder gesund geworden waren, weil sie gar nicht die Pest, sondern eine andere, harmlose Krankheit gehabt hatten. Aber hier in Pilar Maria hatte man keine Kanonen und keine Kriegsschiffe mit bewaffneten Männern, man hatte eigentlich gar keine Möglichkeit, ein solches verseuchtes Schiff zu zwingen, dass es sich von der Ortschaft fernhielt nun, das heißt, eine Möglichkeit hatten sie schon, aber die war so niederträchtig wie eine Rattenfalle.
Sie wurden kurz unterbrochen, weil jemand vom Personal zum Haus kam, Rasputins Wassernapf frisch füllte und ihm von dem Fisch mitbrachte, den sie unter am Strand gegrillt hatten. Der Kater der sehr neugierig auf die Geschichte war gestattete der Langschwänzlerin großzügig, sich von seiner Mahlzeit zu bedienen, und nachdem das Personal verschwunden war und sie wieder ihre Ruhe hatten, erzählte sie weiter.
Pilar Maria lag an einer halbmondförmigen Bucht, zu deren beiden Seiten sich Felsklippen in die See hinausschoben. Wie die Scheren eines grauen Krebses sahen sie aus. Der linke dieser beiden Felsentürme war ungefährlich, er reichte glatt wie eine Marmorsäule bis zum Meeresgrund, aber der rechte den die von Süden kommenden Schiffe als Erstes sahen war heimtückisch. Die Ratte hatte recht gehabt, als sie ihn mit einer Falle verglich, denn unterhalb der steilen Klippen, vom Meeresboden bis wenige Fingerbreit unter die Wasseroberfläche, ragte ein Gewirr zackiger Riffe. Geriet ein Schiff in diesen Teil des Gewässers, so schlitzten die Zacken seinen Bauch auf, und es lief auf Grund inmitten tückischer Strudel, die alle von Bord Fliehenden in die Tiefe zogen. Um die Schiffe an dieser gefährlichen Klippe vorbei sicher in den Hafen zu lotsen, zündeten die Leute von Pilar Maria bei Nacht ein weithin sichtbares Feuer und bei Tag einen Eisenkorb mit feuchtem Holz, der eine dicke Rauchsäule in den Himmel sandte, auf der linken Krebsschere an. Aber eines Tages machte eine fremde Brigg mit einer gelben Flagge am Mast Anstalten, in den winzigen Hafen einzulaufen es zog nämlich ein Sturm auf, und der Kapitän wollte nicht riskieren, zum nächsten größeren Hafen weiterzusegeln. Und da zündeten die Dorfbewohner das Leuchtfeuer auf der rechten, der tödlichen Klippe an. Man kann sie ja vielleicht verstehen, sagte die Ratte. Niemand will an der Pest sterben, und das Schiff schwankte und torkelte auf den Wellen, als wüsste der Steuermann nicht mehr, was er tat, oder die Matrosen waren zu krank, um seine Befehle auszuführen. Aber eine Sünde und ein Verbrechen war es trotzdem, die armen Teufel in den Tod zu locken. Einen schrecklichen Nachmittag lang kämpfte die Brigg darum, sich aus dem scharfzähnigen, steinernen Labyrinth zu befreien, aber immer mehr Lecks brachen in ihrem hölzernen Bauch auf, und als die Mannschaft und die Passagiere dann ins Wasser sprangen, wurden sie von den schäumenden Strudeln in die Tiefe gezogen und zwischen den Felsen zerschmettert. Am Abend war das Schiff mit Mann und Maus in der Tiefe versunken, und die Leute von Pilar Maria gratulierten einander, wie geschickt und klug sie die Gefahr abgewendet hatten.
Rasputin wagte keinen Kommentar abzugeben, um die Ratte nicht beim Erzählen zu stören, aber das rot-weiß gestromte Haar auf seinem Rücken stellte sich zu einem borstigen Kamm auf. Er legte die Ohren an. Auch Katzen wissen, was eine Schweinerei ist sogar besser als Menschen. Sie sahen nach, erzählte die Ratte weiter, ob irgendetwas von dem Schiff und seinen Leuten an den Strand gespült worden war, denn das hätten sie auf der Stelle mit Öl übergossen und angezündet. Nicht einmal der gierigste Strandräuber würde etwas an sich nehmen, das von einem Pestschiff stammt. Aber sie fanden nichts, keinen Holzsplitter, keinen Kleiderfetzen, kein Stück Leinwand. Nur der grüne Tang wogte und wallte und schaukelte auf dem Wasser, wo der Strand flach war.
Unwillkürlich blickten beide zu dem Haus hinüber, unter dem sich im Schatten der Stelzen das unheimliche Knäuel versteckte.
Und damit ist die Geschichte zu Ende?, fragte Rasputin etwas enttäuscht.
Die Ratte kicherte schrill. Oh nein, oh nein! Sie fing erst richtig an!
Shikomo © http://www.shikomo.de Weitere Leseproben
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