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Ausschnitt aus DAS LIED DES MEERES
von Tanya Carpenter
Das Boot hatte kaum im Hafen angelegt, als auch schon ein schwarzer Blitz daraus hervorschoss und über die Kaimauer hinweghuschte.
Ja, Mo. Beeil dich. Heute schaffst du es vielleicht, rief Juan seinem Kater hinterher und grinste über das ganze Gesicht.
Mo rannte, so schnell ihn seine weißen Pfoten trugen, durch das kleine Fischerdorf, dann die Felsen hinauf, bis er oben auf der Klippe über der großen Bucht stand. Völlig außer Atem, mit bebenden Flanken und zuckendem Schwanz stand er dicht am Rand, von wo er in die Bucht unter sich blicken konnte.
Gewonnen!, scholl ihm bereits ein Ruf aus der Tiefe entgegen. Begleitet von glockenhellem, keckerndem Lachen.
Blanca!
Mo seufzte. Aber nicht aus Enttäuschung, weil er wieder einmal gegen seine Freundin verloren hatte, sondern weil sein Herz vor Liebe überquoll. Es spielte keine Rolle, dass er ein ums andere Mal gegen sie verlor, weil sie im Wasser einfach viel schneller war als er. Da konnte der Wind noch so günstig stehen, das Boot seines Freundes Juan konnte es niemals mit einem Delphin aufnehmen. Blanca sprang halb aus dem Wasser und vollführte einen Freudentanz. Die Sonne brachte ihre glatte, graue Haut zum Glänzen und spiegelte sich in ihrer weißen Rückenflosse. Dieses ungewöhnliche und daher besondere Merkmal einte sie beide den Kater und das Delphinweibchen. Während die Haut aller anderen Delphine in Grautönen changierte und nur der Bauch etwas heller war, leuchtete Blancas Rückenflosse regelrecht aus dem dunklen Wasser hervor. Hell wie die Gischt. Oder wie die fahle Mondscheibe am Nachthimmel. Auch Mo trug eine ungewöhnliche Zeichnung. Sein gesamtes Fell war lackschwarz und glänzte in der Sonne wie eine Paua-Muschel, nur die Pfoten und die Ohren waren weiß, sowie ein länglicher Fleck auf seinem Rücken. Genau dort, wo bei Blanca die weiße Flosse emporragte. Auch sonst unterschied sich Mo von den anderen Katzen im Dorf. Während seine Artgenossen Mäuse oder Vögel jagten, sich im warmen Sand in der Sonne räkelten oder eine der vielen Schalen mit Milch, Fisch und anderen Leckereien heimsuchten, die von den Dorfbewohnern für die Samtpfoten herausgestellt wurden, fuhr Mo lieber mit Juan hinaus aufs Meer, um zu fischen. Damit verdiente Juan seinen Lebensunterhalt. Es war nicht viel, doch es reichte für sie beide. Alle anderen Katzen des Dorfes mieden das Meer wie der Teufel das Weihwasser, doch Mo liebte es. Es war unbeschreiblich, den frischen Seewind im Fell zu spüren, das Salz des Meeres auf der Zunge zu schmecken und die abertausende von Gerüchen aufzunehmen, die der Ozean bereithielt. Solange er denken konnte, war er bei Juan und ebenso lange fuhr er mit ihm Tag für Tag hinaus.
Mo malte sich oft aus, welche Geheimnisse unter der in Azur und Türkis schimmernden Oberfläche wohl liegen mochten. Manchmal erzählte ihm Blanca von ihrem Zuhause nahe des Meeresgrundes, doch die Sehnsucht, all diese Mysterien einmal selbst zu erkunden, konnte damit nicht gestillt werden. Abends, während Juan in der Kneipe mit den anderen Fischern noch einen Schlummertrunk zu sich nahm, saß Mo auf den Klippen und sprach mit Blanca über seine Träume und sie ersannen gemeinsam, was sie alles dort zusammen unternehmen würden, wenn es ihm einmal möglich wäre, sie in die Tiefe zu begleiten. Blanca lebte die meiste Zeit mit ihrer Familie im offenen Meer, aber einmal am Tag kamen sie in die kleine Bucht des verschlafenen portugiesischen Fischerdorfes und sangen dort ihr Lied oder vollführten kleine Kunststücke, die ihnen nie jemand beigebracht hatte. Sie taten dies aus purer Lebensfreude und die Touristen, die sich zuweilen hierher verirrten, liebten das abendliche Schauspiel und verweilten gerne länger in den beiden Tavernen, um sich von den Fischern Geschichten erzählen zu lassen. Eine davon war stets die von Mo und Blanca und ihrer unerschütterlichen Freundschaft. Jeder hier, nicht nur Juan, war davon überzeugt, dass die beiden miteinander kommunizierten und gemeinsam sangen, auch wenn sich die Mischung aus dem sonaren Ruf der Delphinin und dem Miauen des Katers eher fremdartig anhörte. Mo verstand nie, was daran so besonders sein sollte, warum die Fischer immer wieder über ihre Freundschaft und Gespräche redeten und die Touristen so beeindruckt davon waren. Für ihn und Blanca war das vollkommen normal. Warum sollten sie nicht miteinander kommunizieren? Delphine sprachen ja auch mit anderen Meeresbewohnern und Mo redete ständig mit Juan und er mit ihm. Aber darüber wunderte sich niemand.
Wie war euer Fang?, wollte Blanca wissen.
Mo wiegte nachdenklich sein Köpfchen. Mhm! Ich glaube, nicht so gut. Juan sah sehr traurig aus, als er die Netze einholte. Er macht sich Sorgen, das weiß ich. Wenn er nicht genügend Fische fängt, hat er kein Geld, um Brot, Käse und Wein zu kaufen.
Warum isst er nicht einfach die Fische?
Darüber hatte Mo auch schon nachgedacht. Aber vielleicht mochte man als Mensch nicht jeden Tag Fisch essen. Und Piedro und Stefano, die beiden Tavernenbesitzer des Ortes, warteten ja auf die Fische, damit sie sie für ihre Gäste zubereiten konnten. Juan war mit beiden gut befreundet und wollte sicher nicht, dass sie traurig wären, wenn er keine Fische mehr brachte. Möglicherweise bedrückte es Juan auch deshalb so sehr, dass die Netze in letzter Zeit immer halb leer blieben.
Weißt du, gestand er Blanca, er hat neulich sogar gesagt, wenn es so weiterginge, dann müsse er sein Boot verkaufen und wir könnten nicht mehr raus aufs Meer fahren. Er weiß nicht, was er dann machen soll, weil er nichts anderes gelernt hat als das Fischen. In den Städten im Landesinneren wäre er nicht glücklich. Und ich weiß, er liebt die alte Sophie, auch wenn sie hier und da von Sturm und See schon arg mitgenommen ist.
Blanca tauchte kurz zwischen den Wellen unter. Als sie wieder hervorkam, schlug sie vor: Ich könnte unter Wasser schauen, wo die meisten Fische sind und euch dorthin bringen. Dann wären die Netze wieder voller. Meinst du, darüber würde sich Juan freuen?
Ein Strahlen trat auf Mos Gesicht. Ja! Ja, das wäre sicher wunderbar. So können wir es machen. Er seufzte. Ach Blanca. Du bist die beste und liebste Freundin, die ich jemals hatte. Was gäbe ich darum, mit dir durch die Wellen zu tauchen.
Blanca nickte schweigend. Ihr Blick spiegelte dieselbe wehmütige Sehnsucht wider, die auch in Mo aufstieg. Gemeinsam betrachteten sie den Sonnenuntergang am Horizont. Dann wurde es Zeit für Mo, nach Hause zu gehen.
Shikomo © http://www.shikomo.de Weitere Leseproben
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