Geschrieben am 1. September 2008 von für Litmag, Neuer Wort Schatz I

Neuer Wort Schatz (1): Marcel Beyer

Insektendunst

Marcel Beyer

Wespe, komm

Wespe, komm

Wespe, komm in meinen Mund,
mach mir Sprache, innen,
und außen mach mir was am
Hals, zeig’s dem Gaumen, zeig es

uns. So ging das. So gingen die
achtziger Jahre. Als wir jung
und im Westen waren. Sprache,
mach die Zunge heiß, mach

den ganzen Rachen wund, gib mir
Farbe, kriech da rein. Zeig mir
Wort- und Wespenfleiß, mach’s
dem Deutsch am Zungengrund,

innen muß die Sprache sein. Immer
auf Nesquik, immer auf Kante.
Das waren die Neunziger. Waren
die Nuller. Jahre. Und: So geht das

auf dem Land. Halt die Außensprache
kalt, innen sei Insektendunst, mach
es mir, mach mich gesund,
Wespe, komm in meinen Mund.

Die Wespe im Mund: Ein Alptraum, lebensgefährlich, und bei der Vorstellung, wie sie einem über den Gaumen krabbelt, fühlt man schon den Brechreiz. Aber das Ich, das hier spricht, bittet darum, fordert, befiehlt: „mach“, sagt es und noch einmal „mach“ und schließlich „mach es mir“. Sex also dient der Semantik des Gedichts als Folie, das Begehren spricht sich aus, harsch und drängend.

Nicht nach Lust, sondern nach Sprache („mach’s / dem Deutsch am Zungengrund“), die sogleich zweigeteilt wird: Die Außensprache, in der der Text formuliert wird, muss kalt gehalten werden, in ihr darf kein „Insektendunst“ mehr nebeln, sonst entstünde Kitsch. Aber bevor die Sprache sich nach außen wendet, gilt: „innen muß die Sprache sein“, tief im Mund, die Zunge muss heiß sein, der Rachen wund. Die Wespe soll über die Sprechwerkzeuge herfallen. Geradezu masochistisch bietet das Ich sich an, das Ziel wird nur einmal kurz benannt: „mach mich gesund“. Aber auf diese Weise?!

Die Wespe surrt aus Thomas Klings Texten heran, sie war sein Wappentier, so sehr, dass die Gesamtausgabe seiner Gedichte, die Marcel Beyer mitherausgegeben hat, einen schwarz-gelb gestreiften Umschlag trägt. Und natürlich ist diese Metapher vieldeutig und unauslotbar und nicht in eine schlichte Gleichung zu überführen. Hier scheint die Wespe die Rolle der Muse einzunehmen, sie wird angerufen und um Beistand gebeten. Nicht mehr den Göttern nahe, aber doch die Auslöserin des kreativen Prozesses, der ja trotz des Getöses der Hirnforschung rätselhaft bleibt wie eh und je.

Eines jedenfalls ist klar: Nur die Wespe erzeugt die innere Sprache und befähigt das Ich zum Sprechen jenseits banaler Alltagssätze. Der Mund scheint allein dafür zuständig zu sein, und damit er wahr spricht (so wie Sex die Wahrheit des Körpers ist), muss er aufgescheuert werden, schmerzen, als sei Sprechen, im emphatischen, lyrischen Sinne, ein Akt, bei dem man den Tod riskiert.

Außerdem gibt es da noch ein zweites Thema, den historischen Hintergrund gleichsam, die Geschichte einer Generation („wir“). Nervös ist sie, lebt „auf Kante“, als drohe Absturz, aber dann ist sie bloß „auf Nesquik“ und lacht über sich selbst. Alles halb so wild, scheint die letzte Strophe zu sagen. Die Sprache wird zur schnellen Nummer gebeten und gut ist. Überhaupt: Tempo ist wichtig. Permanent wiederholte Imperative peitschen das Gedicht vorwärts, atemlos stolpert es über die Wechsel des Metrums und fängt sich wieder. Es erlaubt sich den Jux der Übertreibung, indem es einen Zeitraum umfasst, der noch gar nicht abgeschlossen ist („die Nuller. Jahre.“) und kippt also Bedrohung, (tödlichen) Ernst, Artistik und Selbstironie in den Shaker für einen Zaubertrank, der gleichzeitig poetologisches Credo, Rückblick und Rausch ist.

In einem Interview (Lose Blätter, 2006) berichtet Marcel Beyer über seine Zusammenarbeit mit dem Komponisten Enno Poppe. Für ein gemeinsames Projekt hat er dieses Gedicht geschrieben. Der Komponist bat um kurze Wörter, da lange Wörter sich bei der Vertonung als eher sperrig erwiesen. Beyer erzählt, wie er anfangs dieser Bitte gefolgt sei, am Ende aber doch einige lange Wörter eingefügt habe, da es einfach Spaß mache, von einer Vorgabe abzuweichen. Es entstand ein Lied für Sopran. Wie auch immer es klingt – die Wespe entsteigt auch den Worten allein, unvergesslich.

Gisela Trahms

Zu Neuer Wort Schatz (2): Jan Wagner

Zu Neuer Wort Schatz (17): Ulf Stolterfoht

„Wespe, komm“ ist zu finden in:

Jahrbuch der Lyrik 2007
Hg. v. Christoph Buchwald und Silke Scheuermann
S.Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2007 . 202 Seiten.

Marcel Beyers zuletzt erschienener Gedichtband:

Marcel Beyer
Erdkunde
DuMont Verlag
Köln 2002, 113 Seiten.

Porträtfoto: Jacqueline Merz