All posts by Thomas Woertche

Thomas Wörtche, 29.04.2002 Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Immer wenn ich durch die Kanäle zappe, schleppen aufgekratzte junge Menschen lange Klopapier-Bahnen hinter sich her oder ein alberner Bär macht alberne Verrenkungen, die auch wieder irgendwie mit Klopapier zu tun haben. Irgendwie habe ich das Gefühl, zunehmend in einer Gesellschaft zu leben, deren drängendstes Problem die Diarrhöe ist. Oder der Analzwang. Auf jeden Fall muss so eine Marketingoffensive, die Spurenbeseitigung und Analhygiene als fun & frolic inszeniert, irgendeinen besonderen Haken in der Realität haben: Entweder hat dieses Volk die HosenRead More
Thomas Wörtche, 20.05.2002 Wir wollen nette Dackel nicht beleidigen und bedenklich in Falten gelegte Stirnen nicht als dackelfaltig beschimpfen. Bedenklich in Falten gelegte Stirnen, gerade wenn multimedial zu betrachten, sind recht eigentlich der Ausdruck einer gewissen Offenhosigkeit. Denn ein Benehmen wie eine offene Hose legen diejenigen Herrschaften an den Tag, die die Intelligenz des pp.Publikums so geringschätzen, wie sie es offenkundig tun. Wobei man tunlichst zur Anstrengung der Klassifikation greifen sollte, um nicht gefühlte Offenhosigheit, profitorientierte Offenhosigkeit und tückische Offenhosigkeit zu vermischen. Selbst beim Pöbeln wollen wir schließlich Minimalstandards einhalten.Read More
Eine Kolumne von Thomas Wörtche – In „Far Side of the World“, dem zehnten Teil von Patrick O`Brians grandioser Seefahrer-Saga, segelt die Fregatte „Surprise“ endlos durch den Pazifik, immer am Äquator entlang, von der Westküste Südamerikas zu den Marquesas. Es blasen milde Winde, die See ist spiegelglatt, die Mannschaft hat nicht allzu viel zu tun. Mr. Mowett, der tüchtige Erste Offizier des Schiffes, nutzt die Zeit, um Homers Ilias zu lesen; jeden Tag ein Gesang. Ich kann deswegen auf Mr. Mowett neidisch sein, weil ich zu Patrick O`Brian nur nachtsRead More

Posted On März 25, 2004By Thomas WoertcheIn Bücher, Musikmag

Hans-Jürgen Schaal: Jazz-Standards. Das Lexikon

Ohne Wenn und Aber ein Standardwerk Es gibt Bücher, die sind kompetent gemacht und nützlich. Lexika, zum Beispiel. Es gibt aber auch Bücher, die sind zudem noch unterhaltsam, witzig, an Kenntnissen reich und wichtig. Das Lexikon der Jazz-Standards gehört in diese Kategorie. Jazz-Standards sind, wie der Name schon sagt, Musikstücke, die durch die Jazz-Geschichte in unendlicher Gestalt mäandern, manchmal verschwinden, irgendwann wieder und vermehrt auftauchen, Konjunktur haben, totgenudelt und plötzlich wieder ganz neu & frisch sind. Jazz-Standards sind nicht unbedingt Jazz-Kompositionen (wenn dies contradictio mal erlaubt ist), sondern können ausRead More

Posted On März 25, 2004By Thomas WoertcheIn Musikmag

Polka Fever. American Polka – Old Tunes & New Sounds

Grandiose Sammlung abseits der Pop-Industrie Allein schon diese 25 Titel zum Thema auf einer CD versammelt zu haben, ist eine dankenswerte Leistung, weil sie abseits der Pop-Industrie Musik hörbar macht, die Menschen gerne hören. Christoph Wagner ist der Mann, der alles über Akkordeons und Akkordeon-Musik weiß, vielleicht sogar noch mehr als E. Annie Proulx. Deswegen ist es nur logisch, dass er bei Trikont eine grandiose Sammlung von Polkas herausgegeben hat, so wie man sie in den USA hören konnte und kann. Denn die Polka lebt vom Akkordeon und das AkkordeonRead More

Posted On März 25, 2004By Thomas WoertcheIn Bücher, Musikmag

Ashley Kahn: Kind of Blue

Erfolgreich und von höchster Qualität Kahns Buch ist eine Kontextstudie, in deren Mittelpunkt das Kunstwerk steht. Als ich vor zwei Jahren die Originalausgabe von Ashley Kahns grandiosem Buch über eine einzige Schallplatte, eben Miles Davis` „Kind of Blue“, auf den Schreibtisch bekam, durchzuckten mich zwei neidgrüne Blitze: Erstens – warum hast du das nicht selbst geschrieben? Zweitens – warum kannst du es nicht verlegen? Blitz zwei hat sich erledigt, denn die deutsche Ausgabe sieht angemessen schön aus und ist dito angemessen schön übersetzt. Blitz eins nagt auch nach nochmaliger LektüreRead More

Posted On März 25, 2004By Thomas WoertcheIn Bücher, Musikmag

Frederick J. Spencer, M.D.: Jazz and Death

Makabre und sehr interessante Kontextstudie zum Jazz „Jazz & Death“ ist nicht nur ein makabres und schwarzhumorig-lustiges Buch, sondern eine sehr interessante Kontextstudie zum Jazz. Wollen wir das eigentlich wirklich so genau wissen? Vermutlich ist Billie Holiday im Manhattan Hospital am 17. Juli 1959 deswegen gestorben, weil sie sich, von Leberzirrhose und Herzschwäche eh schon stark angeschlagen, ein paar Dollarscheine in die Vagina geschoben, dadurch den dort angebrachten Katheder infiziert hat, der das Ganze an die Blase und schließlich an die Nieren weitergeben hat, was letztlich zu einer tödlichen NierenentzündungRead More

Posted On März 25, 2004By Thomas WoertcheIn Musikmag

Jonathan Fischer (Hg.): Black & Proud.

The Soul of the Black Panther Era. „Black & Proud“ auf jeden Fall ist ein Projekt, das keinesfalls in Nostalgie aufgeht, sondern diese USA today umso verständlicher macht. Schön ist das nur als Musik. Ältere Menschen wissen es noch aus den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts: Public Enemy, Tupac Shakur und alle Gangsta-Rapper und HipHopper unserer Tage sind nicht vom Himmel gefallen, sondern stehen in einer langen Tradition. Als sich die Bürgerrechtsbewegung in den 60ern und 70ern zu radikalisieren begann und Huey P. Newton 1967 die „Black PantherRead More

Posted On März 14, 2004By Thomas WoertcheIn Bücher, Musikmag

Richard Cook: Blue Note. Die Biographie

Dialektik von Markt und Qualität „Blue Note. Die Biographie“ ist ein zentrales Stück Jazzgeschichte, also Musikgeschichte, also Kunstgeschichte, also Geistesgeschichte, also Zeitgeschichte. Man kann nie genug lernen. Selbst wenn man sich nun seit ungefähr 30 Jahren intensiv mit Jazz beschäftigt hat und glaubte, gerade über Blue Note Records, über die beiden Berliner Emigranten Alfred Lion und Frank Wolff, über den genialen Tonmeister Rudy Van Gelder und den Designer Miles K. Reid so ziemlich alles irgendwann mal mitgekriegt zu haben, ja, selbst dann ist die Lektüre von „Blue Note. Die Biographie“Read More

Posted On Februar 17, 2004By Thomas WoertcheIn Bücher, Litmag

Gyula Halasz Brassaï: Proust und die Liebe zur Fotografie

Die Authentizität des Augenblicks Marcel Proust und die Fotografien von Paul Nadar, das ist zunächst einmal kein irgendwie theoriegeladenes Terrain, sondern eine pragmatische Angelegenheit. Wir wissen, dass Proust in seinem literarischen Werk unendlich viele Zeitgenossen und Zeitgenossinnen im wahrsten Sinn des Wortes verarbeitet hat. Überblendet, porträtiert, verschleiert, verschlüsselt, verfremdet und dies alles stets mit einem harten Kern an Referenz zu den realen Personen. Als William Howard Adams in den 80er Jahren an das Fotoarchiv von Nadar fils herankam, fand er dort bekanntlich eine riesige Galerie Proustscher „Vorlagen“, die ganze PariserRead More

Posted On Februar 17, 2004By Thomas WoertcheIn Bücher, Musikmag

Alexandra Kardinar: Die Sonne brennt fortissimo

Momentaufnahmen von europäischem Alltag aus einer anderen Zeit Geglückte Kombination von schön gemachtem Buch mit ebenso schönem Inhalt. Manchmal gibt es sie ja noch: Die geglückte Kombination von schön gemachten Büchern mit ebenso schönem Inhalt. Ihre Reise-Feuilletons über die vier Komponisten (Händel, Mozart, Mendelssohn Bartholdy und Berlioz) und ihr jeweiliges Italien hat Alexandra Kardinar gleich noch selbst mit liebevoll-eleganten Zeichnungen – meist von Alltagsgegenständen und Instrumenten des 18. und 19. Jahrhunderts – illustriert und in ein bemerkenswert luftiges Layout gekleidet. Papierqualität, Bindung, Satz & Schrift atmen ebenfalls den Geist einesRead More

Posted On Juni 15, 2003By Thomas WoertcheIn Kolumnen und Themen

Pawlow, Bayern München und Kultur

Sabbernder Hund Von Thomas Wörtche, 27.05.2001. Wenn das Glöckchen bimmelt, sabbert der Hund. Wenn der FC Bayern gewinnt, bekämpft nicht nur die taz den Faschismus. Der Hund sabbert beim Läuten, auch wenn´s nix zu fressen gibt. Wer ein Foto von Stefan Effenberg mit „Triumphator des Willens“ untertitelt, der bekämpft den Nazi da, wo er nicht stattfindet. Einfach mittels des Pawlow´schen Reflexes, den man bekanntlich für allerlei Unfug einprogrammieren kann. Hanser: große Literatur, Heyne: Schmutz & Schund. Polizist: dumm, C-4-Philosoph: klug. Rauchen: bää, Essen-Was-das-Tier-freiwillig-von-sich-gibt: hamm. Und so weiter, und so fort.Read More

Posted On Juni 15, 2003By Thomas WoertcheIn Kolumnen und Themen

In den Zeiten der Schwammhirnigkeit

Stotterndes Gestaune Von Thomas Wörtche, 4.12.2000 So, jetzt ist er vorbei, der Rechtsextremismus. Er natürlich nicht – au contraire, vermutlich -, aber seine Dauerpräsenz im medialen Alltag. Die neue Sau, die durch’s Dorf getrieben wird, ist keine Sau, sondern eine Mad Cow. Vielleicht kann man sogar den Terminus technicus ändern, und die Mad-Cow-Disease grundsätzlich auf die Medienwelt beziehen. Der Vorteil dabei wäre, dass eine gewisse Schwammhirnigkeit keine besondere Kennzeichnung mehr braucht. Und davor platzen ja unsere Blätter resp. TV-Medien, die sich so gar nicht mehr unterscheiden. Jenny Elvers von irgendeinem SchwengelRead More

Posted On Juni 15, 2003By Thomas WoertcheIn Kolumnen und Themen, Litmag

Schlechte Zeiten für Pointilisten

Von Thomas Wörtche, 03.03.2001 Den täglichen Irrsinn kann man nicht mehr einzeln kommentieren. Also bleibt – according to Luhmann – nur der Griff zur Struktur. Heute zu der, die – according to Dieter Krebs, dem Großen – „dann entfällt auch das Ficken“ heisst. Denn obwohl uns unsere schicken Wochenblätter seit geraumer Zeit mit Partnerdebakel-Stories quälen, hat sich noch niemand getraut, dem Elend auf den Grund zu gehen. Das Elend ist nämlich schon ein gutes Dezennium alt und wurzelt im mächtigsten aller Medien, im Werbefernseh. Dort weiss man natürlich auch, dassRead More

Posted On Juni 15, 2003By Thomas WoertcheIn Kolumnen und Themen, Litmag

Bodo Strauss und der ganz normale Wahnsinn

Von Thomas Wörtche, 14.01.2001 Ewald Spengler und Bodo Strauss haben ja recht: Das Abendland steht knapp vor dem Untergang. Deutschland, das reichste und wirtschaftlich stärkste Land Europas beschäftigt sich bloss noch mit der Scheidung von Ben und Meret Becker und damit, ob’s in Amerika teurer ist. In der Zeitung grübelt man darüber, ob der Fussballtrainer Uli Hoeness Morphium nur zum Privatgebrauch inhaliert hat oder ob die neue Erziehungsministerin Beate Kühn-Ast den Verbraucher wirklich vor dem Ökobauerntum schützen kann. Ausserdem empören wir uns darüber, dass Vox 7 eine Millionärin bestochen hatRead More