Hitlers IT-Girl?
Unter dem grandiosen Titel „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“ liegt Michaela Karl eine Biographie von Unity Mitford vor – der „Muse des Führers“. Oder war die schöne Blondine doch ein Coup des britischen Geheimdienstes? Oder nur ein dummes, reiches und verwöhntes Gör? Wie alle Biographien von Michaela Karl eine spannende und lehrreiche Lektüre. Thomas Wörtche ist sehr angetan.
Unity Mitford war blond, elegant, jung, witzig, schön. Sie stammte aus einer englischen Oberschichtsfamilie, war mit fast der gesamten britischen High Society verbandelt, verschwägert und verwandt, eine Cousine von Winston Churchill obendrein. Sie war eine blendende Gestalt aus der langen Galerie englischer ExzentrikerInnen, eine Figur aus den Romanen von Evelyn Waugh & Co, was sie auch de facto war. Und sie war vernarrt in Adolf Hitler. Wenn also die Welt schon ein großes Amüsierfeld war, warum nicht den Führer persönlich angraben?
Mitford lungert solange in Hitlers Münchner Lieblingsrestaurant, der Osteria Bavaria, herum, bis sie er sie tatsächlich anspricht, als sie gerade in der Vogue blättert. Der Tyrann ist begeistert von dem nordischen Mädel und gliedert sie in seine Entourage ein. Mitford hat direkten Zugang zu ihm, er nimmt sie zu allen major events mit – zu Reichsparteitagen, zu den Wagner-Festspielen nach Bayreuth, auf den Berghof. Sie darf im „Führerzug“ mitreisen, er hat viel Zeit für sie.
Sie lernt die übrigen Nazi-Scheusale kennen, Goebbels, Göring, Ribbentrop und vor allem Julius Streicher hat es ihr angetan. Sie ist, scheint es, ein Nazi-Groupie avant la lettre. Sie ist eine glühende Nationalsozialistin, findet alles toll und schick, was in Deutschland passiert und hält die Augen fest vor den Gräueln der Nazis verschlossen. Sie versucht, die englischen Faschisten um Oswald Mosley zum engen Schulterschluss mit dem Reich zu bewegen. Das UK und Nazi-Deutschland hält sie für natürliche Verbündete.
Eva Braun was not amused
Für Hitler ist sie sein Ohr direkt ins Herz des britischen Establishments, dessen Sympathien für den NS-Staat unbehaglich groß sind. Ob Sex im Spiel war, ist schwer zu belegen, Eva Braun soll getobt haben vor Eifersucht. Und ob Hitler seine außenpolitischen Entscheidungen von den Einflüsterungen der Mitford abhängig gemacht hat, ist eher fraglich. Natürlich hatten die Geheimdienste beider Seiten größtes Interesse an ihr, mit aller gebotenen Skepsis, aber sie war nun einmal die einzige Engländerin mit direktem Zugang zu Hitler. Als England 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt, wird Unity Mitford in München mit zwei Kugeln im Kopf gefunden. Ob Selbstmordversuch oder Anschlag (von wem auch immer) bleibt ungelöst. Sie wird nach England zurückgebracht und vegetiert noch ein paar Jahre bis zu ihrem Tode 1948 dahin. Für die Yellow Press war sie von Anfang bis Ende an ein gefundenes Fressen.
Michaela Karls Biographie kratzt zunächst einmal Glanz und Glamour ab, rückt Gerüchte, Legenden und allerlei Verzerrungen zurecht, und versucht, das Mitford zu verstehen – verstehen allerdings nicht im Sinne Verständnis haben. Aber zu kapieren, als Person und als Prototyp für ein immer noch aktuelles Phänomen: „Wir müssen Antennen entwickeln für die faschistischen Sehnsüchte mitten unter uns, denn nur dann können wir ihnen entgegentreten … Das Böse ist wandelbar und Unity Mitford ein gutes Beispiel dafür, wie sympathisch, humorvoll und hübsch es anmuten kann. Sie war das schöne Gesicht des Faschismus, und ihre Geschichte zeigt, dass schreckliche Worte auch aus einem chanelrot geschminkten Mund kommen können.“
Die Nazis und die Brits
Eine probate Methode, Dinge verstehbar zu machen (oder sich um Verstehen zu bemühen), ist die Kontextualisierung. Und die beherrscht Michaela Karl, wie wir von ihren großartigen Biographien von Dorothy Parker und Bonnie & Clyde wissen, ganz virtuos. So ist ihr Mitford Buch eine breite und breite Kulturgeschichte nicht nur der deutsch-britischen Beziehungen in den 1920er und 1930er Jahre, sondern auch ein extrem kenntnisreiches Porträt der englischen Upper Class der Zeit. Nicht sehr schmeichelhaft, vor allem was ihre Affinität zu totalitärem Denken angeht und natürlich ihren latenten Antisemitismus. Faschismus ist eben nicht nur eine Angelegenheit für depravierte, ungebildete Tölpel, die sich von Leben abgehängt fühlen.
Michaela Karl nimmt Unity Mitford als Individuum ernst, beschreibt sie nuanciert in allen persönlichen Macken und Obsessionen und verweigert eine allzu eindeutige Interpretation ihrer Disposition. Je genauer die das tut, desto klarer wird das Bild der Klasse, ihrer Werte und Ideologien, die Unity Mitford eher widerstandslos das werden ließen, was sie letztendlich war: Moralisch total indolent, von der Ästhetik des Faschismus bezaubert. An dieser Stelle zitiert Karl folgerichtig Susan Sontag: „Der Nationalsozialismus – oder allgemeiner, der Faschismus – steht auch für ein Ideal oder besser für Ideale, die heute noch unter anderer Flagge lebendig sind: das Ideal des Lebens als Kunst, den Kult der Schönheit, den Fetischismus des Mutes, die Überwindung der Entfremdung im ekstatischen Gemeinschaftsgefühl, die Ablehnung des Intellekts, die Menschheit als große Familie (mit Führern als Vater- und Mutterfiguren).“
Moralische Indolenz
Das Ausleben dieser „Ideale“ ohne ethische Grundierung, weil ethische Überlegungen von der „herrschenden Klasse“ als spießige, miefige Exerzitien der Beherrschte verstanden werden, führt dann genau in die Katastrophe, die auch Unity Mitford traf. Auch wenn sie nur eine winzige Fußnote war, so ist sie dennoch eine sehr lehrreiche und faszinierende Fußnote. Thome world in a nutshell, sozusagen. Und weil Michaele Karl eine brillante Erzählerin ist, wird diese fatale Dialektik von Terror und Eleganz schon beinahe evident.
Thomas Wörtche
Michaela Karl: „Ich blätterte gerade in der Vogue, da sprach mich der Führer an“. Unity Mitford. Eine Biographie. Hamburg: Hoffmann & Campe 2016, 397 Seiten, € 22,00