Geschrieben am 5. Dezember 2015 von für Crimemag, Interview, Kolumne, News

Bloody Questions – Val McDermid

The Crime Questionnaire (Vol.11). Val McDermid

McDermid (c) MImsy Moller

McDermid (c) Mimsy Moller

Premiere bei den Bloody Questions: Val McDermid ist die erste Autorin, die den Fragbogen live beantwortet hat. Das Treffen fand nach ihrer Kampnagel-Lesung im Rahmen des Hamburger Krimifestivals Anfang November statt. Zu den Fragen gab es Pizza und Rotwein. Anlass war der neue Roman der schottischen Autorin, die sich als ganz wunderbare, auskunftsfreudige und meinungsstarke Gesprächspartnerin erwies.

McDermid Atem VergangenheitIn „Der lange Atem der Vergangenheit“ (Droemer, 448 S. 19,99 Euro, übersetzt von Doris Styron), einem ihrer Standalone-Thriller, erzählt McDermid eine Geschichte, die ihre Faszination daraus entwickelt, dass man lange nicht weiß, ob das mutmaßliche Opfer nicht eigentlich ein Täter ist. Sprich: Handelt es sich bei dem Skelett, das in einem alten Herrenhaus gefunden wurde, um den vor acht Jahren verschwundenen kroatischen General Mitja Petrovich – oder ist Petrovich verantwortlich für eine Reihe von Morden, die an Kriegsverbrechern verübt werden? Nicht nur die Polizistin Karen Pirie von der Cold Case Unit (die man in Nebenrollen aus anderen McDermids kennen könnte) will Gewissheit, auch zwei Anwälte vom Internationalen Gerichtshof suchen Antworten.

Der Roman, der im Original etwas origineller „The Skeleton Road“ heißt, lebt weniger von der Spannung als von den verschiedenen Zeitebenen, auf denen die Story sich entfaltet, und den vielen Schauplatzwechseln – Den Haag, Dubrovnik, Oxford und natürlich Edinburgh. So schafft es McDermid, einen fast schon vergessenen Krieg, der in den Neunzigerjahren im Herzen Europas tobte, wieder lebendig werden zu lassen. McDermid, das beweist sie mit ihrem Roman aufs Neue, versteht es nicht nur zu unterhalten, sie hat auch ihren politischen Biss nicht verloren.

  • Haben Sie jemals ein Verbrechen begangen – oder darüber nachgedacht, eines zu begehen?
    Ab und zu, wenn mich jemand wirklich ärgert, denke ich drüber nach, ihn umzubringen. Aber das geht nie über meine Fantasie hinaus. Das Kriminellste, das ich jemals getan habe, sind wohl die Süßigkeitendiebstähle meiner Kindheit. Und Drogen natürlich. Obwohl: Ab und zu einen Joint zu rauchen oder etwas Kokain zu schnupfen ist natürlich kein wirkliches Verbrechen, verglichen mit, sagen wir mal, einem Banküberfall. Ah, die Dinge, die man tut, wenn man jung ist!
  • Wer sind Ihre literarischen Lieblingsschurken?
    Hannibal Lecter ist schwer zu toppen. Er ist clever und charmant, einfach faszinierend.
  • Erinnern Sie sich daran, wer die erste Figur war, die Sie literarisch ermordet haben?
    Es war in meinem Roman „Die Reportage“, eine berühmte Cellospielerin namens Lorna Smith Cooper. Ich habe Sie mit einer Cello-Saite erdrosselt. Es war einfach für mich, ich kannte sie nicht besonders gut. Aber im Ernst: Ich bin weniger emotional involviert in meine Bücher als der Leser, also fällt es mir nicht besonders schwer, mich von einer Figur zu verabschieden. Meistens jedenfalls.
  • Die Beatles-oder-Stones-Frage: Hammett oder Chandler?
    Hammett. Weil seine Frauen echte Frauen sind. Bei Chandler habe ich immer das Gefühl, dass er Frauen eigentlich nicht mag. Nehmen Sie nur den Blondinen-Monolog aus „Der lange Abschied“: Clever und schön geschrieben, aber es fehlt echtes Gefühl.
  • Haben Sie schon einmal einen Toten oder Sterbenden gesehen? Und falls ja: Wie hat das Ihr Leben verändert?
    Ich habe früher als Journalistin gearbeitet, in Devon, und wurde zu einem Tatort geschickt. Es war ein Toter in einem Wettladen, und ich erinnere mich noch an den Schock, den ich bei diesem Anblick verspürte. Und gleichzeitig fühlte ich Mitleid und Trauer – und Neugier. Ich wollte wissen, was passiert ist.
  • Sind Sie jemals Zeugin oder Opfer eines Verbrechens geworden?
    In meinem Job als Journalistin habe ich die eine oder andere Prügelei miterlebt, auch politische Unruhen. Viel Gewalt, aber kein „richtiges“ Verbrechen.
  • Gibt es jemanden, dem Sie den Tod wünschen oder gewünscht haben?
    Natürlich gibt es mächtige Menschen, die ihre Macht missbrauchen, und man denkt darüber nach, dass die Welt ohne sie besser dran wäre – Assad in Syrien zum Beispiel oder Putin in Russland. Aber den Schritt zu gehen und zu sagen, sie müssen umgebracht werden, mache ich nicht. Ich denke grundsätzlich, dass es falsch ist zu töten. Es muss andere Wege geben, mit solchen Dingen fertigzuwerden. Nehmen wir das Beispiel Margaret Thatcher. Wäre sie bei dem Attentat in Brighton 1984 umgekommen, hätte das die Situation verbessert? Ich glaube im Gegenteil, dass es noch schlimmer gekommen wäre.
  • Welche Jobs hatten Sie, bevor Sie vom Schreiben von Romanen leben konnten?
    Wie gesagt, ich war Journalistin. Zunächst bei Wochenblättern in Devon, dann in Glasgow beim „Daily Record“, später in Manchester, wo ich das Nordengland-Büro von „Sunday People“ leitete, als ich dort anfing, war es noch kein Klatschblatt, sondern eine richtige Zeitung.
  • Wären Sie nicht Schriftstellerin – was würden Sie stattdessen tun (wollen)?
    Ich wäre gern Musikerin, in der Tradition von Joni Mitchell und Leonard Cohen. Als junge Frau bin ich öfter mal in Pubs aufgetreten, was ich jetzt zu besonderen Gelegenheiten immer noch mache.
  • Hören Sie beim Schreiben Musik? Und falls ja: welche?
    Die ganze Zeit. Mal klassische Pianostücke, mal Everything but the Girl, mal Sigur Rós oder Wim Mertens – je nachdem, wie ich mich gerade fühle. Ich habe für jede meiner Stimmungen Playlists.
  • Schreiben Sie lieber tagsüber oder nachts? Zu Hause am Schreibtisch oder wo immer Sie gerade sind?
    Ich bin kein Morgenmensch, wahrscheinlich habe ich noch nie vor 11 Uhr einen vernünftigen Satz zu Papier gebracht. Am liebsten schreibe ich im Büro. Aber da ich und meine frühere Lebenspartnerin uns das Sorgerecht für unseren Sohn teilen und sie in Manchester lebt, fahre ich oft Zug und habe mir angewöhnt, auch unterwegs zu schreiben.
  • Was machen Sie, wenn Sie nichts Vernünftiges zu Papier bringen?
    Das passiert mir eigentlich nicht mehr. Aber wenn ich mal nicht weiterkomme, lasse ich meine Figuren etwas ganz Banales machen – ich schicke sie in den Supermarkt oder lasse sie Wäsche waschen. Das hilft mir dabei, die Welt mit ihren Augen zu sehen.
  • Was passiert nach dem Tod? Und was sollte nach dem Tod passieren?
    Eine Freundin von mir hat mal gesagt, sie fände es schön, wenn nach dem Tod alle offenen Fragen beantwortet würden. Von „Was ist mit dem Walkman passiert, den ich 1973 verloren habe?“ bis „Hatten die Nachbarn wirklich eine Affäre?“. Ein netter Gedanke. Aber ich denke, wir sterben, und das war’s dann.
  • Verbrechen und Bestrafung: Was halten Sie vom Prinzip Auge-um-Auge/von der Todesstrafe?
    Ein absolutes No-No. Niemand hat das Recht, jemanden zu töten, vor allem nicht der Staat. Davon abgesehen: Es passieren einfach zu viele Fehler, und die sind dann nicht mehr rückgängig zu machen.
  • Ihr Kommentar zu dem Bert-Brechts-Zitat „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank“…
    Das Zitat hat immer noch Gültigkeit, und ich bin in vielen Dingen einer Meinung mit Brecht. Im Namen des Kapitalismus werden viel zu oft Verbrechen gegen Einzelne begangen. Auch jetzt, mit 60 Jahren, ist meine linke Weltanschauung noch intakt.
  • Was soll auf Ihrem Grabstein stehen?
    Sie haben es ihr nicht zugetraut.

Die bisherigen „Bloody Questions“ von Marcus Münterfering sind auf seinem Blog „Krimi-Welt“ zu finden.
Geantwortet haben bisher:

Joe R. Lansdale (10)

Bill Moody (9)

Wallace Stroby (8)

Lauren Beukes (7, Teil 1) und

Lauren Beukes (6, Teil 2)

Richard Lange (5)

Zoë Beck (4)

Sam Millar (3)

Declan Burke (2)

James Lee Burke (1)

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