
Das chinesische Star Wars
Cixin Liu mischt nicht nur die Science Fiction-Szene auf – seine Roman-Trilogie lässt auch die Wirtschaftswelt heiß laufen. Christopher Werth hat das 2400-Seiten-Phänomen untersucht. – Siehe dazu auch den interstellaren Essay von Markus Pohlmeyer in der letzten Ausgabe.
Chinas Staatspräsident Xi Jinping wünschte sich beim Fußball den WM-Titel bisher vergeblich. In Science Fiction sind die Chinesen schon heute Weltmeister. Das weckt Begehrlichkeiten bei den großen amerikanischen Internet- und Unterhaltungskonzernen. Die gieren nach neuem, großem Stoff. Dem Content, der die Massen bewegt. Ein neues Star Wars, neue Avengers, ein neues Game of Thrones oder ein neuer Herr der Ringe muss her. In unserer Post-Empire-Zeit von zersplitterten Interessen und den unendlichen Weiten des Longtails lassen sich mit einem erfolgreichen Blockbuster-Franchise die User am besten auf die eigene Plattform ziehen, um ihnen Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen. Wer die besten Geschichten hat, der hat die Kunden. So hat sich z.B. der Disney-Konzern für vier Milliarden US-Dollar alle Rechte an Star Wars gesichert.
Einer der großen Hoffnungsträger auf das next big thing ist seit Jahren die chinesische Trisolaris-Trilogie von Cixin Liu. Als Barack Obama und Mark Zuckerberg den ersten Band „Die drei Sonnen“ zu ihrem Lieblingsbuch erklärt hatten, schwappte der Hype aus China in den Rest der Welt. Seitdem gab es immer wieder Gerüchte, dass Jeff Bezos für die Film- und Serien-Verwertungsrechte eine Milliarde Dollar geboten hätte. Romane ganz nach dem Geschmack des Amazon-Chefs, der selbst mit seinem Nebenprojekt Blue Origin Raketen für die bemannte Raumfahrt entwickelt und öffentlich dafür plädiert, dass wir Menschen so schnell wie möglich in den Weltraum expandieren sollten.

1.000.000.000 US-Dollar – für einen Roman. Wie kann das sein? Was hat der bescheiden nerdige Computertechniker eines Wasserkraftwerks in einer chinesischen Kleinstadt, der erst 2012 seinen regulären Job aufgegeben hat, da losgetreten? Was macht Cixin Liu so anders, so faszinierend? Wie viel Potential in den Geschichten von Liu steckt, zeigt schon der auf einer seiner Kurzgeschichten basierende chinesische Kinofilm „Wandering Earth“ (zurzeit bei Netflix), der aus dem Stand heraus weltweit 700 Millionen Dollar eingespielt hat. Hier wird die Erde wegen tödlicher Sonnenstrahlung mit gigantischen Triebwerken wie ein Raumschiff in ein anderes Sonnensystem überführt.
Werfen wir kurz einen Blick auf die knapp 19 Millionen Jahre umfassenden Trisolaris-Trilogie, ohne zu viel zu spoilern.

In Teil 1 Die drei Sonnen geht es los mit der Astrophysikerin Ye Wenjie, die während der blutigen Kulturrevolution im China der 1960er Jahre Kontakt mit Aliens aufnimmt – die dann ihr Kommen in vierhundert Jahren ankündigen und schon damit weit vor ihrer Ankunft das Leben auf der Erde für immer verändern. Die Aliens bewohnen einen Planeten, der zwischen drei Sonnen kreist. Dadurch hat er eine kaum zu berechnende, instabile Umlaufbahn, und die Bewohner müssen regelmäßig komplett dehydrieren, um die Hitzeperioden zu überleben. Sie sind der Menschheit technologisch überlegen wie wir etwa den Meerschweinchen. Doch etwas macht sie unsicher: Die Menschheit entwickelt sich exponentiell. So ergeben ihre Hochrechnungen, das die Menschheit innerhalb der nächsten vierhundert Jahre wissenschaftlich gefährlich aufholen kann, und sie beschließen, ab sofort die Forschung zu blockieren. Das tun sie mit einer komplizierten Blockade durch intelligente Nanopartikel, die sie zur Überwachung auf die Erde schicken. Spannend ist, was das Ganze mit der Gesellschaft macht. Schon allein der Gedanke an eine Alien-Invasion, die unvorstellbar weit in der Zukunft liegt, bringt das politische Gefüge der Welt ins Wanken.

In Teil 2 Der dunkle Wald wird auf Anregung von Ye Wenjie eine intergalaktische Weltraum-Soziologie entwickelt und erzählt, wie es der schlitzohrige Wissenschaftler Luo Ji dadurch schafft, die um Lichtjahre überlegenen Trisolarier matt zu setzen. Sein Vorteil: Trisolarier können keine Gedanken lesen, es gibt bei ihnen keine Lügen oder Täuschungen, da Denken und Sprechen bei ihnen ein und dasselbe ist.

In Teil 3 Jenseits der Zeit herrscht zunächst ein Gleichgewicht zwischen der Erde und Trisolaris, bevor die Menschheit komplett in ein Reservat umsiedeln muss. Wieder gelingt es durch kreatives Denken, sich zu befreien – aber dann müssen sich Erde und Trisolaris einer noch viel größeren Bedrohung aus den Weiten des Weltraums stellen.
Das Erfolgsgeheimnis ist auf den ersten Blick ein Widerspruch. Liu sieht sich und sein Werk streng in der Tradition der Hard Science Fiction, die von höchster wissenschaftlicher Genauigkeit und Logik gekennzeichnet ist. Das gibt dem Ganzen eine sehr realistische, unaufgeregte Note. Gleichzeitig gönnt Liu sich innerhalb der exakten wissenschaftlichen Parameter die maximale kreative Verrücktheit und Freiheit. So entsteht eine extrem spannungsreiche Anziehungskraft jenseits von reiner Fiktion.

Die Trilogie ist ein gigantisch großer Wurf. Wie konsequent und groß er unsere Geschichte denkt, wie es mit der Menschheit und unserem Universum weitergehen kann. Und wie die Menschheit es mehr oder weniger erfolgreich versucht, interne Konflikte aufzugeben, um sich gemeinsam den Bedrohungen gegen den Heimatplaneten zu stellen. Das passt natürlich auch perfekt zu unserem gesellschaftlichen Trend, dass bei Fridays for Future Umweltschutz zum Mainstream wird und die Grünen in Westdeutschland auf dem Weg zur Volkspartei sind. (Aktuell gerade bei 27 Prozent, und erstmals als stärkste Kraft – d. Red.)
Hat die Trilogie das Potential für das nächste Game of Thrones? Vielleicht zu speziell für den Mainstream-Geschmack? Zu viel Physik, zu komplizierte chinesische Namen? Zu komplizierte Handlung? Letzteres hätte man über das Westeros-Epos auch sagen können. Wir werden sehen… Der wissenschaftlich kühle Blick über den Tellerrand unseres Universums in den endlosen Wahnsinn übt eine verstörende Faszination aus und ist damit auf jeden Fall eine Bereicherung für jedes menschliche Gehirn. Etwas, das man über die allermeisten Entertainment-Produkte leider nicht sagen kann. Also: Go for it, Jeff!
Christopher Werth
Die Trisolaris-Trilogie von Cixin Liu:
Die drei Sonnen (三部曲《三体》The Three Body Problem Trilogy Book 1 – Sanbuqu Santi). Roman, aus dem Chinesischen von Martina Hasse. Heyne, München 2016. Klappenbroschur, 592 Seiten, 16,99 Euro.
Der dunkle Wald (三部曲 《黑暗森林》The Three Body Problem Book 2 – Heian Shenlin). Roman, aus dem Chinesischen von Karin Betz. Heyne, München 2018. Klappenbroschur, 816 Seiten, 16,99 Euro.
Jenseits der Zeit (三部曲 《死神永生》Sishen yongsheng). Roman, aus dem Chinesischen von Karin Betz. Heyne, München 2019.Klappenbroschur, 992 Seiten, 17,99 Euro.
Verlagsinformationen zu Cixin Liu hier.