Geschrieben am 15. Februar 2018 von für Crimemag, CrimeMag Februar 2018, Erzählungen

Christopher Werth über die H. P. Lovecraft Ausgabe „Das Werk“.

Ein Buch als Portal in andere Dimensionen.

Zu Lebzeiten erschienen seine Erzählungen nur in billigen Groschenheften – jetzt präsentiert sie FISCHER TOR in einem großformatigen Band in neuer Übersetzung, luxuriös ausgestattet und bebildert – herausgegeben und zeitkritisch kommentiert von Leslie S. Klinger. Von Christopher Werth.

Das Ding auf der Schwelle. Lovecraft, das Werk (c) Christopher Werth

Das Ding auf der Schwelle: Lovecraft, Das Werk. (c) Christopher Werth

The Power of Lovecraft

So unterschiedliche Charaktere wie Michel Houellebecq, Stephen King, Neil Gaiman, Kij Johnson oder die Band Metallica sind ergebene Fans seiner glitschigen Tentakel-Wesen. Wie wenige hat er unsere Pop-, Gaming-, Science Fiction-, Fantasy-, Comic-, Heavy Metal- und Horror-Kultur geprägt. Er gehört zu den kreativsten und einflussreichsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Ein Künstler, der allerdings zu Lebzeiten so gut wie unbekannt war und nicht mal eine Handvoll Dollar mit seinem Werk verdient hat.

So faszinierend und unausweichlich sein Einfluss heute auch sein mag, so verkorkst und spießig verlief sein 47jähriges Leben von 1890 bis 1937 als schrulliger, rassistischer, bettelarmer Möchtegern-Gentleman in Providence, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Rhode Island. Sein posthumer Weg in die Weltliteratur begann nämlich im knietiefen Sumpf billigster Schmuddel-Heftchen. Aber bevor es soweit kommen konnte, sorgt eine besondere biografische Konstellation dafür, seine Begabung entstehen zu lassen: Beide Eltern waren selbst psychisch krank und erzogen den hochbegabten und hochsensiblen Sohn erstens zunächst als Mädchen, weil sie sich keinen Jungen gewünscht hatten und zweitens ohne jede körperliche Zuneigung. So war es kein Wunder, dass der kleine H.P. zahlreiche Phobien sowie psychische und sexuelle Neurosen entwickelte, an denen er sich dann später in immer wieder neuen Geschichten abarbeiten musste. Sein Großvater dagegen erklärte ihm schon früh seine umfassende Bibliothek im alten und dunklen Haus und weckte in ihm die Lust an Wissenschaften und Literatur. So standen seine Phobien zwischen den Weltkriegen in einem immer drastischer werdenden Kontrast zu dem sich exponentiell entwickelnden Wissen in Bereichen wie Astronomie, Archäologie, Psychologie und Naturwissenschaften. Mit diesem wachsenden Unbehagen in einer immer unkontrollierbarer werdenden Welt ist er allerdings bis heute nicht allein. In der Einführung von Das Werk bringt Alan Moore die Aktualität auf den Punkt: „Die Phobien, die in Lovecrafts Erzählungen und seiner Weltsicht zum Ausdruck kommen, sind alles andere als befremdliche Absonderlichkeiten. Es sind vielmehr genau die Ängste jener weißen, heterosexuellen, protestantisch sozialisierten männlichen Angehörigen der Mittelschicht, für die die Veränderungen der Machtverhältnisse und Werte in der modernen Welt am bedrohlichsten waren.“

Dafür, dass sein Unbehagen wuchs, sorgte er selbst: Er war sein Leben lang ein manischer Autodidakt ohne abgeschlossene Schul- oder Universitätsbildung. So blieb er offen und immer wieder hungrig auf die neusten Erkenntnisse aus Astronomie, Archäologie, Literatur, Naturwissenschaften und las alles, was er in die Finger bekommen konnte. Und auch gesellschaftliche Entwicklungen gingen nicht an ihm vorbei. Obwohl er nur selten das Haus verließ war er durch unzählige Briefe bestens vernetzt mit anderen Autoren, Pulp-Magazinen und Wissenschaftlern.

Der Ansatz von Leslie S. Klinger

Klinger serviert den früher als Schund-Autor verschrienen Lovecraft auf dem Silbertablett. Er bietet im Vorwort eine gute und kompakte Einführung. Er stellt das Werk Lovecrafts in den Kontext der Horror- und Science Fiction Literatur, fasst sein Leben zusammen, beschreibt seine literarische Laufbahn, geht auf die Rezeptionsgeschichte ein, stellt seine Philosophie und den Cthulhu-Mythos vor und endet mit seiner Relevanz für unsere Zeit. Die Auswahl der Geschichten wird in chronologischer Reihenfolge präsentiert. Immer mit einem kleinen Einführungstext sowie fortlaufenden Anmerkungen, Bildern und Kommentaren, die es ermöglichen, den Text auch aus der Perspektive seiner Entstehung zu lesen. So kann man z.B. in der letzten Erzählung Der Schrecken der Finsternis durch Fotos den Blick auf die Dächer von Providence nachvollziehen, den Lovecraft täglich bei der Arbeit vor Augen hatte: Auf den Federal Hill, der von seiner Meinung nach befremdlichen Italoamerikanern bewohnt war und auf den dunklen Turm der John’s Catholic Church, der 1935 durch einen Blitz zerstört wurde und der ihn zur Grundidee dieser Erzählung angeregt hatte.

Abstoßendes Grauen. Begehrenswerte Form. (c) Christopher Werth

Abstoßendes Grauen. Begehrenswerte Form. (c) Christopher Werth

Die Übersetzungen von Andreas Fliedner und Alexander Pechmann

Der Text kommt frisch und gut lesbar daher. Bei Erzählungen wie An den Bergen des Wahnsinns hören wir klar und präzise den bemüht sachlich-wissenschaftlichen Tonfall der Stimme des Erzählers, mit dem dieser versucht, die traumatisierenden Erlebnisse der Expedition zu verbergen. Die Genauigkeit und Gründlichkeit der Neu-Übersetzungen merkt man an kleinen Details. Zum Beispiel bei der Erzählung Der Schrecken der Finsternis. Am Ende heißt es hier beispielsweise nicht „… an das weiter entfernte Shaggai.“, sondern, weil Shaggai im Lovecraft-Kosmos keine Stadt sondern ein unentdeckter Planet noch hinter Pluto ist, „… an den weiter entfernten Shaggai“.

Die Ausstattung

Wer abgeschreckt wurde von nerdigen, trashigen und einfach hässlichen Illustrationen und schlecht bezahlten Übersetzungen oder Taschenbüchern mit zu engem Schriftsatz, kann jetzt ein Stück Weltliteratur auch in ästhetisch angemessener Form genießen. Die Fotos, Skizzen und Illustrationen helfen beim Verständnis des Textes. Leider fehlen ausgerechnet bei An den Bergen des Wahnsinns die in der Erzählung immer wieder erwähnten Bilder von Nicholas Roerich. Ansonsten wird die Droge Lovecraft ganz legal und in perfekter Form dargereicht mit gut lesbarem Satz und Schriftbild. Das Werk lädt damit umso mehr zum Versinken ein in eine Welt der dunkelsten Abgründe, abstrusesten Formen, wildesten Adjektiv-Kaskaden und fantasievollsten Ekelpakete menschlicher Kreativität. Also endlich Lovecraft in der Form, die dem Stellenwert seines Oeuvres entspricht. Auch wenn der Band durch sein Coffeetable-Format in gewissen Lebenssituationen ein bisschen unpraktisch ist. 

Aufschlagen. Abtauchen. (c) Christopher Werth

Aufschlagen. Abtauchen. (c) Christopher Werth

Ausblick und weitere Wünsche:

Nachdem mit dieser Ausgabe für viele ein Wunsch in Erfüllung gegangen sein dürfte, bleibt allerdings noch einiges zu tun in der Lovecraft Rezeption:

  1. Eine hochkarätige Fernsehserie im Stil von American Horror Stories, die episodisch auf den Erzählungen um Arkham, die Miscatonic University und auf dem sich durch das Werk ziehenden Cthulhu-Mythos basiert.
  2. Guillermo del Toros soll endlich sein Herzensprojekt realisieren und eine der großartigsten Erzählungen mit kranken Bildern, hochkarätiger Besetzung und einzigartiger Atmosphäre verfilmen: „At The Mountains Of Madness“.

Christopher Werth

Mehr über Das Werk bei S. Fischer.
Leslie Klinger: H.P. Lovecraft. Das Werk (The New Annotated H.P. Lovecraft, 2014). Aus dem Amerikanischen von Andreas Fliedner & Alexander Pechmann. HardcoverVerlag S. Fischer, Frankfurt 2018. Hardcover, beinahe 300 Abbildungen, 912 Seiten, 68 Euro.

lovecraft cover SX311_BO1,204,203,200_Anm. d. Red.: Ist ein Tentakel wirklich nur ein Tentakel? In der literatur- und kulturhistorischen Studie Sex und Perversion im Cthulhu-Mythos untersucht Bobby Derie auf über 500 Seiten die glitschige Lust im Cthulhu-Mythos. Sozusagen Alles was Sie schon immer über Sex bei H.P. Lovecraft wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Und dazu die Ausstrahlungen auf Mangas und Comics, Filme und Videospiele, Karten-, Brett- und Rollspiele, Sexspielzeug (etwa aus der Serie Necronomicox mit Tentakeldildos) bis hin zur Regel 34. Die lautet für das Internet: Wenn es existiert, gibt es davon Pornografie – ohne Ausnahmen. Folgerichtig stehen hier viele Links. Das Buch kommt mit Register und Literaturverzeichnis.
Spätestens mit Matt Ruffs Lovecraft Country (Hanser, 14.05. 2018) wird der Dichter wieder in aller Munde sein. Eine Liste weiterer Neuerscheinungen zum Thema findet sich hier.

Bobby Derie: Sex und Perversion im Cthulhu-Mythos. Ein intimer Blick auf H.P. Lovecraft und sein literarisches Erbe (Sex and the Cthulhu-Mythos, 2014). Aus dem Amerikanischen von Michael Siefener. Festa Verlag, Leipzig 2017. Hardcover, 512 Seiten, 36,80 Euro. Verlagsinformationen.

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