Amsterdam. Was für eine Stadt, nichts als Gestank. Trotzdem herrlich.
Heute begegnen Frank Göhre neben Janwillem van de Wetering Anselm Kiefer, Selma Eikelenboom-Schieveld und Lee Fong (zu Teil 1 und 2).
Dritte Folge
Oh, wham bam,
oh Amsterdam
Yeah yeah yeah
Van Halen, Amsterdam
Jeden Tag schlendern schwule Paare an der Souterrainwohnung vorbei. Einheimische und Amsterdam-Besucher aus Europa und Übersee. Sie trinken im Bistro gegenüber einen Kaffee oder ziehen weiter zur Zimmer- und Wohnungsvermittlung „True Love“ in der Prinsenstraat. Manche haben Hunde dabei.
Sämtliche Rassen.
Ein Aushang verbietet: Poep!
Keine Kacke, kein Kot, keine Scheiße.
Ebenso verboten: Fiets – Fahrrad – an der Hauswand abstellen.
Und im Red Light District ist das Fotografieren der Frauen in den Kammern verboten.
Auf dem schmalen Bürgerstein vor dem Haus sitzend muss oft die Frage beantwortet werden: „Wo bitte geht es zum Anne-Frank-Haus?“
Sonntags bilden sich lange Schlagen vor dem Anne-Frank-Haus und dem Rijksmuseum. Überwiegend Schüler. Lehrer mit dem Gehabe von Feldherren.
Eine exakt ausgerichtete Reihe wird angeordnet.
Die Anselm Kiefer-Installation im Raum der „Nachtwache“ wird nicht erläutert. Von wem auch? Der bundesdeutsche Pädagoge geht wie selbstverständlich davon aus, dass seine Schüler null Interesse an Kunst haben. Er selbst liefert auch nur das Lehrplan-Pflichtprogramm ab und von Kiefer weiß und versteht er eh nix.
Der aktuelle Look vieler Mädchen und Frauen:
Graue, schwarze und auch farbige Strumpfhosen, kurze, knapp sitzende Röcke, Stiefeletten oder Stiefel.
Viele können es tragen, einige aber ganz und gar nicht.
Brigadier Rinus de Gier ist ein schlanker Mann, der einen Maßanzug aus Jeansmaterial, ein blaues Oberhemd und einen bunten Schal trägt. Er hat sein halblanges Haar über die Ohren gekämmt, es kräuselt sich im Nacken. Es ist gepflegt, viele Male gebürstet und wenn sein Hinterteil dicker gewesen wäre, hätte man ihn – von hinten gesehen – für eine Frau halten können.
Gleich um die Ecke auf der Singel: Eine Galerie mit Katzenzeichnungen und Porträts in Öl.
Dazu ausgelegte Flugblätter: Entlaufene und vermisste Katzen – wer hat Stinky, Mozes und Lizzy gesehen?
Sachdienliche Hinweise werden belohnt.
Vorbeifahrende Radfahrer.
Ein grauhaariger Brillenträger. Langer, heller Regenmantel,
den Saum hochgesteckt. Über der Schulter eine schwarze Ledertasche, auf Hochglanz poliert.
Ein Farbiger. Rote Trainingshose, blaues Shirt.
Einen Energiedrink in der Rechten. Alle fünf Finger beringt.
Eine junge Frau, heftig ihren Rock herunterzerrend, damit man ihr nicht in den Schritt blicken kann.
Auf der Brücke ist ein Fahrrad mit Handschellen an das Geländer gekettet. In Bahnhofsnähe ein Rad, der Rahmen mit Tigerfell umhüllt/beklebt.
Die Frau auf dem Fahrrad vor ihnen hatte nicht viel an, nur ein Höschen und ein Tuch, das sie um ihre großen Brüste gebunden
hatte. Zwei Männer, die einen Lastwagen abgeladen hatten, waren von dem wogenden Busen fasziniert und mit ausgestreckten Händen der Frau entgegengelaufen. Die Frau, die gerade über in sehr holpriges Stück Straße fuhr, machte eine falsche Bewegung und fiel vom Rad. Das Tuch löste sich, der Büstenhalter darunter war offenbar durchsichtig. Die Männer, entzückt von dem Resultat ihrer Vorstellung, rannten zu ihr und begannen, sie unter dem Vorwand der Hilfeleistung zu betasten. Die Frau schrie. Die immer anwesenden Fußgänger umringten das Schauspiel und gaben ihre Kommentare dazu. Die Frau kreischte und zeigte auf den Mann, der nach ihr gegriffen hatte. Ein sportlicher Herr versetzte dem Kerl einen Schlag. Der Kollege des neuen Schlachtopfers
kam herangeschossen, um zu helfen.
Auf dem Weg zur Tram: Ein Mann spricht durch die Scheibe zu zwei Schaufensterpuppen und ist offensichtlich verärgert, keine Antwort zu bekommen.
In der Zeitung beschwert sich eine türkische Juweliersfamilie, deren Geschäft schon zweimal ausgeraubt wurde: „Niederlande nicht hart genug!“
Im Haus nebenan wird ein Kellerfenster ausgewechselt. Die Handwerker parken mit ihrem Wagen zur Hälfte auf der Straße. In die Straße einbiegende Fahrzeuge müssen zurücksetzen und einen anderen Weg nehmen. Ein japanische Touristengruppe drängt sich an dem parkenden Wagen vorbei. Gefährlich dicht an der Gracht.
Amsterdam hängt der Ruf an, dass vor allem betrunkene oder mit Hasch zugedröhnte Touristen in den malerischen Grachten den nassen Tod finden … Wenn der Hosenschlitz offen steht und die Leiche außer leichten Schürfwunden keine Verletzungen aufweist, ist das für die Gerichtsmedizinerin Selma Eikelenboom-Schieveld ein erster Hinweis: Kein Verbrechen, sondern eher ein Unglücksfall. „Oft handelt es sich um Männer, die einen über den Durst getrunken haben“, berichtet die Expertin in der Zeitung „de Volkskrant“. Bierselige zieht es – unter Missachtung der alten Pissoirs entlang der Amsterdamer Grachten – magisch ans Wasser, weiß die 57-jährige Todesursachenforscherin. „Da plätschert es doch so schön.“ Zum Tod führe dann gelegentlich eine verhängnisvolle Verkettung von Ursachen: Durch kräftiges „Bierablassen“ sinke der Blutdruck, dem Betroffenen werde schummerig: „Plötzlich purzelt er kopfüber in die Gracht.“ Motorik und Koordination seien alkoholbedingt gestört. Hinzu komme oft, dass glibberige und steile Kanalwände das Hinausklettern erschweren. „Man muss aber nicht ins Wasser pinkeln, um hineinzufallen. Es genügt, über eins der vielen Fahrrädern an den Grachtenufern zu stolpern.“
Bei Janwillem van de Wetering hilft auch schon mal die Polizei nach.
„Es ist keine Sünde, betrunken zu sein. Ich bestelle noch Bier und Frits will es holen und fällt. Seine Krücke fliegt weg und zerteppert ein paar Gläser. Wir springen auf, ich und die anderen, um Frits festzuhalten und das Bier zu retten, und wieder fällt er hin. Die Bullen stürzen rein. Sie hauen mit Polizeiknüppeln auf uns ein. Frits kommt vom Fußboden hoch und trifft mit seiner Krücke den Bullen mitten in die Fresse. Unglücklicher Zufall; alle wissen, er meint es nicht so, aber die Bullen wissen das nicht. Sie schleppen Frits raus und werfen ihn in die Keizersgracht.“
Der Zeedijk begrenzt im Nordosten den Red Light District und führt vom Nieuwmarkt zum Hauptbahnhof. Schon in den 20er Jahren als „Amsterdam Chinatown“ bezeichnet, mit Ex- und Importgeschäften, Friseursalons und Arztpraxen, vor allem aber mit hervorragenden chinesischen, indonesischen und thailändischen Imbissen und Restaurants.
Es ist nicht schwer, in Amsterdam gut essen zu gehen. Das „Bird“ auf der Zeedijk wirbt: „Hier ist es leckerer als in Thailand selbst.“
Der arme Lee Fong. Er hatte nur ein Häppchen essen wollen, ein Häppchen kantonesisches Essen. Seine Reisepläne waren klar. Am nächsten Morgen wollte man ihm ein Plätzchen besorgen im Vorraum eines französischen Frachters mit dem Zielhafen Hongkong. Ihm war es nicht gut gegangen in Amsterdam, wo er jetzt schon seit drei Jahren illegal im Chinesenviertel lebte. Lee Fong war Spieler, Schmuggler und Raufbold. Schmuggeln konnte er nicht in Amsterdam, weil seine Kontaktleute verhaftet waren; zum Spielen hatte er kein Geld mehr; eine Schlägerei hatte ihn vor einigen Wochen in die Arme der Polizei getrieben. Die Beamten der Wache Warmoesstraat hatten ihn aus einer Kneipe am Zeedijk geholt, das lange Messer hielt er noch in der Hand. Sein Opfer hatte man mit einer tiefen Wunde an der Schulter auf einer Tragbahre hinausgebracht. Aber Lee Fong war aus der Untersuchungshaft ausgebrochen. Seine Spur hatten hilfreiche Chinesen aus der Innenstadt verwischt. Und jetzt, am Vorabend seiner Abreise, musste er zwei Kriminalbeamten in die Arme laufen.
In den Siebzigern wurde der Zeedijk Umschlagplatz der harten Drogen. Entsprechend steigende Kriminalitätsrate.
Wiederholte Anstrengungen, die Auswüchse einzudämmen.
Seit 2004 verstärkte kommunale Offensive.
Installation von Überwachungskameras.
Kontinuierlicher Einsatz von berittener Polizei. Pferde schüchtern ein.
Gleichzeitig Renovierung von verwahrlosten Häusern, die Verbreiterung von Straßen und der Austausch maroder Abwasserleitungen.
Mittlerweile ist das gesamte Viertel im Umbruch.
Man muss vom Nieuwmarkt oder vom Zeedijk nur ein paar Schritte nach Westen gehen, chinesische Fußmassagenstudios passierend. Dann ist man schon auf dem Oudezijds Achterburgwal, der Meile … Die Bars heißen „Black Tiger“ oder „Old Sailor“, der Coffeeshop „Bulldog“, doppelte Dildos, Peitschen und Nietenhalsbänder werden im „Caligula“ verkauft … Hier und da brennen rote Röhren über den Rahmen der Fenster … In einer engen Gasse Fenster an Fenster, hinter den die Prostituierten stehen … Doch dann taucht zwischen zwei Hurenfenstern plötzlich ein artfremdes auf. Das Licht eindeutig, weiß und hart. Hellblaue Boots, das Paar 350 Euro, baumeln von der Decke. Handtaschen aus edlem Leder erheben Anspruch auf Eleganz. Rechts unten an der Scheibe klebt das Programm gewordene Logo „Redlightfashion“.
Hinter den Fenstern im Souterrain noch nicht dekorierte Polyesterbüsten, in der Kammer darüber ein ausgestelltes Hochzeitskleid. Und gleich daneben kobert schon morgens um sieben die farbige Prostituierte, nur mit Schaftstiefeln und einem weißen Slip bekleidet. Sie stammt aus Nigeria.
http://www.youtube.com/watch?v=sBdeSYnRUFk
Amsterdam hat ca. 750.000 Einwohner aus 175 unterschiedlichen Ländern. 37% der Bevölkerung gehören einer ethnischen Minderheit an.
„Ich bin Philippinin und habe einen festen Job als Kassiererin bei Albert Heijn.“ (Supermarktkette)
„Meine Heimat ist Bolivien. Ich arbeite als Software-Entwickler und bin mit einer hier in Amsterdam lebenden Amerikanerin liiert.“
„Ich bin ein thailändischer Transvestit.“
(Titelbild: MorBCN)