Geschrieben am 15. Mai 2017 von für Crimemag, Kolumnen und Themen, News

Essay: Markus Pohlmeyer über Game of Thrones

games4GoT – Minimale Meditationen

Von Markus Pohlmeyer

Prolog

Tyrion Lennister – Zwerg, Killermaschine, Super-Liebhaber, witzig, frech, Kampftrinker und Analytiker – bringt den Inhalt einer der weltweit bekanntesten Serien (und Roman-Folgen) wie immer gnadenlos auf den Punkt: „Kronen stellen seltsame Dinge mit den Köpfen darunter an.“[1] Damit wäre alles über die Weltgeschichte und diese Serie gesagt – und der Essay könnte hier enden. Aber es liegt am Wie. Autoren stellen schon seltsame Dinge mit Texten an.

Schauriges und Blablabla

Die Geschichte hebt an mit einem ständig betrunkenen König und einem Inzestdrama zwischen seiner Gattin und deren Bruder, das unbedingt vertuscht werden soll. Und dass der Winter hereinbreche. Aber das Überraschungsmoment von Game of Thrones liegt, wie schon bekannt, im nicht gerade schonungslosen Umgang mit Hauptfiguren, die, hat man/frau sie einmal liebgewonnen oder in die tiefste Hölle gewünscht, kurzerhand und überraschend überrascht hinweggemeuchelt werden. Ein Verfahren, das sich aber mit steigender Staffelzahl inflationär abnutzte und die Riege der Handlungsträger empfindlich reduzierte. Bisweilen kommt es dann zu sehr seltsamen, lächerlichen Totenerweckungen, wie z.B. bei Jon Schnee – und der wäre lieber tot geblieben, was viel über die Welt aussagt, in der er lebt: „Irgendwo hält games1sich irgendein Gott den Bauch vor Lachen.“[2] Dieser Gott (oder die Götter oder was auch immer religionshistorisch alles in Game of Thrones – der Markt der Religionen ist da riesengroß – herumgeistert und sein Unwesen treibt[3]) muss ein Zyniker sein: „Entfache unser Feuer und schütze uns vor der Finsternis, blablabla, erleuchte unseren Weg und beschere uns muckelige Wärme, die Nacht ist dunkel und voller Schrecken, rette uns vor den schaurigen Wesen, und noch etwas mehr Blablabla.“[4] Die allerschrecklichsten Wesen – abgesehen von den Drachen, den handelsüblichen Psychopathen und der Intelligenz von Tyrion – kommen aus dem Norden: „Was die White Walkers in den Romanen verkörpern, sind in unserer Lebenswelt Phänomene wie islamistischer aber auch christlicher Fundamentalismus, die sich durchaus auch in so brutalen Formen manifestieren, wie wir sie eigentlich in die Welt der Fantasy-Romane verbannt glaubten.“[5] Der Winter wird kommen.

Kritisches Potential

Vielleicht macht das die Wucht von Game of Thrones aus: diese zwar verfremdete, aber doch sehr, sehr große Nähe zu unserer Welt, zu dem, wie wir Machtpolitik und bestimmte Formen von Religion erleben oder aus den Nachrichten erfahren müssen. Aber auch dieses: „Ob bewusst oder unbewusst, stillt die Serie viele Sehnsüchte, auch erotische[6], und kanalisiert verdeckt die Wut über die herrschenden Klassen oder als korrupt eingeschätzte Politiker.“[7] Und wehe, man/frau sagt, auch noch dichterisch, dass diese oder jene Politiker korrupt seien: „Wenn Ihr einem Mann die Zunge herausreißt, straft Ihr seine Worte nicht Lügen, sondern lasst nur die Welt wissen, dass Ihr sie fürchtet.“[8] Ossip Mandelstam, aus seinem „Epigramm gegen Stalin“: „Nur zu hören vom Bergmenschen im Kreml, dem Knechter, Vom Verderber der Seelen und Bauernschlächter.“[9] Als ob es erst dann real würde, wenn ein Dichter schriebe: Stalin ist ein Massenmörder … Mandelstam wurde verhaftet, verurteilt: „1938 […] Abtransport nach Sibirien. […] Aus dem letzten Brief Anfang November: »Meine Gesundheit ist sehr schwach. Bin äußerst erschöpft. Abgemagert, fast nicht wiederzuerkennen. Aber Kleider zu schicken, Essen und Geld – weiß nicht, ob es Sinn hat. Versucht es trotzdem. Ich friere sehr ohne Kleider.« Flecktyphus. Epidemie. 27. Dezember: Mandelstam stirbt im Lager […].“[10] Der Winter ist gekommen.

games7Nachtwachen

Frauen, Kinder und auch Männer sind Opfer primär (aber nicht nur) männlicher Gewalt. Es gibt sehr starke, hoch differenzierte Frauenrollen, die sich eben dieser politischen Mechanismen der Männerwelt bedienen, aber entweder ihnen zu entkommen versuchen, um neue Formen der Politik zu gestalten (z.B. wie die „Mutter der Drachen“, welche Sklaven befreit), oder ihnen verfallen, aus was für Gründen auch immer (Cersei aus blankem Hass heraus gegenüber religiösen Fundamentalisten; und Arya, getrieben von Rache für ihre ermordeten Familienmitglieder.) Jon Schnee ist um Konsens, Vermittlung und Integration von Alterität[11] bemüht – und muss dafür bitter bezahlen. Aber gibt es wirklich einen anderen Weg, um die Bedrohungen aus dem Norden abzuwehren? „[…D]ie unbegrenzte Regenerationsfähigkeit der Weißen Wanderer flößt tiefes, verzweifeltes Grauen ein. Allein in der Tatsache, dass das Heer der Toten anscheinend nicht schwimmen kann – eine Konsequenz des tief verwurzelten Volksglaubens, wonach fließendes Wasser abschreckt – scheint noch eine letzte schwache Hoffnung auf das Überleben-Können von Menschen nördlich der Mauer zu liegen.“[12] Die Nachtwache und die Mauer dienen als Bollwerk gegen die Schrecken aus dem Norden: „Die Nachtwache zählt zu den vielen Kriegerorden der Bekannten Welt, sie ist eine Schwurbruderschaft aus Männern, die sich einzig dem Dienst der Mauer widmen. […] Das Christentum im Mittelalter verstand, welche Vorteile darin lagen, durch die Schaffung von Kriegerorden die militärische Schlagkraft auf bestimmte Ziele zu richten. Die wichtigsten unter diesen Orden waren die Tempelritter und der Johanniter-, der spätere Malteserorden, die beide gegründet wurden, als der Westen infolge des Ersten Kreuzzugs das Heilige Land eroberte.“[13]

Gewissermaßen von der brutalen Historie losgelöst, ironisch verharmlosend nun folgende Werbung in einer Kino-Zeitschrift, durchaus gut und frech gemacht (Wer könnte hier auch nur am entferntesten an die Katholische Kirche denken? Hm.): „· Spannende Begegnungen mit Untoten, Wildlingen und anderen Feinden · Echte Kameradschaft in einer geschlechtlich einheitlichen Belegschaft […] · Modische Arbeitskleidung in trendigem Schwarz […] · Bereitschaft zum Zölibat. Haben Sie nichts mehr zu verlieren und Lust auf diese neue Herausforderung?“[14] Und dann folgt eine Internetadresse … Game of Thrones als ekstatisches Phänomen, das aus den Romanen aufsteigt, hinübersteigt (sich transzendiert) und sich in einer Serie visuell inkarniert, um seinen Geist über alle Medien (transmedial) auszugießen.

games6Entzauberung

Nach meiner persönlichen Einschätzung ist die gelungenste Kurzgeschichte von G.R.R. Martin „Am Morgen fällt der Nebel“[15] – eine Parabel auf den Einbruch der Ökonomie in eine zwar unheimliche, aber irgendwie reizvoll romantische Welt. Gibt es nun Geister auf jenem Planeten? Vielleicht nicht, aber es könnte sie ja geben. Die Entzauberung der Welt (nach Max Weber) wirkt hier sowohl befreiend als auch ernüchternd. Manchmal brauchen wir, diese so archaischen, verträumten Wesen, den Zauber, das Unheimliche (das wir ja selber sind, in anderer Gestalt), jene ferne Romantik, dass eine mondglänzende Liebesnacht eben nicht nur Gravitation und interaktive Genetik und irgendetwas zum (Ver)Kaufen darstellt. Game of Thrones hat magische Momente, aber keinen Zauber, dazu ist es zu grausam (bisweilen nur um des schieren Effektes willen), zu nüchtern (eine Neuauflage von Machiavellis „Der Fürst“?), zu realistisch (darum werden auch Schlachten nicht schön zelebriert, sondern in aller Grausamkeit), und zwar in einer paradoxen Bewegung: Game of Thrones bringt, pseudo-mittelalterlich verfremdet, das Verdrängte, Verschwiegene und Vertuschte, das Wegschauen und Wegideologiesierte der globalen Religions- und Politikhorrorshows gnadenlos zynisch zum Vorschein. „Was aber sind die Weißen Wanderer – und was wollen sie? ‚Einfach gesagt sind die Weißen Wanderer die Vision der Serie vom Krieg selbst: Tod erzeugt Tod, der wieder Tod erzeugt, bis nichts Lebendiges übrig ist,‘ so schreibt ein Kommentator. Sie sind eine metaphysische Macht, eine Wesensform von ganz anderer Art als die Drachen, die Kinder des Waldes oder irgendwelche Menschen in der Geschichte. […D]ieser Tod wiederholt sich auf ewig. Das macht sie so entsetzlich. Und ihre Verbindung mit dem Klimawandel, dem Einbruch des Winters, führt vielleicht ein Schicksal vor Augen, das uns allen bevorsteht.“[16] Der Winter kommt.

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Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg.

Weitere Beiträge von Markus Pohlmeyer finden Sie hier bei CULTurMAG.


 

[1] G.R.R. Martin: Witz und Weisheiten des Tyrion Lennister, übers. v. J. Ingwersen – A. Helweg, München 2017, 98. Leider zu viele fast leere Seiten mit zu wenigen Zitaten von einem der größten kleinsten Denker der Fantasy-Literatur.

[2] Tyrion (s. Anm. 1), 155.

[3] Vgl. dazu ausführlich Kap. 3 in  M. May u.a. (Hrsg.): Die Welt von »Game of Thrones«. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf George R.R. Martins »A Song of Ice and Fire«, Bielefeld 2016.

[4] Tyrion (s. Anm. 1), 154.

[5] R. Emig: »What is dead may never die, but rises again, harder and stronger.« Religion als Macht in ASOIAF, in: M. May u.a. (Hrsg.): Die Welt von »Game of Thrones«. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf George R.R. Martins »A Song of Ice and Fire«, Bielefeld 2016, 103-112, hier 111.

[6] Tyrion (s. Anm. 1), 45 zum Thema Erotik: „XXXXX magische Kräfte.“ Text aus Gründen der Sittsamkeit hier graphisch verfremdet.

[7] Cinema Special. Der Serien-Guide 2017, 22.

[8] Tyrion (s. Anm. 1), 33.

[9] O. Mandelstam, in: Bahnhofskonzert. Das Ossip-Mandelstam-Lesebuch, übers. u. hg. v. R. Dutli, Frankfurt am Main 2015, 287. Eine Aktualisierung erübrigt sich hier, da das Phänomen der Zensur zeitlos ist. Leider.

[10] Ossip-Mandelstam-Lesebuch (s. Anm. 9), 371.

[11] Vgl. dazu M. Grizelj: Beyond the Wall. Alteritätsdiskurs in GOT, in  M. May u.a. (Hrsg.): Die Welt von »Game of Thrones«. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf George R.R. Martins »A Song of Ice and Fire«, Bielefeld 2016, 81-100.

[12] C. Larrington: Winter is coming. Die mittelalterliche Welt von Game of Thrones, übers. v. J. Fündling, Darmstadt 2016, 112 f.

[13] Larrington (s. Anm. 12), 103.

[14] Cinema 5/2015, 29.

[15] Zu finden in: G.R.R. Martin: Traumlieder I, Erzählungen, München 2014 (versch. Übers.).

[16] Larrington: Winter (s. Anm. 12), 115.

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