
Jüdisches Museum nur für Juden?
Der Direktor des Jüdischen Museums muss zurücktreten, weil seine Pressestelle einen Tweet empfohlen hat, in dem sich israelische Wissenschaftler zum Boykott gegen israelische Waren äußern, und dabei nicht die offizielle Politik vertreten. Gleich danach wird der Vorschlag ins Spiel gebracht, nur Juden sollten das jüdische Museum leiten (womit darauf verwiesen wird, dass Herr Schäfer kein Biojude ist). Wer wird über die Jüdischkeit bestimmen? Der Zentralrat der Juden? Oder der Antisemitismusbeauftragte? Dürfen Konvertiten? Oder Menschen, die “nur” einen jüdischen Vater haben? Müssen mindestens drei Großelternteile jüdisches Blut haben?
Ob Antisemiten oder Philosemiten derlei Vorschläge machen, ist egal, es bleibt rassistisch, ist allerdings nicht allzu weit von anderen Identitätspolitiken entfernt. Nur Schwarze dürfen über Schwarze, nur Frauen über Frauen schreiben oder reden. Was passsiert mit dem deutschen Kulturbetrieb, wenn sich nur Juden über Jüdisches äußern oder nur “reinrassige” Juden Klezmer-Musik machen dürfen?
Es ist hierzulande schwierig, in Angelegenheiten, die jüdische, amerikanische, israelische oder irgendwie kontaminierte Themen betreffen, zu differenzieren und mehrere Gesichtspunkte zu betrachten. Die hysterischen Reaktionen sind nicht nur lächerlich, sie befördern auch die sattsam bekannten Verschwörungstheorien à la: “Man darf nichts sagen”. Es gab und gibt viele Arten, jüdisch zu sein, und der Zentralrat der Juden ist kein jüdischer Papst, der definieren könnte, was erlaubt oder verboten ist; auch eilfertige Philosemitinnen haben keinerlei Legitimation, um über die Besetzung eines öffentlichen Museums zu bestimmen. Mit solchen irren Geboten wird die mühsam aufgebaute Vielfalt jüdischen Lebens, für die die Bundesrepublik viel Geld und Mühe aufgewandt hat, demoliert. Dabei könnten Debatten über die komplexen Fragen zur deutschen und deutsch-jüdischen Geschichte samt Meinungen über die Beziehung zu Israel dem Nachfolgestaat des NS-Regimes nur gut tun. Rufe nach Zensur, politischer Korrektheit und Parteinahme bewirken das Gegenteil von Aufklärung.
Hazel Rosenstrauch

P.S. der Redaktion – Der Historiker Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems, meinte, das Jüdische Museum sei seiner Aufgabe nachgekommen, als es in einem Tweet darüber informierte, „dass 240 jüdische Wissenschaftler aus Israel und dem Rest der Welt eine andere Auffassung von ‚Antisemitismus‘ haben als der Deutsche Bundestag“. Überhaupt sei jüdische Geschichte zweitausend Jahre lang Diasporageschichte gewesen und deswegen immer auch Geschichte der Beziehungen – zur Mehrheitsgesellschaft und zu anderen Minderheiten: „Die gegenwärtige Tabuisierung jeder offenen Diskussion über Israel oder über den Antisemitismus der Gegenwart, die in der Kampagne gegen das Berliner Museum seinen fatalen Ausdruck gefunden hat, sie trifft vor allem: Juden. Wenn jüdische Stimmen, die sich solchen Denkverboten nicht beugen wollen, mit versteckten und offenen Drohungen zum Schweigen gebracht werden, dann sind jüdische Museen, die dieser Vielfalt eine Bühne bieten, offenbar nötiger denn je.“
Währenddessen treibt die scheinbare Politcal Correctness täglich neue Blüten. Drei Beispiele: In den USA wüten Säuberungswellen bei der Young Adult Fiction. Als der Journalistinnenbund (jb) der Cartoonistin Franziska Becker einen Preis für ihr Lebenswerk verleihen will, bemängeln Twitternutzer, Cartoons der Zeichnerin seien islamfeindlich (Bericht dazu hier). Vom Trainer der englischen Frauenfußball-Nationalmannschaft wird ein Tweet skandalisiert, er müsse heute erst einmal noch seine Frau schlagen. Er kann jedoch den Zusammenhang aufklären: Es handelte sich um ein Tischtennismatch.

Hazel E. Rosenstrauch, geb. in London, aufgewachsen in Wien, lebt in Berlin. Studium der Germanistik, Soziologie, Philosophie in Berlin, Promotion in Empirischer Kulturwissenschaft in Tübingen. Lehre und Forschung an verschiedenen Universitäten, Arbeit als Journalistin, Lektorin, Redakteurin, freie Autorin. Publikationen zu historischen und aktuellen Themen, über Aufklärer, frühe Romantiker, Juden, Henker, Frauen, Eitelkeit, Wiener Kongress, Liebe und Ausgrenzung um 1800 in Büchern und Blogs. Ihre Internetseite hier: www.hazelrosenstrauch.de
Ihre Texte bei CulturMag hier. Ihr Buch „Karl Huss, der empfindsame Henker“ hier besprochen.
Gerade erschienen: „Simon Veit. Der missachtete Mann einer berühmten Frau“ (persona Verlag, 112 Seiten, 10 Euro). Besprechung siehe in non fiction, kurz in dieser Ausgabe.
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