Linientreuer Seitenwechsler
Vom Entwicklungshilfeminister für die Armen zum Entwicklungshelfer der Waffenhändler – so kann konsequente berufliche Entwicklung aussehen. Hat Niebel denn wirklich die Seiten gewechselt? Ein Politthriller-relevantes Spektakel. Ein Kommentar von Lena Blaudez.
Als FDP-Generalsekretär versprach Niebel lautstark im Wahlkampf, das Entwicklungshilfeministerium abzuschaffen. Aber dann nahm er doch lieber den Posten als Chef des Ladens. Und erkannte, dass es ganz vernünftig war, was da in seiner Jobbeschreibung stand: Wirtschaftsförderung, Arbeitsplatzbeschaffung, Einsatz für die Menschenrechte.
Und das hat er dann alles auch gemacht.
Wirtschaftsförderung
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat jährlich über sechs Milliarden Euro zu verteilen. Niebel griff zu. Das „Hirseschüssel-Ministerium“ von seiner Vorgängerin Wieczorek-Zeul gedachte er umzugestalten zum „Globalisierungsminsterium“. Mit deren „Gutmenschentum“ wollte er nichts zu tun haben. Markig und breitbeinig, wie das so seine Art ist, erklärte er, dass die Entwicklungspolitik deutschen Interessen dienen solle, vor allem dem deutschen Mittelstand.
„Wir sind Marktführer der Entwicklung in der Welt“ Dirk Niebel
Ihm ging es darum, so erklärte er, sich durch gezielte Entwicklungspolitik in den Partnerländern die Rohstoffvorkommen zu sichern. Deutschland sei ja schließlich auf diese Rohstoffe angewiesen.
Wirtschaftsförderung? Genau!
„Mit jedem Euro Entwicklungszusammenarbeit fließen langfristig zwei Euro zurück zu uns.“ Dirk Niebel
Arbeitsplätze und Menschenrechte
Nächster Punkt: Arbeitsplatzbeschaffung. Hat er übererfüllt.
In seinem Ministerium. Hier hat er seine FDP-Freunde versorgt, eigens neue Abteilungen geschaffen, die Anzahl der Abteilungsleiter von drei auf fünf erhöht – vier davon für seine Partei-Freunde. Mehr als 40 Jobs hat er an FDP-Leute vergeben, meist Schlüsselpositionen, Fachkompetenz war nicht so wichtig.
„Loyalität kommt vor Fachlichkeit“ Dirk Niebel
Menschenrechte sind die Basis von Entwicklungspolitik, so Niebel. Und dafür setzte er sich auch ein. Zum Beispiel im Fall einer Kaffeeplantage in Uganda, die ein Hamburger Unternehmer betreibt. Dafür wurden tausende Menschen durch die ugandische Armee von ihrem Land vertrieben. Eine Menschenrechtsorganisation setzte sich für die Entschädigung der Kleinbauern ein. Das Unternehmen wehrte sich gegen die Vorwürfe, es wären eigentlich nur ganz wenige verjagt worden. Niebel bezog Stellung. Er fand das Verhalten unangemessen und unberechtigt. Das der Menschenrechtsorganisation.
„Das Entwicklungsministerium ist kein Weltsozialamt!“ Dirk Niebel
Die internationalen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen? Ungerechte Strukturen? So what? Wenn’s denn der Exportförderungdient. Mehr Menschenrechte für die Unternehmer!
Entwicklungshiiiiilfe, rechts um!
Militär und Entwicklungshilfe wollte Niebel gern mehr verzahnen. Dafür drohte er schon mal den davon wenig begeisterten Nichtregierungsorganisationen, den Geldhahn zuzudrehen.
„Wenn einige Nichtregierungsorganisationen eine besondere Bundeswehrferne pflegen wollen, müssen sie sich andere Geldgeber suchen.“ Dirk Niebel (hier mehr)
Auch wurden Nichtregierungsorganisationen von seitens des Ministeriums plötzlich streng kontrolliert – vor allem kritische, so heißt es. Broschüren, die mitfinanziert wurden, mussten vorher zur Begutachtung eingereicht werden – und das Ministeriums-Logo auf der Titelseite tragen.
Gern setzte er seine Gebirgsjägermütze auf, besonders, wenn linke „Berufsbetroffene“, die sich ja furchtbar viel in dieser Branche tummeln, in seine Nähe gerieten. Nie gewaschen, erklärte er immer stolz. Mit dem Deckel auf dem Kopf und imperialem Gestus marschierte er dann durch Kriegs- und Krisenländer und durch die ehemaligen Kolonien in Afrika. Heute ruht das Provo-Mützchen neben so historisch wertvollen und nett anzusehenden Dingen, wie Kohls Strickjacke in einem Museumsarchiv in Bonn
Panzer für die Entwicklungsländer?
Nun ist ja Niebel bekannterweise als Mitglied des Bundessicherheitsrates an Entscheidungen über deutsche Waffenexporte beteiligt gewesen. Panzer Fuchs 2 für Algerien? Aber bitte. Deutsche Leopard-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien und Indonesien? Gerne doch. Schließlich alles lupenreine Demokratien. Ach ja. Bei Schröders Gazprom-Job mäkelte Niebel, er verspüre da einen „Hauch von Korruption“. Nett gesagt. Rheinmetall hat bei den Panzerdeals jedenfalls nicht übel profitiert. Auf welcher Seite stand Niebel da?
„Unsere Entwicklungsarbeit ist ausdrücklich auch interessenorientiert.“ Dirk Niebel
Jetzt ist die „Anschlussverwendung“ des Ministers und ehemaligen Fallschirmjägers und Zeitsoldaten also Türöffner für einen der größten Waffenexporteure, der – natürlich – immer fleißig und regelmäßig auch an die FDP spendet. Sinkende Verteidigungsbudgets in vielen demokratisch regierten Ländern brachten den Laden in die Verluste. Doch es besteht Hoffnung. Die sieht der Vorstandschef im Mittleren Osten, Nordafrika und Südostasien. Und das Adressbüchlein des untergegangenen Entwicklungshilfeministers ist sicher prächtig gefüllt mit Handy-Nummern des einen oder andern Despoten und weiteren freundlichen Abnehmern von Waffen.
Dann kann er ja Interna aus dem Bundessicherheitsrat an Rheinmetall ausplaudern? Also, Angela hat gesagt, ein Scham-Jahr soll er warten. Hat er auch gemacht. Dann ist doch alles okay.
Der Steuerzahler bürgt für die Waffenhändler
Übrigens: Dank der Mitgliedschaft im Bundessicherheitsrat hatte Niebel auch noch weiteren Einfluss auf die Waffen-Geschäfte seines neuen Arbeitgebers. Denn das BMZ entscheidet im Interministeriellen Ausschuss mit über die Kreditversicherungen der Rüstungsexporte aus Deutschland. Die Rede ist von den Hermes-Bürgschaften, mit denen Waffengeschäfte abgesichert werden. Ohne diese Kredite wären die Deals kaum möglich. Was heißt das im Klartext? Wenn ein Kunde nicht zahlen kann, springt der deutsche Staat ein. Sprich: Die Steuerzahler bürgen dafür, dass die Waffenhändler auch an ihr Geld kommen. Wenn also ein Land, beispielsweise ein armes Entwicklungsland, das Panzer von Rheinmetall kauft, sie gar nicht bezahlen kann, macht das nichts, der Steuerzahler zahlt, der Waffenexporteur ist abgesichert.
Ein Skandal, dass sich Niebel von der Rüstungsindustrie kaufen lässt? Warum das denn? Der Skandal ist, dass dieser Mann vier Jahre lang so ein heikles Ministerium wie das der Entwicklungszusammenarbeit führen konnte – die zwar zu Recht in der Kritik steht – aber mit diesem Politiker an der Spitze völlig ab adsurdum geführt wurde. Und das, obwohl der Mann nie ein Blatt vor den Mund genommen hat. Was sagt uns das? Dass bei Entwicklungszusammenarbeit egal ist, wie und wer da entwickelt wird? Oder, dass Niebels Auffassung von Entwicklung gut ins Gesamtkonzept deutscher Politik passte? Als Helfer der Rüstungsindustrie hat er zumindest von seiner Haltung her keinen Seitenwechsel nötig gehabt.
Lena Blaudez
Fotos: Screenshots (PlanetWissen, Facebook). Weiterführende Lektüre: Deutschlandradiokultur.de.
Mehr zu Lena Blaudez: bei Culturbooks, zu den CULTurMAG-Beiträgen, zur Homepage, Lena Blaudez auf Facebook.