
Corona-Gedichte 3
I
Gestern zum Friseur.
Beim Warten saß mein Körper
So, dass die vielen Spiegel vor
Und hinter mir meinen
Rücken mich sehen ließen und wie ich
Eine Maske trage. Und das wiederum
Zahllos gespiegelt. Und sah
Mich gleichzeitig, wie ich mich
Alltäglich nie sehen kann.
Und vervielfältigt durch Optik
Bilder auf Bilder
In Bildern:
Machen das nicht auch meine
Gedichte mit meiner Seele?
II
Irgendwie fühle ich mich wie eine komplexe Gleichung:
Irgendwie scheint alles imaginär und dazu seltsam real-reell.
Ständig, stündlich sitze ich an Turing-Maschinen, die so tun,
Als wären sie Menschen – und: oder als ob mein
Imaginäres Ich für sie ein Mensch wäre.
Nun, ich brauche kein Feld zu bestellen, sondern spreche
(Kommuniziere?) in ein Ding … und Essen kommt.
Oder Bücher. Ich verstehe einen Pflug oder ein Buch,
Aber ich verstehe kaum jenes Wunder
Meines Gehirns oder dieser seltsamen Schreibmaschine,
Die das hier festhält.
Liturgie des Imaginären,
Damit meine Realität weiterexistiert.

III
Hinter der Maske
Wie soll ich das beschreiben,
Dies Lächeln dein?
Du tanzt vor dich hin. Für einen
Augenblick bleibst du stehen,
Schaust über die Schulter:
Ein Lachen, ein Wissen,
Bezaubernd. Als wäre ich
Dein Spiegel.
IV
Okay, ein Virus.
(Und da wartet immer noch ein
Menschengemachter Klimawandel.
Und wir dachten: die Atombombe oder
Aliens oder Zombies).
Corona kann töten, auch durch Einsamkeit.
Kein flammendes Inferno, sondern eine stille
Wohnung, Erinnerungen wie leuchtenden
Totenmasken, Gespenster, die auch nach
Mitternacht noch bleiben – aus Langerweile,
Selbst die Dämonen resignieren und geben
Sich gemütlich. Doch leer das Bett, leer
Die Blätter: Wie soll mir denn Papyrus mit
Ein paar unwirklichen Versen fester Anker sein?
– in diesem Meer, hell wie die Nacht,
Dunkelnd wie der Tag und
Unerbittlich.
V
„Guten Morgen … Moment. Wer ist die Frau neben dir?“
Meine Gattin.
„Seit wann seid ihr verheiratet?“
Seit gestern, als mein Nachbar von seiner Freundin verlassen wurde
und nun Single ist.
„Guten Morgen … Moment. Du lebst mit einem Mann zusammen?“Ja, mein Nachbar hat gestern seine Ex geheiratet!
„Guten Morgen … Moment. Das gibt es nicht. Du bist ja eine Frau. Wie …?“
Mein Nachbar ist ein Mann.
„Guten Morgen … Moment. Hallo, heute bist du wieder ein Mann?“
Ja, meine Nachbarin …

VI
Gestern ging ich von meiner Wohnung den gewohnten Weg
Zum Markt. Aber von da kann ich den Weg nicht mehr zurückgehen,
Denn eine Baustelle versperrt alles. Also werde ich mir einen Weg
Suchen über die Sonne oder den Saturn oder über Florenz, bis ich
Meine Wohnung erreicht haben werde, die ich erst morgen verlasse,
Um den gewohnten Weg … Du warst in Florenz? Magst du fragen.
Ja. Wie lange? Könnte ich nicht sagen. (Florenz, das in diesen Tagen
Weiter weg scheint als die Sonne.) Du bist schnell gereist:
Sonne, Saturn, eine italienische Stadt. Ja. Wie war es auf dem
Saturn? Ich bin nicht dort gewesen. Meine Wohnung habe ich
Nie verlassen … Aber die Geschichten von hier und dort und morgen …
VII
Wo Verzeihen
Der Kommenden?
Sie wüssten von
Heute nur
Durch Ruinen,
Die ihnen als
Zukunft
Verkauft wurden.
VIII
An die Freunde, an die Musen
Dank euch
Danke für alle Zeilen
Auch wenn mein Gedichte
Nicht unsterblich sind
Wer könnte dies auch versprechen
Doch Untersterbliche wir alle
In eines anderen Hand
Gottes oder des Kosmos
Denn ich vertraue denn
Ich durfte lieben

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa Universität Flensburg. Seine Texte bei CulturMag. Sein Corona-Zyklus Teil I bei uns hier. Teil II hier, seine SHUT DOWN Haikue in unserem Special hier.