Geschrieben am 1. Dezember 2020 von für Crimemag, CrimeMag Dezember 2020

Markus Pohlmeyer: „Game of Thrones 8“

Ein kleiner Rettungsversuch 

I

Zugegeben, ich war nie wirklich begeistert von „Game of Thrones“.[1] („Der Wüstenplanet“-Zyklus und mittelhochdeutsche Epen schienen mir da um Lichtjahre besser.) Aber ich muss nun etwas zur letzten Staffel schreiben. Es gab und gibt zahlreiche Kritik am Finale. Vielleicht sah ich dieses anders, weil ich keine messianischen oder überhaupt irgendwelche Erwartungen an diese Serie anlegte, die übrigens alle Konzepte von Messias-Figuren illusionslos durchstreicht. Zusammengefasst: Wie ich einer der wenigen war, den die Staffeln 1-7 kaum begeisterten, so scheine ich nun einer der wenigen, der von Staffel 8 begeistert war. Die Einschätzung von Alf Mayer in einem Gespräch, GoT 8 als „autonomes Kunstwerk“ zu betrachten, hat mich zudem ermutigt. Dennoch: Das bessere Wort wäre statt ‚begeistert‘ entgeistert. Manche Folgen haben mich so erschüttert, dass ich zum Teil abbrechen musste. Die Dynamik der Handlung weicht immer mehr zurück zugunsten einer Statik von Bildern, die an die Albtraumszenerien eines Hieronymus Bosch erinnern.

II

Die Schlacht vor und um Winterfell gegen den Nachtkönig und seine (Un)Toten spielt in Schnee und Dunkelheit. (In meinem Wohnzimmer Licht aus! – wow, sehr beeindruckend. Und: Das kann ja auch nicht an einem schönen Sommertag geschehen sein.) Drachenfeuer erhellt die Schwärze: brennende Eiswelten – als Einheit antagonistischer Prinzipien. Der Kampf der drei Drachen in den Wolken (Der Himmel wird mit einbezogen, also eine universale Schlacht): beeindruckend choreographiert. Oder wie das Heer der Dothraki mit flammenden Schwertern, stürmend gegen die dunkle Armee, in die Schwärze reitet. Und Jon und Daenerys von einem Hügel aus mit ansehen müssen (und ebenso die anderen von weiter unten), wie die Lichtpunkte der Angreifer eins um das andere in der Dunkelheit verschwinden. Der Nachtkönig, der Tod ist, was er ist. Verzweiflung pur: Selbst die getöteten Toten kann dieser wieder auferstehen lassen. Unter großen Verlusten aller wird Arya letztlich die personifizierte Kälte besiegen, dessen Ziel im Grunde der verkrüppelte Bran ist, um nämlich mit ihm das Gedächtnis, die memoria der Menschen, und ihre Geschichte(n) auszulöschen.

III

Die Drachenkönigin brennt Königsmund nieder, obwohl Varys, Tyrion und Jon Schnee alles versuchen, die Stadt zu retten. Varys wird deshalb in Drachenflammen aufgehen, Tyrion seinen Glauben an Daenerys verlieren und Jon sie, seine große Liebe, schließlich töten müssen. Jon ist der eigentliche Erbe des Eisernen Thrones; er verzichtet aber immer wieder auf Macht, weil all seine Hoffnungen auf der Drachenkönigin ruhen. Als sich die Stadt schon ergeben hat, zögert Daenerys, mit ihrem Drachen auf den Dächern weilend – eine wirklich Peripetie: die Handlung schlägt um. Und für einen Moment schien es mir, als sähe sie mit ihren hellen Haaren und ihren Augen wie der Nachtkönig aus. Sie lässt ihren Drachen die Stadt einäschern. Gnadenlos. Kein Erbarmen für niemanden. Auch nicht für Kinder. Die Asche der verbrannten Häuser und Menschen rieselt und legt sich weiß wie Schnee über die Ruinen. Brennende Ruinen, verschneit – als Einheit antagonistischer Prinzipien. Arya, vormals Heldin und Todesbezwingerin, kann dem Inferno geradeso entkommen. Sie, verstummt, in den zerstörten Gassen umherirrend: verletzte, verkrümmte, verkohlte Leiber. Verstummt Jon, Tyrion sprachlos, vor Entsetzen. Später, auf den Stufen des Palastes, hoch erhaben über ihr Heer, über die Menschen hoch erhoben, verkündet Daenerys, flankiert von ihrem Drachen, sie werde die ganze Welt befreien. Ein ewiger Krieg zieht herauf. 

IV

Als die Hölle über Königsmund hereinbrach, schien die Sonne. Die Drachenkönigin ist nicht das, was sie ist; sie hat sich dafür entschieden. Sie, die als eine andere politische Konzeption antrat und nun zu einer Tyrannin mutierte – mit einer fürchterliche Waffe: ihrem Drachen. Jon, innerlich zerrissen, ersticht sie, seine Liebe, seiner Verwandte, seine Königin, vor dem Eisernen Thron. Der Drache eilt herbei und vernichtet … eben nicht Jon, sondern lässt den Thron, das Objekt der Begierde so vieler, in seinem Feuer verglühen, schmelzen. 

V

Tyrion gelingt es schließlich, die anderen Häuser dazu zu überzeugen, ein Wahlkönigtum zu etablieren. Bran der Gebrochene soll der neue König werden, denn über ihn ließen sich Geschichten erzählen. Nichts auf der Welt sei mächtiger als eine gute Geschichte, wie Tyrion darlegt: „Er ist unser Gedächtnis.“[2] Zum Schluss – der Zwerg ist nun damit bestraft worden, die Hand des Königs zu sein – legt Großmaester Samwell ihm ein Buch mit dem Titel „A Song of Ice and Fire“ vor (Ein Verweis auf die Buchvorlage.). Nur: Tyrion bleibe darin unerwähnt. (Welche Ironie, eine der Hauptfiguren, vielleicht die Hauptfigur, über die es nichts zu erzählen gäbe?) Zum Schluss: Arya entdeckt neue Länder – eine Columba auf ihrem eigenen Schiff. Königin Sansa erreicht die Freiheit des Nordens. Und Jon verschwindet mit den Wildlingen in den Wäldern jenseits der Mauer – unter den epischen Klängen der chorbegleiteten Titelmusik. Bran und Sansa herrschen über Menschen, Arja sucht die Entgrenzung durch das Meer, und Jon wird Teil von Schnee und Wald. Ein neuer, aber anderer weißer Wanderer? Und der letzte Drache? Verschwand mit der Leiche von Daenerys in den Wolken. Himmelsbestattung? 

VI

In Staffel 8 wird das Erwartbare zum Unerwarteten. Welche Tragik, dass Daenreys auch nichts anderes war als eine Tyrannin. Ihr Fall wiegt jedoch schwerer, da sie als Hoffnungsträgerin ihren Weg anfing und weil sie ihren Geliebten, ihre Freunde und Gefährten am Ende fürchterlich desillusionierte. Was für eine Heldenreise hat Jon Schnee hinter sich? Ermordet, von den Toten auferweckt, muss er die Liebe seines Lebens töten, um eine Weltkatastrophe zu verhindern. Gerade weil er die Macht nicht will, wäre er für viele der ideale König, dazu noch erblich legitimiert. Doch Jon entscheidet sich anders als die Drachenkönigin, obwohl auch er Drachen reiten könnte. „Der Mythos ist eine Methode, Widersprüche, die sich in der Praxis nicht lösen lassen, auf geträumte, vorgestellte, angestrebte Weise zu harmonisieren.“[3] Für Jon gibt es diese mythologische Versöhnung nicht, und damit wird GoT auf eine andere Weise hart und realistisch – jenseits aller Schockmomente und Effekthascherei. Vielleicht aber erweist sich das Wahlkönigtum Brans als ein neuer, versöhnlicher Weg – ein Weg hin zur Demokratie, auch wenn der Vorschlag, dass alle wählen sollen, noch Gelächter im Rat der großen Häuser auslöst. Vorerst.

Der Nachtkönig schien mir wie eine Allegorie auf den Klimawandel,[4] die Drachenkönigin wie eine Allegorie auf die Atombombe. Das hier ist Fantasy, die nur bedingt zum Träumen einlädt, weil Geschichte (mit ihren politischen, ökonomischen und militärischen Mechanismen) in ihr immer präsent bleibt: ernüchternd, dämonisch, fatalistisch. Manchmal macht ein gutes Kunstwerk gerade das aus: keine Erwartungen zu erfüllen.

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg. Seine Texte – inzwischen sind es über hundert – bei uns hier.


[1] Siehe dazu Markus Pohlmeyer: Got (Game of Thrones). Minimale Meditationen. Ein Essay, in: http://culturmag.de/crimemag/essay-markus-pohlmeyer-game-of-thrones-minimale-meditationen/101167, Zugriff am 15.5.2017. (italien. Fassung:) Markus Pohlmeyer: arriva l’inverno. Meditazioni minimali attorno a Il torno di spade, in: Il Regno – Attualità 16/2017, 471-473. 

[2] Alle direkten und indirekten Zitate aus der DVD-Box: Game of Thrones. Die komplette achte Staffel, © 2019 HBO.

[3] G. Seeßlen: Filmwissen: Western, Marburg 2011, 18.

[4] Siehe dazu C. Larrington: Winter is coming. Die mittelalterliche Welt von Game of Thrones, übers. v. J. Fündling, Darmstadt 2016, 115.

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