
In den letzten Dezembertagen ist mein Freund und Schreibkumpel Rainer Wittkamp gestorben. Wir kannten uns erst seit gut drei Jahren, ich werde daher nichts zu seiner Jugend oder seinem Werdegang schreiben, sondern kurz davon berichten, wie wir uns kennengelernt und dann über drei Jahre hinweg an gemeinsamen Büchern gearbeitet haben.
Ich kam mit Rainer eigentlich zufällig ins Gespräch. Das war nach einer Lesung unseres Schriftstellerkollegen Robert Brack.
Ja und da saß Rainer also, mehr zufällig wie ich zunächst dachte, neben mir. Wir sprachen eine Weile über Roberts Lesung, dann über dies und das, Rainer erzählte, dass er ebenfalls Kriminalromane schreibt, und dann … fragte er.
„Sag mal, könntest du dir vorstellen, dass wir mal ein Buch zusammen schreiben?“
„Wie?“, fragte ich zurück.
„Na, was ich sagte. Dass wir zusammen ein Buch schreiben.“
Ich kannte Rainer ja gar nicht, überlegte kurz und antwortete schließlich:
„Na, wir können es jedenfalls probieren.“
Also trafen wir uns und er schien auch schon eine recht genaue Vorstellung zu haben. Eine Reihe von Agententhrillern schwebte ihm vor, die im Fin de Siècle spielen sollten.
Und nun geschah ein kleines Wunder. Wir fingen tatsächlich an. Erst ein Exposé, dann ein Treatment. So, wie es Rainer früher beim Drehbuchschreiben, und seit einigen Jahren beim Verfassen seiner Kriminalromane gewohnt war. Ich schreibe für gewöhnlich weder ein Exposé noch ein Treatment.
Das sagte ich ihm auch. Rainer meinte daraufhin: „Doch, das ist besser so.“
Ich merkte, nachdem ich zwei seiner Krimis gelesen hatte, dass Rainer, was das Schreiben angeht, deutlich andere Interessen hat. Bei ihm gibt es erheblich mehr Handlung und er hat ein Faible für Perspektivwechsel. Ich glaube, dass er so völlig anders schrieb, hat mich gereizt.
Tatsächlich fanden wir schnell einen Verlag, gingen, erst in Deutschland, dann in Österreich auf Lesereise, schrieben bald darauf ein zweites Buch, das wir im September noch gemeinsam beendet haben. Geplant waren, von Rainers Seite her, wenigstens sechs weitere Bücher der Reihe.
Ich sagte: „Sechs Bücher? Das ist aber eine ganze Menge.“
Er sagte: „Ja und?“
Ich sagte: „Na gut, wenn du meinst.“
Das Verrückte an der ganzen Angelegenheit war, dass alles so reibungslos klappte. Ich begann mich mehr und mehr fürs Fin de Siècle und die Belle Epoque zu interessieren und wir fanden nach unserem ersten Buch einen noch besseren Verlag für unser zweites, schrieben in aller Ruhe und lernten die Szenen des anderen zu akzeptieren.
Übrigens begannen wir die Arbeit mit einer Angleichung unserer Sprache. Also unserer Sprech- und Schreibstile. Das hat schon was Spezielles, wenn zwei Männer, um die Sechzig, die sich kaum kennen, sich hinsetzen, um ihren Sprachstil einander anzugleichen. Auch die Dialoge bei unseren Unterhaltungen wurden in dieser Phase immer schneller, der eine nahm dem anderen das Wort aus dem Mund. Es war eine recht kuriose Adaption des jeweils anderen.
Aber da war noch mehr. Und so habe ich noch im Herbst zu Antje gesagt: „Es ist verrückt. Abgesehen von dir habe ich mit keinem Menschen so viel und so intensiv geredet, keinen so oft gesehen, wie Rainer. Und weißt du was? Ich glaube, wir sind darüber inzwischen richtige Freunde geworden.“
Eine kleine Anekdote möchte ich noch erzählen:
Meine Erinnerung betrifft jene seltenen Momente in denen es dann doch mal heftigen Streit gab, wegen irgendeiner Stelle im Text. Ich habe leider die Angewohnheit mich manchmal aufzuregen. Oder aufzuspulen, wie man das nennt. Da sagte ich dann: „Gut, Rainer, wenn dir das alles zu kompliziert wird, dann können wir die Szene auch gleich ganz weglassen!“ Diesen Satz, und noch zwei weitere im Furor. Rainer hörte sich das an. Wartete, nachdem ich mich ausgetobt hatte, noch zwei Sekunden, bot mir die Hand wie zur Begrüßung und fragte: „Freunde?“
Ja, und da schlug ich dann ein und es machte Puff mit meinem Zorn und wir konnten unsere Sache in Ruhe besprechen.
Als ich es von seiner Freundin, Mariam, erfuhr …
Erst, wie aus dem Nichts, die Mitteilung: Rainer ist letzte Nacht in die Charité eingeliefert worden. Einige Stunden später schrieb sie: Rainer ist ganz friedlich eingeschlafen.
… nun, ich bin nah am Wasser gebaut. Rotz und Tränen, wie man so sagt.
Rainers Tod hatte – die Frage steht ja im Raum – nichts mit dem zu tun, wo die Zahl 19 oder das Herz eine Rolle spielen. Er wusste es schon länger, hat niemandem etwas gesagt. Seine Entscheidung. Wie so vieles zwischen uns. Den Raum haben wir uns immer gegeben.
Was bleibt, ist die Erinnerung an eine ganze Reihe von Momenten, ja beinahe Szenen wie die, die ich oben geschildert habe. Und was ich ebenfalls weiß, ist, dass von Rainers Wesen, seiner ganzen Art, noch sehr viel Lebendiges in mir steckt. Trotzdem heißt es Schritt für Schritt Abschied zu nehmen.
Lieber Rainer, es fällt mir sehr schwer.
Matthias Wittekindt