Vergnügliche Comic-Kost
– Man muss Zombies nicht mögen. Schon alleine wegen ihrer schauderhaften Ess-und Tischmanieren nicht. Aber sie sind halt überall. Unser Autor überlegt sich gar, „warum ich beim Lesen von ‚Dead Ends‘ an die Publikumstage der Frankfurter Buchmesse denken musste“.
Von Hanspeter Ludwig.
Mit der Buchmesse verhält es sich so: Als irgendwie professionell Involvierter besucht man die Messe unter der Woche, um dem noch größeren Trubel am Wochenende zu entgehen. Muss dieser professionell Involvierte aber dennoch Samstag und Sonntag nach Frankfurt, findet er sich wieder in dem, was ich gern „Cosplay-Hell“ nenne. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, es ist nur verdammt verwirrend plötzlich im klassischen Business-Ornat inmitten von Horden bunter Manga-Figuren zu stecken.
Niedliche Zombies? Bitte?
Mit „Dead Ends“ ist es ähnlich. Als Christopher Tauber von Zwerchfell den neuesten Zombicomic ankündigte, hatte ich das Kleingedruckte wohl irgendwie überlesen und war gehörig überrascht, plötzlich einen ziemlich mangaesken Band in den Fingern zu haben. Wer meine Rezension zu „Die Toten“ aus dem gleichen Verlag kennt, weiß, dass ich anfangs schon so meine Vorbehalte hatte: Zombies waren so gar nicht meins. Allerdings war ich von „Die Toten“ sofort begeistert. Ich wollte also den neuesten Streich der Indie-Altvorderen lesen, und was springt mir da von den Seiten entgegen? Manga-Zombies! Niedliche Zombies? Bitte?
Aber wieder einmal bin ich dabei zum Teil meinen Vorurteilen aufgesessen. Auch, wenn ich stellenweise schon ein wenig an Jack Kamen auf synthetischen Drogen denken musste (Jack Kamen war einer der Zeichner bei EC-Comics, einem der wichtigsten Horror-Comic-Verlage aller Zeiten, und wurde wegen seiner sauberen, selten blutigen Zeichnungen und seiner Meisterschaft bei „Romance“-Comics gern von den Kollegen sanft aufgezogen). Die Idee hinter dem Band, in dem Autor Michel Decomain vier Zeichnern Zombie-Storys auf den Leib geschrieben hat (im Zeitalter der Tätowierung gar kein so schiefes Sinnbild), ist die Verkehrung einiger Genre-Konventionen. In den 60er Jahren erfand Stan Lee „Superheros with Problems“, um die Leseridentifizierung zu erhöhen, nun bringt dieses junge Team „Zombies with Emotions“. Gewissermaßen.
Wie es ist zu sterben. Oder eben nicht.
Schon die erste Story, „Zombieherz“, die man getrost als gut gemachte Zombie-Action-Schmonzette bezeichnen kann – sie enthält Kernbestandteile dieser Genres –, stimmt auf die etwas andere Sichtweise ein. Gleich am Anfang berichtet der Held der Geschichte, Dominic, wie es ist zu sterben bzw. eben nicht. Die Gedanken sind klar, wie er feststellt, nur mit der Artikulation hapert es (immerhin ist diese Situation jedem bekannt, der schon mal kräftig über den Durst getrunken hat). Dieser Zombie hat nur einen Wunsch: seine Geliebte, die noch nicht zombifizierte Maria zu beschützen. Es gibt da zwar ein paar Problemchen, aber am Ende werden auch die gelöst, denn die Liebe ist doch die stärkste Kraft. Ein solches Konzept kann schnell in die Untiefen der inneren Unlogik abstürzen und als weiteres Genre-Extrem enden, welches sich dann nur noch den Illuminaten der Szene erschließt, aber Decomain gelingt es mit einer gehörigen Portion Selbstironie und feiner Situationskomik, die Genregrenzen zu sprengen und selbst kritische Leser in die Story hineinzuziehen.
Eigentlich wartet die Story, gezeichnet von Marika Herzog, mit einer tollen Grafik auf, zumindest am Anfang und Ende des Comics, nur mittendrin, mag es an der Laune gelegen haben, am Zeitdruck oder dem Genre, sind mir die Seiten zu leer geraten. Wenn der Leser schon anfangs mit liebevoll ausgearbeiteten Hintergründen und Seitenkompositionen in den Comic eingeführt wird, sollte sich dieser Duktus m.E. durch die gesamte Geschichte ziehen.
Zombie-Porn!
Die Splash-Page der nächsten Geschichte hätte ich gern als Poster! David Füleki zeichnet für die grafische Gestaltung von „Zombie Movie“ verantwortlich. Ein besessener Amateurfilmer will ein Zombie-Movie drehen, mitten in der Zombi-Apokalypse. Schon der Film im Comic ist so eine Verkehrung des Genres, oder was soll man sonst unter Zombie-Porn verstehen? Im Zeitalter des Dinosaurier-Porn oder Tentacle-Porn sollte man sich darüber nicht mehr wundern. Allerdings bleibt das Filmprojekt Mittel zum Zweck der Erzählung. Es bildet gewissermaßen die logische Erklärung für das Zombie-Make-up der Heldinnen Lou und Tiff. Mehr als die anderen Geschichten lebt dieser Comic von den Genre-Jokes, der Situationskomik und der tollen Grafik. Am Ende bleibt allerdings der Eindruck, alles wäre auf die Schlusspointe hin geschrieben. Aber immerhin haben sich ein paar besonders üble Verleger-Zombies dann auch in den Comic geschlichen und versuchen den Heldinnen übel mitzuspielen, wenn ich das richtig gesehen habe. 😉
Über „Familientag“ schreibt Michel Decomain im Anhang des Buches: „Familientag ist vermutlich die einzige klassische Horrorstory in Dead Ends.“ Kann man so sehen, halte ich aber für Understatement. Die Elemente sind da, aber der Subtext doch ein völlig anderer. „Psycho“ von Alfred Hitchcock könnte die Blaupause für diese Geschichte gewesen sein. Was Norman Bates mumifizierte Mutter ist, sind in „Familientag“ die zombifizierten Eltern, die von ihren menschlich gebliebenen Kindern durchgefüttert, aber auch kontrolliert werden. Wobei die Frage nach der „Menschlichkeit“ in dieser Geschichte durchaus zweischneidig gesehen werden muss. Aus diesem Grund halte ich die Story für eine der stärksten in „Dead Ends“. Ist es menschlich, die eigenen Eltern zu schützen? Klar. Ist es menschlich, dafür Unschuldige als Mahlzeit zu opfern, wo Zombies doch selbst durch Hunger nicht sterben können? Der Comic gibt darauf keine Antwort, und das ist seine größte Stärke, denn das triviale Bild, welches hier beschworen wird, zeigt sich doch bei näherer Betrachtung als komplex und außerhalb eines philosophischen Diskurses kaum lösbar – vermutlich selbst innerhalb nicht.
Die Nasen. Echt jetzt?
Caro Reich zeichnet diesen Comic in einem für mich nicht unbedingt mangaesken Mischstil. Ich bin kein Manga-Experte, daher kann ich nicht sagen, wie typisch der Stil für moderne Manga ist, aber gleichzeitig sehe ich deutliche Spuren von französischen Einflüssen. Beginnt der Comic noch mit relativ klar erkennbaren Manga-Elementen, glaubt man im actiongeladenen Mittelteil, man sei plötzlich in einer dieser rauschhaften Schwarz-Weiß-Orgien eines David B. gelandet − großartig. Da kann der mäkelige Rezensent auch schon mal über kleinere anatomische Fragwürdigkeiten hinwegsehen. Nur eines muss ich fragen: die Nasen. Echt jetzt?
Eindeutiger Höhepunkt und Abschluss des Bandes ist „Die Blechtrompete“, zeichnerisch schön in klaren Strichen, tollen Perspektiven und ziemlich genretypisch festgehalten von Martin Geier. Ob die Anspielung auf einen Großkopferten der Literatur in Deutschland auch inhaltlich beabsichtigt war, kann ich nicht beurteilen. Immerhin so viel ist beiden Geschichten gemein: Oskar Matzerath ist kleinwüchsig und hat daher denkbar schlechte Voraussetzungen, sich in der Welt durchzusetzen. Anton, der Held der „Blechtrompete“ wiederum leidet unter Mukoviszidose, einer bis heute unheilbaren Krankheit, bei der die Lunge langsam, aber sicher im eigenen Schleim ertrinkt, und wird das Erwachsenenalter kaum erreichen. Als nun die Zombie-Apokalypse auch über Anton und seine Familie hereinbricht, wird ihm klar, dass jede Hoffnung auf ein langes Leben komplett illusorisch ist. Er beschließt, nach der einzigen lebensverlängernden Maßnahme zu suchen, die ihm helfen kann weiter zu existieren: einem Zombiebiss! Die sarkastische Abgeklärtheit des kleinen Anton fesselt von der ersten Seite an. Zwar kündigt sich das Ende mit lautem Getrommel bzw. Trompetenstößen an, aber der Weg dahin ist sehr, sehr vergnügliche Comic-Kost.
Ich bin auch nach der Lektüre dieses Bandes kein Manga-Fan, aber zumindest wurden einige Klischees in meinem Hirn kräftig durcheinandergewirbelt. Dafür allein würde ich „Dead Ends“ empfehlen! Und darüberhinaus gibt es einiges mehr zu entdecken …
Nachtrag: Blutige Realität bzw. Aktualität erhält dieser Band auf eine völlig andere Art. In diesen Tagen, in denen Terrorregimes ganze Bevölkerungsgruppen auszulöschen versuchen, geht das Leben doch auch dort überall weiter. Menschen gehen einkaufen, Kinder zur Schule, Krankenhäuser versuchen zu helfen und, und, und … Michel Decomain gelingt es noch besser, den Alltag innerhalb einer Dystopie zu schildern, der auf perverse Art glaubwürdig ist, als in der Hauptserie „Die Toten“. Während der Zeit, als ich „Dead End“ las, stieß ich auf eine aktuelle Reportage aus Aleppo in Syrien, in der die unmenschliche und absurde Situation geschildert wird, unter der die Menschen dort leiden: In der einen Straße geht das Leben seinen gewohnten Gang, eine Ecke weiter wird brutal und rücksichtslos gemetzelt. Die Normalität unter dem Ausnahmezustand kann in der Realität wie im Comic als Eskapismus oder als Pragmatik definiert werden, aber Menschen brauchen so etwas wie Normalität zum Überleben, Riten, die den Alltag gliedern. Hoffen wir, dass nicht der Terror zur neuen Normalität wird.
Hanspeter Ludwig
Dead Ends. Autor: Michel Decomain. Zeichner: Marika Herzog, David Füleki, Caro Reich, Martin Geier. Stuttgart: Zwerchfell-Verlag 2014. 164 Seiten. 12 Euro. Verlagsinformationen zum Buch. Fotos: © Zwerchfell Verlag.