Billig abgespeist
‒ Alf Mayer ist schockiert über den Tatort „Der sanfte Tod“.
Dass sich niemand schämt. Dass das durchgeht, solch eine Gurke des Jahres. Das nämlich war dieser Tatort mit Maria Furtwängler über angeblich die Machenschaften der Fleischindustrie. Handwerklich und filmästhetisch war „Der sanfte Tod“ (zur ARD Mediathek) eine Bankrotterklärung. Schauspielerisch war er eine Blamage, politisch eine Nullnummer. Einer Volksverhöhnung kommt es gleich, solch ein Stück Volontärsfernsehen, solch einen erbärmlichen Schrott am Sonntagabend anzubieten, zur besten Sendezeit, die das aus unseren Gebühren finanzierte öffentlich-rechtliche Fernsehen zur Verfügung hat. Mittlerweile sind die Twitter-Kommentare geistreicher als manche Tatort-Rohrkrepierer.
Der einzige, bizarre Trost – genauso billig, schlampig und feige wie der Umgang des Fernsehens mit einem wichtigen Wirklichkeitsstoff ist auch der Umgang der Politik mit eben dieser Realität. Nämlich mit der milliardenschweren Fleischmafia. (Siehe die CM-Reportage „Fleisch, ein Stück Sklavenkraft“ in dieser Ausgabe.)
Kasperletheater aus Hannover
Nur, dass sie sich beim NDR und damit in der ARD insgesamt in einer Zuschauerquote von 10,19 Millionen Zuschauer (MA: 27,8 Prozent) sonnen und tatsächlich glauben, dass genau so der Stoff beschaffen sein müsse, aus dem die Zuschauerträume von richtig gutem Fernsehen sind Dem Publikum nur ja nichts zumuten, einige Spritzer Klamauk und Hirnrissigkeit dazu, schon haben wir wieder ach so mutig ein heikles Thema fernsehtauglich „bearbeitet“.
Man musste nach diesem Tatort nur 15 Minuten warten, um hinüber ins ZDF zu schalten zur BBC-Produktion „Luther“. Ein um Lichtjahre überlegenes Stück Fernsehen, neben dem der Lundholm-Tatort wie Kasperletheater aus Hannover (so ein Twitterkommentar) aussah. „Unsere Gesellschaft besteht aus zwei Teilen. Aus denen, die gut essen und aus denen, die billig essen. Ich mache billiges Fleisch und billige Wurst. Aber beides schmeckt spitze“, sagt der von Heino Ferch gespielte Fleischindustrielle Jan-Peter Landmann. In einem Drehbuch, das im deutschen Fernsehen niemals geschrieben werden wird, könnten solch einen menschenverachtenden Satz auch ein Fernsehspielchef, ein Tatort-Koordinator oder die Intendanten sogar mit noch mehr Inbrunst sagen. Alle einzeln haben sie durchaus ein Qualitätsbewusstsein, sind Professoren, Lehrbeauftragte, Bundesverdienstkreuzträger, grübelnde Intellektuelle mit oft erstaunlichen Spezialinteressen, aber sobald es an die Produktion der großen Wurstmasse geht, des Sendematerials, werden sie zu Fabrikanten mit Dumpingmentalität. Geht das alles nicht noch inhaltlich billiger? Das Publikum wolle es doch so, heißt es dann auf den pseudokritischen Mainzer Tagen der Fernsehkritik, die Einschaltquoten würden das ja leider belegen.
Öffentlich-rechtliche Doppelmoral
Mit genau der gleichen Berechtigung wird bei uns das billigste Fleisch Europas in gewaltigen Mengen produziert, so viel, dass man es exportieren muss. Der charmante Fleischfabrikant Jan-Peter Landmann unterscheidet sich da nicht vom netten WDR-Intendanten Tom Burow oder dem klugen NDR-Fernsehspielchef Christian Granderath, der für diesen erbärmlichen Tatort verantwortlich zeichnet. Er sagt: „Gemeinsam mit Autor und Regisseur Alexander Adolph hatte sich die NDR-Tatort-Redaktion für ein offenes Ende entschieden. Die Zuschauer sollten nicht nur 90 Minuten gute Unterhaltung geboten bekommen, sondern auch die Möglichkeit, mit ihrer Fantasie die Geschichte selber zu Ende zu denken.“ Einen Film über Billigfleisch machen, der unterhalten und die Zuschauer „nachdenklich machen“ soll – aber selbst eine Billigkonserve anbieten, das ist die öffentlich-rechtliche Doppelmoral, die sich hier manifestiert.
Und nein, ich werde hier nicht, wie es sonst meine Art ist, mit Beispielen und Belegen argumentieren. Schauen Sie sich diesen buchstäblichen, zum Fremdschämen peinlichen Mist selbst in der Mediathek oder bei einer der Verwurstungswiederholungen in den dritten Programmen an. Mich hat in diesem Jahr – um Maria Furtwängler als Kommissarin Charlotte Lindholm zu zitieren – kein Stück Fernsehen mehr angewidert. Reihenweise stellten sich bei dieser Fernsehpampe Menschen, die es gewiss besser wissen, blöd. Regisseur Alexander Adolph ist kein Volontär, auch wenn es Machart, Dramaturgie, Plausibilitäten, Schauspielerführung, filmische und musikalische Mittel vermuten lassen. Er wurde mehrfach und auch mit einem Grimme-Preis ausgezeichnet, es ist sein sechster Tatort. Er zeichnet für Buch und Regie verantwortlich, bzw. müssen wir eher sagen: bezog ein Doppelhonorar, immerhin geschätzte 70.000 Euro obendrauf (die Kombi Buch und Regie ist allermeist beim Tatort ein Alarmsignal, der letzte Hort von verbesserungsresistentem „Autorenfilm“). Und er hatte Fachberatung: Adrian Peter, den Chef vom Dienst der ARD-Sendung „Report Mainz“, Autor des Buches „Die Fleischmafia“ (2006) und nach Auskunft meines Gewährsmannes Matthias Brümmer, NGG-Gewerkschafter vor Ort im „Schweinegürtel“, absolut bewandert in der Materie. Sein Blog heißt: Die Fleischmafia.
Man nennt es Recherche: „Schlachtungen im Internet angeschaut“
Maria Furtwängler, die publicitywirksam im Vorfeld der Ausstrahlung über ihren Fleischkonsum sinnierte, bekundete in Bild: „Zur Vorbereitung des Films habe ich mir im Internet Schlachtungen und Ähnliches angeschaut – sehr eindrucksvoll. Bisher habe ich das immer vermieden, aber nun musste es sein“, erklärte die ausgebildete Ärztin. Aha. Man hätte auch direkt mal in einen Schlachthof gehen können. Aber so genau will der Film aller sachkundigen Beratung zum Trotz es ja dann doch nicht wissen. Gedreht wurde bis auf zwei „Cover-Tage“ für ein paar Zwischenschnipsel eh nicht in und um Cloppenburg, dafür muss die hamburgnahe Nordheide bei Buchholz herhalten. Das Filmbudget reichte zwar für einen opulent in Szene gesetzten, an Statisten und Protzautos reichen, inhaltlich ärmlichen Dreh eines Großempfangs auf einem Landgut (Gut Holm bei Buchholz), aber von Schlachthofrealität sah man: Null. Keine Fotos, keine Tierschützer-Videos, kein Abbild irgendeiner Realität. Einmal wurden zehn Schweine aus einem Pkw-Anhänger in ein Gebäudelchen getrieben – wirkungsvoll inszenierte Massentierhaltung und -schlachtung sieht anders aus. Ein Armutszeugnis. Nein: Realtitätsverweigerung auf breiter Linie.
Plot mit 1000 Löchern
Allein schon der Plot. Warum sollte ein krimineller Industrieller den Platz mit seinem ihn erpressenden Fahrer tauschen, damit der vor seiner Villa von einem Scharfschützen, dem Chef des Werkschutzes, erschossen werden kann, was natürlich die scharfsinnige LKA-Kommissarin Lundholm und überhaupt die Polizei auf den Plan ruft? Und dann stellt die sich so dämlich an, dass alle Beweise zerstieben. Ein rumänischer Fremdarbeiter mit Augenzucken soll dann im Schlussbild Hoffnung auf Gerechtigkeit wecken. Haha.
Stattdessen ging es um Befindlichkeiten und dann mit Spannungshöhepunkt in einer absurden Gaskammer (mit filmischen Anschlussfehlern, hinein bei Nacht, zehn Minuten später am hellen Tag herausgeflüchtet) um irgendwie Lebensmittelqualität, um das Besprühen von Fleisch mit irgendwelchen Bakteriophagen, als Sprühnebel angeblich innerhalb zwei Minuten tödlich, Frau Lindholms Allwetter-Taft allerdings nicht erschütternd, jedoch irgendwie krebserregend. Ganz schön viel Overkill für so unsichtbare kleine Kerlchen, so wie auch alle teilangeschnittenen Probleme sich tröpfchenförmig im Filmnebel verlieren. Akuter Substanzverlust auf ganzer Linie. Hat Frau Lundholm in ihrem nächsten Tatort Krebs? Isst sie Fleisch? Wird sie sich doch in den Fleischfabrikanten verlieben? Wird der Tatort zur Vorabendschnulze? Fragen wir Brechts guten Menschen von Sezuan:
„Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruss:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss.
Vorschwebte uns: die goldene Legende.
Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende.
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Die Realität blieb außen vor
Wenn etwas Vages von dieser Tatort-Nullnummer bleibt, ist das ein allgemeines Unbehagen am Fleischkonsum, der ja doch eigentlich wunderbar charmante Produzenten, richtige Heino Ferchs hat. Ganz und gar außen vor bleibt in diesem Film das ZENTRALPROBLEM der Fleischbranche. Nämlich ihre bis ins Knochenmark der Hauptakteure mafiöse Struktur. Schon bezeichnend, dass es ein Priester aus dem „Schweinegürtel“ ist, Prälat Peter Kossen aus Vechta, der es beinahe als Einziger es wagt, die Wahrheit auszusprechen. (Siehe dazu die CM-Reportage „Fleisch, ein Stück Sklavenkraft“ in dieser Ausgabe und den Auszug aus seiner Predigt „Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten“ (Exodus 22,20).
Die Fleischindustrie in Deutschland, das ist Menschenhandel mit Billigarbeitern, gedeckt durch EU-Recht. „Hier ist ein Milliardenmarkt mit mafiösen Strukturen entstanden, mit Lohndumping und moderner Sklaverei“, sagt Matthias Brümmer, für die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) seit vielen Jahren in Oldenburg mit diesem Problem vertraut. Um die 80 Prozent der Beschäftigten in der deutschen Fleischindustrie sind ausländische, prekär beschäftigte Lohnsklaven. Auf 40.000 wird ihre Zahl geschätzt. Kaum einer von ihnen bekommt mehr als 1000 Euro im Monat ausbezahlt, für die meisten seien es 800 bis 900, dies bei zwölf Stunden Arbeit.
Was hat man Bibiana Beglau angetan?
Und dann sitzen da fett bezahlte Fernsehnasen und machen einen zwischen Klamauk und eingezogenem Schwanz taumelnden Pseudo-Tatort. Widerlich. Vor allem, wenn man daran denkt, was man zu dieser Sendezeit zeigen und bewirken könnte.
Auf einem Nebengleis fassungslos macht mich, was in diesem Tatort mit Bibiana Beglau angestellt wurde und/oder was sie mit sich machen ließ. Als Dorftrampel vom Dienst, der den ohnehin hahnebüchenen „Ermittlungen“ der Lundholm die letzten Funken an Realitätstüchtigkeit nahm und das ganze Filmvorhaben in die Trash-Ecke beförderte. Watschelgang, Stierblick, Stammeleien unterhalb eines Niveaus, das eine Gastrolle im Bauerntheater erlauben würde, spielte die „Theaterschauspielerin des Jahres 2014“ eine zum Fremdschämen peinliche Kasperletheaterfigur. Was war sie einst, im Jahr 2000, eine grandiose Hauptdarstellerin in Volker Schlöndorffs makellos gutem Film über RAF-Aussteiger in der DDR (Drehbuch Wolfgang Kohlhaase), in einem der besten deutschen Filme des Jahrzehnts, in „Die Stille nach dem Schuss“.
David Denby schrieb damals im New Yorker: „We can’t take our eyes off Beglau.“ In diesem Tatort war es ähnlich, nur eben von der billigen Seite her. Indem dieser Tatort solch eine Figur an inhaltlich wichtigen Momenten tollpatschig herumkasperln ließ, machte er auch sein Thema unsichtbar. Hatte er eins? Außer, dass Frau Furtwängler mal wieder das blonde nette Dummchen geben konnte?
PS: Wer den Tatort gesehen hat und den „Würstchen für Kinder“-Werbespot peinlich fand, sollte sich anschauen, wie die wirkliche Fleischindustrie so etwas macht. (It’s all about food: hier und hier)
PPS: Ein Gutes hat der Tatort bewirkt. Die mit Podiumsdiskussion von Fachkundigen angereicherten Lesungen des Krimiautors Wolfgang Schorlau aus seinem Fleischmafia-Buch „Am zwölften Tag. Denglers siebter Fall“ im „Schweinegürtel“ von Oldenburg waren ein voller Erfolg (Verlagsinfos zum Buch zur CM-Rezension).
Alf Mayer
Aufmacher-Foto: © Nadja Israel.