Geschrieben am 1. Juli 2020 von für Crimemag, CrimeMag Juli 2020

Schatzsuche: Crime-Neuerscheinungen 07/2020

Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten

 … erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh. – Glatteis und Hammett pausieren dieses Mal.

Bitte denken Sie daran, dass gerade in diesen Zeiten Ihre lokale Buchhandlung(en) besonderer Unterstützung und Solidarität bedürfen. Lieber dort bestellen als bei amazon.

Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in Berlin-Schönebergnull

Ich freu mich so, ich freu mich so! Für den 21.07. ist der zweite Band der »Morduntersuchungskommission: Der Fall Melchior Nikoleit« von Max Annas angekündigt. Ich warte sehnsüchtig auf das Leseexemplar von Rowohlt. Und wo wir gerade dabei sind – der Erste in der Reihe, »Der Fall Teo Macamo«, erscheint im Juli als Taschenbuch.

Wie zum Beispiel auch Friedrich Ani: »All die unbewohnten Zimmer« (Suhrkamp)Dennis Lehane: »Der Abgrund in dir« (Diogenes) oder Dominique Manotti: »Schwarzes Gold (Argument)«.

Bereits erschienen ist Robicheaux Nr. 22 (puuh) James Lee Burke: »Blues in New Iberia« bei Pendragon (besprochen in dieser Ausgabe in den „Bloody Chops“ – D. Red.). Und auf Jack Reacher (na? Nummer 22!) ist ein Kopfgeld ausgesetzt in »Der Bluthund« von Lee Child (Blanvalet). 

Auf meinem »Da-bin-ich-noch-neugierig-Stapel« liegen die bereits eingetroffenen Titel von Michael Wildenhain: »Die Erfindung der Null« (Klett-Cotta) – was Literarisches, Uwe Wilhelm »Die Frau mit den zwei Gesichtern« (Blanvalet) – was mit einem weiblichen Bodyguard und John Marrs: »The Passengers« (Heyne) – dick und schwarzblau. Ich sehe gerade, da wird im Internet über Leben und Tod abgestimmt. Das hatten wir doch gerade im »Turmschatten« (siehe letzte Schatzsuche). 

So, und nun lese ich, wie letzten Monat schon angekündigt, mit Vergnügen »Der gute Cop« von Scott Thornley (Suhrkamp) weiter. 

Kommt ja heute kein neuer Tatort.

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg

Hier kommen trotzdem meine (wegen Schulbuchgeschäft überschaubaren) Lektüren und Empfehlungen der letzten vier Wochen:

– Sarah Schulman, Trüb (Ü: Else Laudan), Argument Verlag 2019, 269 S., 20,00 Euro:: Bisher ignorierte Lektüre, endlich nachgeholt. Die Geschichte der Ex-Polizistin und trockenen Alkoholikerin Maggie Terry lohnt sich. Wirklich!

– William Boyle, Eine wahre Freundin (Ü: Andrea Stumpf), Polar  2020, 364 S., 22,00 Euro: Ohne zu viel zu spoilern: Die Frauenfiguren sind klasse, die Männer am Ende tot. Ganz ganz starkes Buch! (Siehe auch Joachim Feldmann in dieser Ausgabe – d. Red.)

– Massimo Carlotto, Die Frau am Dienstag (Ü: Ingrid Ickler), Folio 2020, 220 S., 22,00 Euro: Bonamente Fanzago, Ex-Pornostar, bekommt als Gigolo immer Dienstags Besuch von seiner Dienstagsfrau Nana. Und irgendwann gibt es Tote … Erscheint demnächst.

– Zoë Beck, Paradise City, Suhrkamp 2020, 281 S., 16,00 Euro: Deutschland in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts. Pandemien und Überschwemmungen sind über das Land gekommen. Liina Järvinen lebt mit künstlichem Herzen und schreibt für das letzte unabhängige Nachrichtenportal. Bedrückend aktuell!. Hat eigentlich jemand außer mir die kleine feine Hommage an ihre Kollegin Simone Buchholz bemerkt, die Romanfiguren gerne Namen von St- Pauli-Spielern gibt? Petri Järvinen spielte in der Saison 1992/93 für den magischen FC St. Pauli von 1910.

– Garry Disher, Hope Hill Drive (Peter Torberg), Unionsverlag 2020, 332. S.: Constable Paul Hirschhausen ist zurück: Nach „Bitter Wash Road“ eine neue Geschichte aus dem australischen Nichts namens Tiverton. Menschlich, spannend, klug. Garry Disher halt. Aber bis September müssen wir noch warten.

PS: Liebe Kolleginnen und Kollegen: Bitte nennt immer auch die Übersetzerinnen und Übersetzer, sonst droht uns irgendwann die goldene Ananas. Und außerdem gehört es sich sowieso!

Jutta Wilkesmann, Wendeltreppe, Frankfurt:

Hideo Yokoyama: 50 (Atrium)

Michael Connelly: Late Show (Kampa)

Scott Thornley: Der gute Cop (Suhrkamp)

Catrin George Ponciano: Leiser Tod in Lissabon (Emons)

Luca Ventura: Mitten im August (Diogenes)

Guillermo Martinez: Der Fall Alice im Wunderland (Eichborn)

Nalini Singh: Im grausamen Licht der Sonne (Knaur)

El Awadalla: Zu viele Putzfrauen (Milena)

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:

Na so was! Aus dem schönen Kanada kommt „Der gute Cop“ von Scott Thornley (Suhrkamp, dt. von Karl-Heinz Ebnet und Andrea O’Brien). Kennen wir nicht, klingt aber interessant: Besagter Polizist ist Detective Superintendent MacNeice aus dem fiktiven Industrie-Städtchen Dundurn, am Ufer des Ontario-Sees gelegen. MacNeice ist ein ungewöhnlicher Ermittler: „Er redet mit Vögeln und mit seiner verstorbenen Frau Kate, ohne deswegen eine Psychomacke zu haben. Er ist ein rasend guter Beobachter, lebensklug und vor allem liebenswürdig und empathisch. Sein feines Feeling für Menschen macht ihn zu einem gnadenlos guten Cop“, wird die Figur vom Verlag charekterisiert. Um MacNeice herum wuselt ein kompetentes Team, allen voran die junge muslimische Polizistin DI Fiza Aziz. Der Roman, in der kanadischen Originalversion bereits 2012 erschienen, verarbeitet gleich mehrere Handlungstränge: Zunächst ist da ein Krieg zwischen Motorrad-Gangs, dann werden bei Baggerarbeiten an einem ambitionierten Hafenprojekt mehrere einbetonierte Leichen freigelegt und schließlich jagt ein Killer Karriere-Frauen mit ethnischem Hintergrund. Viel Verbrechen also fürs Geld! Ich wundere mich nur, dass der Suhrkamp-Verlag mit dem zweiten MacNeice-Roman in Reihe einsteigt…

Gewiss nicht die beste Zeit für dystopische Texte. Wenn Sie noch Kapazitäten für schlechte Nachrichten haben, bieten wir Ihnen gleich zwei Texte an: Zunächst den Öko-Thriller „42 Grad“ von Wolf Harlander (Rowohlt Polaris), der sich mit der drohenden Klimakatastrophe beschäftigt. Es beginnt arglos mit den unschuldigen Freuden in einem weiteren Jahrhundersommer, doch bald schon machen Hitze und Trockenheit alles zunichte: Flüsse trocknen aus, Wald- und Flächenbrände geraten außer Kontrolle, Kraftwerke müssen vom Netz genommen werden. Und eine Ressource, von der wir es gewohnt sind, dass sie ständig zur Verfügung steht, wird immer knapper: das Wasser. Der sinkende Grundwasserspiegel verursacht zahlreiche Unfälle und Katastrophen, und bald schon ziehen Heerscharen verzweifelter Flüchtlinge quer durch Europa. Die moderne Gesellschaft – an nur wenigen Stellen so verwundbar wie bei der Wasserversorgung – steht kurz vor ihrem Kollaps. Von „42 Grad“ erwarten wir keinen Roman mit komplexen Charakteren, sondern einen Text, der uns mit flottem Tempo einen ordentlichen Schrecken einjagt!

Literarisch vielschichtiger ist „Paradise City„, der neue Thriller von Zoe Beck (Suhrkamp). Auch sie zeichnet ein düsteres Bild des zukünftigen Deutschlands: „Die Küsten sind überschwemmt, weite Teile des Landes sind entvölkert, und die Natur erobert sich verlassene Ortschaften zurück“, heisst es in der Verlagsvorschau. „Berlin ist nur noch eine Kulisse für Touristen. Regierungssitz ist Frankfurt, das mit dem gesamten Rhein-Main-Gebiet zu einer einzigen Megacity verschmolzen ist.“ Nach dem Tod großer Teile der Bevölkerung durch Pandemien in den bereits länger zurückliegenden 2030er Jahren wacht eine Gesundheits-App, die mit einem im Körper inplantierten Chip kommuniziert, über das Wohlergehen der Menschen. Da klingeln natürlich alle Glöckchen, aber der Text aus dem Grenzbereich zwischen Krimi und Science-Fiction ist deutlich vor Corona entstanden. Becks Hauptfigur ist eine Nachrichtenjournalistin, die nach dem schweren Unfall ihres Chefs und dem Tod einer Kollegin Spuren folgt, die ins Herz eines politischen Systems führen, das soziale Punkte verteilt und Anpassung mit Gesundheit und Wohlbefinden belohnt. Wir freuen uns auf ein „beunruhigendes Buch“, wie es in einer ausführlichen Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hieß.

Dann noch was Historisches: „Totenwelt“ von Michael Jensen (Aufbau) ist nach „Totenland“ der zweite Roman mit dem handamputierten Polizisten Jens Druwe, und spielt in einer hochspannenden Zeit: im Mai 1945, den letzten Tagen des Krieges und des Zusammenbruchs der nationalsozialistischen Herrschaft. Der aus Berlin stammende Inspektor Druwe soll in Flensburg eine neue Polizeieinheit aufbauen. Dort wird dem Polizisten geheimes Material angeboten, das angeblich von Wilhelm Canaris stammt, dem ehemaligen Geheimdienschef der Wehrmacht, und brisante Informationen über Nazi-Größen und mit dem Regime verbandelte Wirtschaftsführer enthält. Die Übergabe des expolsiven Stoffs jedoch gerät zum Fiasko, und zwei Agenten liegen erschossen am Boden. Michael Jensen, so entnehmen wir den Verlagsangaben, ist im bürgerlichen Beruf Arzt und Therapeut, der sich schwerpunktmäßig mit den seelische Spätfolgen des Zweiten Weltkriegs bei Opfern und Tätern auseinandersetzt. Sein Roman „Totenwelt“ verspricht also deutlich mehr zu sein als ein kriminalliterarischer Text, in dem sich die Figuren zum Amüsemeng des Pulbikums vor geschichtlichtem Dekor meucheln.

Comic/Heimkino Mai 2020 – von Katrin Doerksen und Thomas Groh:

Hervé Tanquerelle: Grönland Odyssee
Avant-Verlag, 384 Seiten, 39 Euro, bereits erschienen 

Basierend auf den Romanen von Jørn Riel geht es hier zum Überwintern ins ewige Eis, zu raubeinigen Kerlen, die sich in ihren Hütten Geschichten erzählen, Schnaps brennen und sich nach Wärme sehnen. Das alles in so abwechslungsreichem Schwarzweiß wie nur irgend möglich: Vom zarten Aquarell zur harten Schraffur.

Igort: 5 ist die perfekte Zahl
Avant-Verlag, 216 Seiten, 25 Euro, vorbestellbar

Ein düsterer Neapel-Krimi vom italienischen Comic-Auteur Igort: Der Sohn des in die Jahre gekommenen Auftragskillers Peppino lo Cicero wird bei einem Auftrag getötet – um Rache zu nehmen, muss er sich wohl oder übel noch einmal einmischen.

Joe Sacco: Wir gehören dem Land
Edition Moderne, 256 Seiten, 25 Euro, bereits erschienen

Der Meister des Reportagecomic hat für sein jüngstes Werk bei der indigenen Bevölkerung Kanadas recherchiert. Die Dene aus dem Mackenzie River Valley leiden unter der Ausbeutung der Bodenschätzen, unter dem Wunsch nach Fortschritt und dem gleichzeitigen Wunsch, alte Traditionen nicht verschwinden zu lassen.

DreckSack. Zeitschrift für lesbare Literatur: „Bukowski wird 100
Edition Lükk Nösens, 4,50 Euro, bereits erschienen

Am 16. August wäre Charles Bukowski 100 Jahre alt geworden. Der „DreckSack“, die großartige Ostberliner „Zeitschrift für lesbare Literatur“, widmet die aktuelle Quartalsausgabe dem großen Säulenheiligen des Blattes. Essays, Erinnerungen, Interviews – alles, was das Herz begehrt, und das im handlichen Zeitungsformat, zum kleinen Preis und zudem noch mit mal wieder exquisiten sozialrealistischen Fotos garniert. Unverzichtbar in diesem Sommer für den Besuch in der Kneipe oder im Café, für den Strand oder auch einfach nur auf dem Balkon.

Don Rosa: Der Sohn der Sonne. Library Band 1
Egmont Comic Collection, 208 Seiten, 30 Euro, bereits erschienen

Für strenge Donaldisten bilden allein die gesammelten Werke von Carl Barks in der Übersetzung von Dr. Erika Fuchs den Entencomic-Kanon. Den Autor und Zeichner Don Rosa aber nimmt man immerhin anerkennend zur Kenntnis. Seine spürbar von der Lust an Dynamik und Groteske getragenen Geschichten setzen den Barks’schen Erzählkosmos liebevoll und über allerweiteste Strecken auch tatsächlich überaus würdig fort. Als Sammler war man in Deutschland bislang auf eine sündhaft teure und etwas klobig in der Hand liegende Gesamtausgabe oder auf das mühselige antiquarische Zusammensuchen der verstreuten Rosa-Geschichten angewiesen. Abhilfe schafft jetzt diese (vom Meister nochmal durchgesehene und in Details korrigierte) Lizenzausgabe der us-amerikanischen „Library Edition“, die fortan quartalsweise erscheint und am Ende den ganzen Rosa ins Regal schafft. Pflicht für Enten-Freunde.

Jeff Lemire/Mike Deodato Jr.: Berserker Unbound
Splitter Verlag, 136 Seiten, 19,80 Euro, bereits erschienen

Ein muskelbepackter Barbar zieht durch ein Fantasy-Wasteland: Aus der Sklaverei hat er sich befreit, Frau und Kind verloren, ein böser Zauberer macht ihm das Leben schwer. Klingt verdammt nach Conan, dem wohl populärsten Helden aus Robert E. Howards legendärer Pulp-Textschmiede. Mit einem Unterschied: Ein Wurmloch katapultiert den Helden unversehens in die USA der Gegenwart, wo er sich, allen Sprachbarrieren zum Trotz, mit einem afro-amerikanischen Obdachlosen anfreundet. Jeff Lemire zählt zu den fleißigsten und klügsten Superheldencomic-Autoren der Gegenwart (man lese „Black Hammer“ und überzeuge sich selbst). Seine Barbarengeschichte ist zwar vordergründig Heroic Fantasy alten Schlags, erzählt aber vor allem eine Geschichte von Freundschaft unter Außenseitern und vom Schmerz des Lebens. Wenn es ans heroische Einschlagen der Köpfe von Bösewichter-Knallchargen liefert Mike Deodato Jr. dazu die angemessen epischen und atemberaubenden Bilder.

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