Geschrieben am 1. August 2020 von für Crimemag, CrimeMag August 2020

Schatzsuche: Crime-Neuerscheinungen 08/2020

Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten

 … erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh

Bitte denken Sie daran, dass gerade in diesen Zeiten Ihre lokale Buchhandlung(en) besonderer Unterstützung und Solidarität bedürfen. Lieber dort bestellen als bei amazon.

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg

Meine kriminelle Lektüre im vergangenen – wettermäßig überschaubaren – Hamburger „Sommermonat“ Juli:

Hannelore Cayre, Der Lumpenadvokat. Ein Fall für Leibovitz (Ü: Stefan Linster), Unionsverlag, 2. Aufl. 2020, 153 S., 11,95 Euro: Nicht zuletzt wegen des großen Erfolges ihres Buches „Die Alte“ (Deutscher Krimipreis 2019 international) hat der Unionsverlag dankenswerterweise diesen Auftakt der Reihe um den Strafrechtsanwalt Christophe Leibovitz wiederaufgelegt. Sehr zu Recht!
Hannelore Cayre, Das Meisterstück (Ü: Stefan Linster), Unionsverlag, 2. Aufl. 2020, 156 S., 11,95 Euro: Leibovitz – aus dem Knast zurück – widmet sich wieder seinen halbseidenen Klienten und kommt einem Fall von Raubkunst auf die Spur. Lieblingssatz: „Sie sind eine im Boden vergrabene Antipersonenmine, und ich, ich hatte das Pech, auf sie zu treten.“

Tommie Goerz, Meier, Ars Vivendi 2020, 163 S., 18,00 Euro: Es lohnt sich doch, regelmäßig die Krimiseite in der FAZ zu studieren. Tommie Goertz, Regio-Krimischreiber aus Franken, kann mehr als Bocksbeutel-Morde. Meier, der Mann ohne Vornamen, kommt aus dem Knast und will Rache. Deutsch, temporeich, gut!

Robert Brack, Dammbruch. Ein Sturmflut-Thriller, Ellert & Richter 2020, 240 S., 12,00 Euro: „Lou“ Rinke will einen Bruch im Freihafen machen, ausgerechnet am 16. Februar 1962, als das Sturmtief „Vincinette“ heranrollt. Und dann schlägt auch noch Betty zu. Eine Frau, die handelt, ein Stadtteil, der ertrinkt und viel Spannung und Sturm. Erscheint damnächst!

Karsten Stegemann, Niewetow, Edition Nautilus 2020, 174 S., 16,00 Euro: Reporter Daniel Brandenburg stößt im (fiktiven) Niewetow an der ostdeutschen Küste auf diverse Tote. Kommissar Krummnow ist dabei nur bedingt eine Hilfe, sind doch alle eines scheinbar natürlichen Todes gestorben.

Adrian McKinty, Alter Hund, neue Tricks (Ü: Peter Torberg), Suhrkamp 2020, 368 S., 15,95 Euro: Wenn ich einen neuen Band aus der „Sean-Duffy-Reihe“ auspacke, lese ich ihn sofort genauso selbstverständlich, wie Sean Duffy vor jedem Start seinen BMW auf Sprengstofffallen untersucht. Tolle Serie, toller Übersetzer, wieder ein großer Lektürespaß!

Don Winslow, Jahre des Jägers (Ü: Conny Lösch), Droemer 2020, 991 S., 16,99 Euro: Mit „Tage der Toten“ startete Winslow vor Jahren seine „Art-Keller -Trilogie“, der abschließende Band ist seit einiger Zeit als Taschenbuch erhältlich. Trump kriegt sein Fett weg, sterben tun leider andere. Ein würdiger Abschluss, von mir erst jetzt gelesen. 

Prosper Mérimée, Tamango (Ü: Arthur Schurig u. W. Gerhard), Steidl 2020, 124 S..,18,00 Euro: Drei Novellen des 1803 geborenen und von Goethe verehrten Autors. Schon klar, ist nicht ganz das Genre, aber eine Sklavenhalter-Geschichte und ein Text um Ehre und Rache auf Korsika sind auch dabei.

Jan Philipp Reemtsma, Weg war das Ihmchen! Illustriert von Nikolaus Heidelbach, Kampa 2020, 140 S., 28,00 Euro: JPR goes Kinderbuch! Kurtpeters Ihmchen ist ausgebüxt. Die Suche beginnt, doch ein Überdimensionalkrokodil stellt sich ihm in den Weg. Ein mit Sprachwitz gesättigtes Buch über die Angst und für die Arno-Schmidt-Fans unter den Kindern.

Und jetzt lese ich den neuen Max Annas! (Textauszug nebenan in dieser CrimeMag-Ausgabe – d. Red.)
Mit kriminellem Gruß – Torsten Meinicke

Jutta Wilkesmann, Wendeltreppe, Frankfurt:

Felix Weber: Staub zu Staub (Penguin) – siehe auch die Besprechung von Tobias Gohlis nebenan in den „Bloody Chops“ in dieser Ausgabe, d. Red.

Lauren Wilkinson: American Spy (Tropen)

Kaspar Wolfenberger: Gommer Sommer (Kampa)

James Lee Burke: Blues in New Iberia (Pendragon) – siehe auch die Besprechung von Alf Mayer in unseren „Bloody Chops„, d. Red.

Harald Lüders: Lass Gott aus dem Spiel (Westend)

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:

Tja, mit den Cover- und sonstigen Blurbs ist das so eine Sache: Ich lese gern Politthriller, aber Texte, die mit warmen Worten von Barack Obama beworben werden, lege ich eher wieder weg. So wäre mir fast American Spy von Lauren Wilkinson durch die Finger geflutscht (Tropen Verlag, dt. von Jenny Merling u.v.a.), ein Spionage-Roman mit einer besonderen Protagonistin und einem außergewöhnlichem Schauplatz.

Wir drehen den Tacho zurück aufs Jahr 1986: Marie Mitchell arbeitet als Geheimagentin beim FBI, als einzige schwarze Frau in einem Club weißer Männer. Sie ist extrem gut in ihrem Job, muss sich aber mit drögen Routine-Arbeiten am Schreibtisch begnügen. Doch dann wird ihr die Teilnahme an einer Feldoperation angeboten: Sie soll den charismatischen sozialistischen Präsidenten von Burkina Faso ausspionieren, ihn verführen und das Terrain für eine geheime US-Intervention bereiten, die eben diesen Präsidenten beseitigen soll. Doch die Aktion wird Maries Sicht auf alles verändern, woran die junge US-Agentin je geglaubt hat – und sie selbst direkt ins Fadenkreuz des Geheimdienstes führen. „Lauren Wilkinson erzählt den Spionageroman neu“, so verspricht der Tropen-Verlag, „mutig, zeitgemäß und hochspannend. Dieses Gesicht des Kalten Krieges kennen Sie noch nicht.“. Siehste – das ist als Statement doch deutlich robuster als freundliche Wort prominenter Ex-Politiker.

Die Kurzvita zur Autorin Katja Ivar klingt interessant: Geboren in Moskau, Teenagerjahre in Dallas, Texas, und Studium der Linguistik und Zeitgeschichte an der Sorbonne. Heute, lesen wir weiter, lebt Katja Ivar in Paris – und schreibt Krimis um eine eigenwillige Kommissarin, die in den frühen 50er Jahren in Finnland spielen. Teufelszeug lautet der Titel des ersten Bandes (btb Verlag, aus dem Englischen von Cornelia Röser). Kommissarin Helle Mauser (in der Originalversion Hella Mauzer), die erste weibliche Ermittlerin der Mordkommission Helsinki, wird in die klaustrophobische Einöde Lapplands zwangsversetzt. Es ist der Höhepunkt des Kalten Krieges und Finnland mit seiner Grenze zur Sowjetunion ein schneebedecktes Pulverfass. Helle sitzt in einer winzigen Polizeistation und fühlt sich einsam, aber sie hat einen messerscharfen Verstand, ist ehrgeizig und will sich beweisen. Die Gelegenheit ergibt sich, als sich die Polizistin mit einem harmlosen Vermisstenfall beschäftigt, den ihr Vorgesetzter nicht einmal für ein Verbrechen hält. Doch dann wird die Leiche eines sowjetischen Doktors entdeckt und der Fall bekommt eine ganz neue politische Dimension. Mit einer ungewöhnliche Heldin in einem ungewöhnlichen Setting könnte Katja Ivars „Teufelszeug“ zu einem netten Lese-Erlebnis werden: „Die Hölle ist leer, alle Teufel sind hier“, heisst es mit William Shakespeare im Motto. Jetzt wollen wir aber auch wissen, was die hier machen – und lesen weiter im „Teufelszeug“.

Bremen. Pffff. Simone Buchholz hat sich mal dran versucht, in ihrem „Mexikoring“. Jürgen Alberts natürlich, aber das ist auch schon lange her. Sonst – viel Leere. In Kriminalliteratur wie im Fussball. Jakobs Schweigen heisst ein Kriminalroman der Radiojournalistin Anja Goerz (dtv). Der Roman spielt in Bremen, übernimmt aber das Grundgerüst eines Falls, der sich im Jahre 2014 in Berlin zugetragen hat: Ein angesehener Bremer Rechtsanwalt [Berliner Steuerberater] wird in seiner Kanzlei mit vier [zehn] Schüssen getötet. Dringend tatverdächtig ist sein 17-[16-]jähriger Sohn, der sich jedoch in Schweigen hüllt. Für seine Großmutter bricht die Welt zusammen: Sie hat nicht nur ihren Sohn verloren – ihr Enkel soll auch noch der Mörder sein? „Jakobs Schweigen“ verspricht psychologische Spannung und kann prima funktionieren, wenn es der Autorin gelingt, die Tragödie hinter der Tragödie zu entfalten. Es gibt deutlich einfachere Projekte, aber auf den Versuch lassen wir uns ein…

Nach so viel psychologischem Tiefgang vielleicht etwas Action? Manhattan Fire heisst ein neuer Thriller des US-Autors Robert Pobi (Aufbau, dt. von Wolfgang Thon). Hauptfigur des Buches – und das macht die Sache interessant – ist Lucas Page, ehemaliger FBI-Mann, jetzt Professor für Physik und genialer Ballistik-Experte. Der Alptraum: Irgendwo hinter einem der unzähligen Fenster in New York City (OT: City of Windows) lauert ein Sniper. Der Schuss – eigentlich unmöglich: Mitten in einem Blizzard tötet er einen Mann im dichten Verkehr in einem fahrenden SUV. Professor Page weigert sich zunächst zu helfen – bis er erfährt, dass der Tote sein ehemaliger FBI-Partner ist. Mit wissenschaftlichen Methoden kann er tatsächlich den Standort des Mörders ermitteln, und die Logik verrät ihm, dass der Schütze so zuvor schon einmal getötet hat. Und werde es wieder tun wird… Wie gesagt – mit den Blurbs ist das so eine Sache, aber immhin haben Lee Child oder auch Thomas Perry lobende Worte für Pobi gefunden. Wir erwarten kurzweilige Thriller-Kost à la Jeffery Deaver und, vielleicht, einen Blick aus einem anderen Winkel.

Comic/Heimkino Mai 2020 – von Katrin Doerksen und Thomas Groh:

Alcante, Laurent-Frédéric Bollée und Denis Rodier: Die Bombe
Carlsen, 472 Seiten, 42 Euro, lieferbar

Pünktlich zum 75. Jahrestag des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki vollzieht Die Bombe mit beeindruckendem Rechercheaufwand und unter Rückgriff auf filmische Erzählweisen das Manhattan Project und die damaligen Konflikte zwischen Wissenschaftlern und Militär nach.

Rolf Thiele: Das Mädchen Rosemarie
In der Arte-Mediathek vom 10. August bis 8. September 2020

Der unaufgeklärte Frankfurter Mordfall der Edelprostituierten Rosemarie Nitribitt bot gleich mehrfach Stoff für Verfilmungen: Erstmals 1958 mit der glamourösen Nadja Tiller in der Hauptrolle, ein sehr wohl sensationslustiger, deswegen aber nicht weniger präziser Blick in die hässlichen Abgründe des deutschen Wirtschaftswunders.

Tove Jansson: Mumins 1
Reprodukt Verlag, 96 Seiten, 24 Euro, vorbestellbar

Beginnend im August bringt Reprodukt die Mumins-Comicstrips erstmals in einer deutschsprachigen Gesamtausgabe heraus, die Tove Jansson zwischen 1954 und 1957 für die englische Zeitung Evening News zeichnete.

Yoshiharu Tsuge: Der nutzlose Mann
Reprodukt Verlag, 416 Seiten, 29 Euro, lieferbar

Nach Rote Blüten jetzt der zweite Comic des in Deutschland noch weitgehend unbekannten Manga-Meisters Yoshiharu Tsuge: In Der nutzlose Mann versucht der glücklose Antiheld mit verschiedensten Geschäften zu Geld zu kommen und scheitert dabei unentwegt.

Carl Barks: Calgary Eye Opener
Ehapa, 232 Seiten, 90 Euro, angekündigt für August

Carl Barks: Schöne Abenteuercomics vor exotischer Kulisse und Gag-Storys in Entenhausen – so kennt man den Erfinder von Onkel Dagobert. Doch es gab ein Leben vor Disney: Von 1928 bis 1935 zeichnete Barks für das Herrenmagazin „Calgary Eye Opener“ zahlreiche freizügige bis pikante Comics, die jetzt in einer streng limitierten Gesamtausgabe auch auf Deutsch erscheinen. Man darf gespannt sein, mit welchem Strich der spätere Bürzelmeister die menschliche Physis in Szene setzte.

Senses of Cinema: Ausgabe 95
40 Jahre „The Shining“: Dem australischen filmwissenschaftlichen Magazin „Senses of Cinema“ ist das eine pralle Sonderausgabe wert. In einer atemberaubenden Fülle von Essays wird wirklich so gut wie jeder Aspekt von Kubricks Horrorklassiker beleuchtet – vom Umfang her ergeben die Artikel locker einen kleinen Aufsatzband.

Carlos Aured: Blue Eyes of the Broken Doll
Subkultur Entertainment, 89 Minuten, 29 Euro, angekündigt für den 28. August

Der Giallo – der spezifisch italienische Serienmörder- und Kriminalfilm – hinterließ auch in Spanien Spuren: Selbst Horrorfilmikone Paul Naschy (hier ausnahmsweise mal nicht in seiner ikonischen Rolle des „Hombre Lobo“, des Wolfsmenschen) versuchte sich an einem der typisch stilisierten, psychoanalytisch aufgeladenen Schlitzerfilme. Ob der den hohen italienischen Standards genügt? Mit Carlos Aured ist immerhin ein Routinier an Bord, der mit Naschy immerhin einen bunten Strauß Horrorschoten fürs Bahnhofskino gezimmert hat. Dass sich das Qualitätslabel Subkultur Entertainment des Films annimmt, lässt auf eine Schmuckstück-Edition schließen. Und Apropos Giallo: Was es mit diesem Feld des italienischen Kinos auf sich hat, erklärt der Wiener Filmhistoriker Christoph Huber in einem wunderbaren Radiogespräch anlässlich einer von ihm kuratierten (allerdings schon gelaufenen) Retrospektive.Trailer: https://youtu.be/LxPKO1a6Aw8

David E. Durston: Die Tollwütigen
Media Target, 88 Minuten, 32 Euro, angekündigt für Ende August

Nochmal Bahnhofskino, diesmal von jenseits des Atlantiks: David E. Durstons „Die Tollwütigen“ aus dem Jahr 1971 verspricht so grelle wie kostengünstig produzierte Attraktionen, wie sie damals dem Zeitgeist entsprachen: Hippies, LSD, Satanismus, Tollwut und jede Menge Ärger. „Noch nie hat ein Film so genervt“, ist auf dem historischen deutschen Verleihplakat zu lesen, das diese Edition schmückt – man darf gespannt sein, ob es sich bei diesem überraschenden Versprechen um verblüffende Ehrlichkeit oder unbedarfte Trunkenheit des Texters gehandelt hat. Mit dabei übrigens: Lynn Lowry, die ungekrönte Königin des US-amerikanischen Bahnhofskinos der frühen 70er.

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