
Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten
… erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Hammett (Berlin), Glatteis (München), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh.

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:

Wie schön – Neues von Franz Dobler! „Ein Schuss ins Blaue“ (Tropen) heisst der dritte Roman um den Ex-Polizisten Robert Fallner, der mittlerweile für die Security-Firma seines Bruders arbeitet. Mit seinem jüdischen Partner Landmann soll Fallner einen islamistischen Attentäter in München aufspüren, auf den ein Kopfgeld in Höhe von zwei Million Euro ausgesetzt ist. „Sie standen vor der Kirche und warteten auf nichts“, lautet der feine erste Satz, der gleich alle Sensoren aktiviert (nach einem nicht minder schönen Motto von Danny Dziuk). Dobler mit Chandler, Thompson und anderen Heroen der Kriminalliteratur zu vergleichen, kann man machen, bringt aber nicht so viel – das Besondere an Dobler ist, dass er schreibt wie Dobler – realitätstüchtige (München-) Romane mit profunder Kenntnis von Kultur und Subkultur und ganz eigenem Sound.

Wie schön – Neues auch von Simone Buchholz: „Hotel Cartagena“ (Suhrkamp), so der Titel des druckfrischen neunten Kriminalromans um die Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley, die auf der Geburtstagsfeier in einer Hotelbar in eine Geiselnahme gerät. Buchholz begeistert mit ihren punktgenau erzählten, eher schlanken Romanen (hier: 228 Seiten) aus und über St. Pauli. Wie schon in dem vorherigen Roman „Mexikoring“, der zum Teil in Bremen spielte und einen erzählerischen Bogen bis in den Nahen Osten spannte, wagt sich Simone Buchholz auch diesmal über ihren angestammten, kneipenrauchigen St. Pauli-Kosmos hinaus – ein Strang des Romans führt zurück in die 80er Jahre, nach Cartagena in Kolumbien.

Und sonst? Neues auch von Norbert Horst: „Bitterer Zorn“ heisst der vierte Krimi um den Dortmunder Kommissar Steiger, der eigentlich Thomas Adam heisst. Steiger hat gleich mehrere Felder zu bestellen – er ist mit Vermisstenfällen konfrontiert, muss ein entflohenes Mitglied einer Einbrecherbande stellen und einem Hinweis nachgehen, wonach das Kind eines Mafia-Clan entführt wurde. Horst, selbst Polizist im bürgerlichen Leben, verfügt über intime Kenntnis der Polizeiabläufe und hat ein feines Ohr für Sprache sowohl der Figuren als auch der Dienststellen.
Die älteren unter uns erinnern sich noch an die NDW-Postpunk-Spaßpop-Kombo Extrabreit. Deren Front-Mann Kai Havaii ist seit Jahrzehnten in der Musik- und Kunstszene aktiv und hat gewiss eine Menge zu erzählen. Ob’s für einen Thriller reicht, muss man schauen – „Rubicon“ so der Titel des Werks erzählt von einem Scharfschützen, der nach seiner Rückkehr aus dem Afghanistan-Krieg zu einem Auftragsmörder mutiert. „Spannend, aktuell und hochemotional – ein Ereignis“, schreibt der Verlag Rütten & Loening. Na dann…

Historischen Romanen begegne ich mit Skepsis, aber zwei Krimis über das Viktorianische Zeitalter fallen ins Auge: Von David Morrell stammt „Die Mörder der Queen“ (Knaur), sein zweiter Roman um Detective Inspector Sean Ryan und seinen Freund, den berühmten englischen Schriftsteller, Journalisten und Opium-Konsumenten Thomas De Quincey, der 1855 vor dem Hintergrund des wütenden Krimkrieges in London spielt. Auch spannend – „Die Frau in der Themse“ von Steven Price (Diogenes), ein opulentes, mehr als 900 Seiten umfassendes Werk um eine schöne gesetzlose Frau, den berühmten Detektiv William Pinkerton und einen Gentleman-Dieb mit Witz und Chuzpe. Price’s Roman erzählt von einer lebenslangen Besessenheit und einer atemlose Jagd, die von London über Südafrika bis zwischen die Fronten den US-amerikanischen Bürgerkrieg führt. Das verspricht pralles Erzählen – ein Buch, das vielleicht an den grandiosen Roman „Die sieben Leben des Arthur Bowman“ von Antonin Varenne erinnert.

Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in Berlin-Schöneberg:
Claudia Denker lässt sich für dieses Mal aus nachvollziehbaren Gründen entschuldigen, möchte aber trotzdem wenigstens auf den neuen Krimi von Franz Dobler hinweisen: »Ein Schuss ins Blaue« (Tropen) ist ein Trost in diesen grauen Tagen.

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg
Frisch gelesen habe ich (endlich):
Max Annas, Morduntersuchungskommission, Rowohlt 2019: Rassismus und Neonazis in der DDR kann des nicht gegeben haben, oder? Max Annas beweist das Gegenteil.
Garry Disher, Kaltes Licht (Ü: Peter Torberg), Unionsverlag 2019: Disher strickt an vielen Handlungssträngen, doch dem Meister fällt dabei keine einzige Masche herunter. Wir sind der Meinung: „Das ist spitze!“ (Hans Rosenthal).
Tawni O’Dell, Wenn Engel brennen (Ü: Daisy Dunkel), Argument 2019: Polizeichefin Carnahan betritt die Szene. Und wie! Ein ganz starkes Buch, dessen Fortsetzung schon in Arbeit ist. Ja, mehr davon!
Ganz oben auf dem Stapel für baldige Lektüre liegen bei mir:
Hannelore Cayre, Die Alte (Ü: Iris Konopik), Argument 2019
Giancarlo De Cataldo, Der Agent des Chaos, Folio 2019
Lisa McInerney, Blutwunder (Ü: Werner Löcher-Lawrence), Liebeskind 2019
Für die Veranstaltungsrubrik noch:
Donnerstag, 24. Oktober 2019, 20 Uhr, Eintritt: 7 Euro. Buchladen in der Osterstraße, Osterstraße 171, 20255 Hamburg „Warum so verlegen?“ Ein Abend mit dem Argument-Verlag und der Autorin Doris Gercke.

Monika Dobler von Buchhandlung Glatteis, München:
Der Herbst hat uns ein paar wunderbare Krimis von deutschen Autoren beschert (passiert ja nicht sooo oft…)
Franz Dobler, Ein Schuss ins Blaue (Tropen) – Der dritte Fall für Fallner, und wieder ein großes Lesevergnügen, herrliche Dialoge. Franz Dobler zeigt, dass ein politischer Krimi durchaus Spaß machen kann. Er liest übrigens im Oktober bei glatteis.

Simone Buchholz, Hotel Cartagena (Suhrkamp) – wer liebt Chastity Riley nicht?
Selim Özdogan, Der die Träume hört (Nautilus) – nun weiß ich etwas mehr über das Darknet, glaube ich wenigstens…
Norbert Horst, Bitterer Zorn (Goldmann) – der Hauptkommissar aus Nordrheinwestfalen hat endlich wieder geliefert – was soll ich sagen? Super spannend.
Und noch ein Krimi, auf den wir alle geduldig gewartet haben: Garry Disher, Hitze (pulp master, Ü: Ango Laina und Angelika Müller) – das Warten hat sich gelohnt. Der neue Wyatt ist großartig! – Besprechung in dieser CrimeMag-Ausgabe.
Lars Lenth, Schräge Vögel singen nicht (Limes, Ü: Frank Zuber) – nach „Der Lärm der Fische beim Fliegen“ nun ein neuer Krimi mit viel schwarzem Humor, dem aber auch die Spannung nicht fehlt.
Hannelore Cayre, Die Alte (ariadne, Ü: Iris Konopik) – ein Roman – ja, schon auch Krimi – mit gewaltiger Kritik an den herrschenden sozialen und politischen Missständen. Aber Patience Portefeux, Übersetzerin aus dem Arabischen für das Justizministerium, schwarz bezahlt, weiß sich zu helfen.

Lisa McInerney, Blutwunder (Liebeskind, Ü: Werner Löcher-Lawrence) – der zweite Roman der irischen Autorin. Wieder mit Wucht erzählt, wieder ist das Drogenmilieu das Thema, wieder treffen wir Ryan Cusack, jetzt etwas älter, aber nicht unbedingt klüger. Tipp: Wer den ersten Roman verpasst hat, „Glorreiche Ketzereien“, unbedingt nachholen, lohnt sich.
Adam Brookes, Der chinesische Verräter (Suhrkamp, Ü: Andreas Heckmann) – ein Agententhriller – super Spannung, super Action.

Jutta Wilkesmann, Krimibuchhandlung Wendeltreppe, Frankfurt:

Ann Granger: Ein unerledigter Mord(Bastei)
Stefan von der Lahr: Hochamt in Neapel (C.H. Beck)
Dietrich Faber: Sorge dich nicht, stirb! (Rowohlt)
Derek B. Miller: Sigrid Ödegards Reise nach Amerika (Rowohlt)
Cay Rademacher: Ein letzter Sommer in Méjean (DuMont)
Stuart Turton: Die sieben Tode der Evelyn Hardcastle (Tropen)

Christian Koch, Buchhandlung Hammett, Berlin:
Garry Disher: Hitze (Unionsverlag, Besprechung in dieser CrimeMag-Ausgabe)
Gerd Zahner: Keiner verliert allein (transit; CrimeMag dazu hier)
Adam Brookes: Der chinesische Verräter (Suhrkamp)
Lisa McInerney: Blutwunder (Liebeskind)
Norbert Horst: Bitterer Zorn (Goldmann)

Comic/Heimkino
Oktober 2019 – von
Katrin Doerksen und Thomas Groh:
Alack Sinner von Carlos Sampayo und José Muñoz
avant-verlag, Softcover, vierfarbig, 128 Seiten, vorbestellbar
Die zwischen 1975 und 2006 in Argentinien erschienenen Geschichten über den desillusionierten ehemaligen Polizisten und Privatdetektiv Alack Sinner erscheinen erstmals komplett versammelt in einem Band auf Deutsch. Ein moderner Klassiker.
Der Berg der nackten Wahrheiten von Jan Bachmann
Edition Moderne, Klappenbroschur, farbig, 112 Seiten, erscheint am 1. Oktober
Nach seinem Debüt „Mühsam, Anarchist in Anführungsstrichen“ lässt sich Jan Bachmann erneut von historischen Gegebenheiten inspirieren und erzählt die Geschichte von Aussteigern, die Anfang des 20. Jahrhunderts in einer vegetarisch-kommunistischen FKK-Gemeinschaft auf dem Monte Verità im Tessin leben. Als Hauptfigur: Eine Ziege.

Hunger von Martin Ernstsen
avant-verlag, Hardcover, vierfarbig, 220 Seiten, vorbestellbar
Vor visuellem Ideenreichtum aus allen Nähten platzende Comicadaption von Knut Hamsuns literarischem Meisterwerk „Hunger“ über einen darbenden Schriftsteller.
Knock Out von Reinhard Kleist
Carlsen, Hardcover, 160 Seiten, bestellbar
Comic-Bio über Boxweltmeister Emile Griffith, der seinen Gegner, der ihn zuvor homophob beleidigt hatte, bei einem Kampf derart hart traktierte, dass dieser ins Koma fiel und einige Tage später verstarb. Die Geschichte eines zermürbenden Doppellebens in der Machowelt des Boxens.

Spinnenwald von Sascha Hommer
Reprodukt, Klappenbroschur, Schwarzweiß, 152 Seiten, bestellbar
Im Spinnenwald steht eine Jagd bevor, die für die Jagenden selbst vielleicht am allergefährlichsten ist. Eine klassische Heldenreise in Sascha Hommers typisch piktogrammartigem Stil.
Wir waren Charlie von Luz
Reprodukt, Klappenbroschur, farbig und schwarzweiß, 320 Seiten, bestellbar
Der ehemalige Charlie-Hebdo-Zeichner Luz entging dem Anschlag auf seine Kollegen nur, weil er am 7. Januar 2015 Geburtstag hatte und zu spät in die Redaktion kam. In seinem neuen Band lässt er das Charlie Hebdo von vor dem Massaker wieder auferstehen.
Satan Was a Lady von Jörg Buttgereit
WDR, ca. 50 Minuten, ab 13. Oktober
Kein Heim-, sondern Hörkino: Jörg Buttgereit, Ikone des deutschen Undergroundfilms, widmet sich in seinem neuen Radio-Feature/Hörspiel der legendären Exploitation-Filmemacherin Doris Wishman, die dem Kino irrwitzige Unfassbarkeiten wie „Double Agent“ (eine Geheimagentin nutzt ihre Monumental-Brüste als Waffe), „Nude on the Moon“ (Astronauten entdecken eine Nudistinnen-Kolonie auf dem Mond) und „Let Me Die A Woman“ (reißerische Doku über eine Geschlechtsumwandlung) geschenkt hat. Mit dabei: Christian Brückner, den manche vielleicht als Sprecher von Robert de Niro kennen, aber auf jeden Fall als die Stimme von Mr. Prince in Doris Wishmans „Nackt im Sommerwind“ (Romanze im Nudistencamp). Am 13. Oktober um 20 Uhr live im WDR3 – und im Anschluss für ein Jahr als Download.

Fulci – Filme aus Fleisch und Blut von Pelle Felsch/Marcus Stiglegger (Hg.)
Deadline, 290 Seiten, 34,99 Euro, vorbestellbar
Wer das Heimkino liebt, schätzt auch das gute Filmbuch. Ein solches steht mit diesem Exemplar zu erwarten, das sich eines insbesondere in Deutschland Verfemten der Filmgeschichte annimmt: Lucio Fulci, in dessen von den 50ern bis zu den 90ern reichendes Schaffen sich die ganze Fülle des italienischen Genrekinos der Nachkriegszeit widerspiegelt: Komödien, Dramen, Western, Thriller, Gialli und Horrorfilme – nichts, was der Mann nicht gedreht hätte. Berüchtigt ist er für sein Spätwerk, in dem kräftig gemanscht wurde und das hierzulande vom Jugendschutz schwer unter Beschutz genommen wurde (im sehr zu empfehlenden ZDF-Boulevard-Reportagen-Knaller „Mama Papa Zombie“ figurieren seine Filme als besonders schröckliches Beispiel). Die Zeiten sind heute gottlob freier und entsprechend aufgeschlossener ist der Blick auf Fulcis Qualitäten als Filmemacher zwischen Auteur, Realisateur und Maverick. Einzig etwas schade, dass auch dieser Band vor allem Fulcis Giallo- und Horrorphase fokussiert – dabei sind auch Fulcis frühe Komödien äußerst sehenswert. – Und hier eine ZDF-Zendung, die Mediengeschichte schrieb: „Mama Papa Zombie“:
Der unheimliche Mr. Sardonicus von William Castle
Koch Media, BluRay, 89 Min., 22,99€, bereits erhältlich
William Castle war der Meister des Gimmick-Films: Er setzte Kinostühle unter Strom, ließ Skelette durch den Saal schweben oder stattete seine Filme mit Rot/Grün-Filtern aus, sodass Menschen mit schwachem Herzen die Geister mit einer Brille „ausblenden“ konnten. Kurz: Ein echter Showmanship- Entertainer von altem Schausteller-Korn. Mit dem „Unheinlichen Mr. Sardonicus“ beginnt Koch Media nun pünktlich zu Halloween mit einer exquisiten Castle-Kollektion in edelster Aufmachung. Die Gimmicks muss man sich dann zuhause selber basteln, aber das hält geistig fit und jung.

Frankfurt-Kaiserstraße von Roger Fritz
Subkultur Enterainment, BluRay, 87 Min., 30,99 Euro
Das Kino der alten BRD war immer dann besonders gut, wenn es um Großstadt, Asphalt, das pure Leben ging – wenn es also Pappas Kino und die Oberseminare der Oberhausener gleichermaßen hinter sich ließ. Roger Fritz, der für Fassbinder, Peckinpah und Marran Gosov vor der Kamera stand, ist einer derjenigen, die seinerzeit mit die aufregendsten Filme schufen und erst jetzt wirklich gewürdigt werden. Hier setzt er der vielleicht berüchtigsten Straße der Main-Metropole ein neon-asphaltiges Denkmal – und geht Siff, Junk, den großen Träumen der Jugend und deren Scheitern im Milieu nach. Und mittendrin: Der große Kurt Raab in Drag. Subkultur Enterainment hat diese übersehene Perle des deutschen Films mit allem Aufwand restauriert. Alles weitere erklärt der Trailer: