
Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten
… erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh.
Bitte denken Sie daran, dass gerade in diesen Zeiten Ihre lokale Buchhandlungen besonderer Unterstützung und Solidarität bedürfen. Lieber dort bestellen als bei amazon.
Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in Berlin-Schöneberg

Gerade klingelt es an der Tür. Ich warte so sehnsüchtig auf das neue Buch von John Niven: »Die F*ck-it-Liste« (Heyne). Das zu lesen wird bestimmt wieder ein großer Spaß. Nun hat der nette Paketbote mir aber Lucas Fassnacht: »Die Mächtigen« (Blanvalet) mitgebracht. Den hatte ich gar nicht auf dem Zettel für die Schatzsuche, klingt auf jeden Fall erst einmal spannend.

Ich freu mich auch sehr auf die zweite »Lola«, Melissa Scrivner Love: »Capitana« (Suhrkamp), mal sehen, wie es mit der freundlichen Drogenbraut weitergeht.
Weiter interessiert mich: Marcello Fois: »Abschiede« (Polar Verlag), Dominique Manotti: »Marseille.73« (Argument), Nathaniel Rich: »King Zeno« (Rowohlt) und vielleicht auch Joachim B. Schmidt: »Kalmann« (Diogenes).
Obwohl ich mich dagegen sträube, dass der Sommer vorbei ist, wird mir doch ein bisschen weihnachtlich zumute, wenn ich Reginald Hills »Mord in Dingley Dell« (DuMont) sehe, kein Wunder, heißt das Buch im Original doch »Red Christmas« und ist 1972 unter seinem Pseudonym Patrick Ruell erschienen, allerdings nicht auf Deutsch, – Decke, Tee und los geht’s … später, wenn es noch früher dunkel wird.

Erst einmal vielleicht »Ladies« von Patricia Highsmith (Diogenes). Als die Schriftstellerin noch nicht weltberühmt war, erschienen diese Stories in Magazinen. Also für uns noch unbekannt.
Auch um »Ladies« geht es in »The Five« von Hallie Rubenhold (Nagel & Kimche), und ich bin Sonja Hartl sehr dankbar für Ihren Beitrag bei Deutschlandfunk Kultur (und hier bei CrimeMag in dieser Ausgabe nebenan), auf dieses Buch wäre ich vielleicht nicht gestoßen. Untertitel des Buches: »Das Leben der Frauen, die von Jack the Ripper ermordet wurden«. Eindrücklich wird das harte Leben der Frauen in der Arbeiterschicht erzählt und was die Opfer angeht – alle Prostituierte? Von wegen!

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg
Nach dem Wanderurlaub wieder online. Hier meine Leseempfehlungen an Kriminalliteratur und Verwandtem:
Sam Hawken, Vermisst (Ü: Karen Witthuhn), Polar 2020, 400 S., 22 Euro: John Searles Tochter Marina verschwindet mit ihrer Cousine in Nuovo Laredo/Mexiko. Ein Mann kämpft gegen korrupte Bullen und Narcos. Sehr schön, dass der Verlag nach „Kojoten“ auch diesen Roman von Sam Hawken herausgebracht hat!
Marcie Rendon, Stadt, Land, Raub (Ü: Jonas Jakob), Argument 2020, 237 S., 13 Euro: Cash is back! Und das ist ebenfalls sehr schön. Die 19-jährige Native American Cash trinkt viel Bier, spielt Poolbillard und mischt sich mal wieder erfolgreich in Ermittlungen ein. Ebenso lesenswert wie Rendons Erstling „Am roten Fluss“.

James Lee Burke, Blues in New Iberia (Ü: Jürgen Bürger), Pendragon 2020, 586 S., 22 Euro: Band 22 der Dave-Robicheaux-Reihe in deutscher Erstübersetzung. Wenn seine Tochter Alafair in Gefahr ist, kennt Dave keine Gnade. Wie immer bei Burke: Ein süffiger Stoff mit Suchtfaktor
Anette Hinrichs, Nordlicht. Die Spur des Mörders, Blanvalet 2020, 474 S., 10 Euro: Der Tipp einer Freundin. „Show don’t tell!“, möchte man der Autorin zurufen. Der historisch-politische Hintergrund dieser deutsch-dänischen Geschichte ist jedoch durchaus spannend.

Sebastian Barry, Tausend Monde (Ü: Hans-Christian Oeser), Steidl 2020, 256 S., 24 Euro: Die von mir lang erwartete Fortsetzung von Barrys großartigem Western „Tage ohne Ende“, dieses Mal erzählt aus der Perspektive des Lakota-Mädchens Winona. Ein Buch, das sowohl erlesen übersetzt wie gestaltet ist. Lieblingssatz: „Aus dem Dunkel beäugten ihn die Ratten des Alters.“

Szczepan Twardoch, Das schwarze Königreich (Ü: Olaf Kühl), Rowohlt 2020, 414 S., 24 Euro: Im Vorgängerroman „Der Boxer“ erzählt der polnische Autor vom Aufstieg des jüdischen Boxers und Unterweltkönigs Jakub Shapiro im Polen der 1930er-Jahre. Im neuen Buch geht es um den Überlebenskampf Jakub Shapiros und seiner Geliebten Ryfka im Warschauer Ghetto unter deutscher Besatzung. Das ist hart, historisch präzise und höchst spannend erzählt. Unbedingte Leseempfehlung!
Ansonsten: Bleibt gesund, achtet auf eure Liebsten, seid solidarisch.
Torsten Meinicke (Buchladen in der Osterstraße)

Jutta Wilkesmann, Wendeltreppe, Frankfurt:
So schnell vergeht ein Monat! Hier unsere Favoriten:
Marcie Rendon: Stadt Land Raub (Argument/Ariadne)

Alex Michaelides: Die stumme Patientin (Droemer)
Susanne Goga: Der Ballhausmörder (dtv)
Laura Lippman: Der Geliebte der Verlobten (Kampa)
Joe Die: Stille Feinde (Suhrkamp)
Beate Maly: Mord im Auwald (Emons)

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:
Regelmäßiger Gast dieser kleinen Monatsvorschau ist Garry Disher. ‚tschuldigung dafür – aber Disher ist einfach gut! Mit Hope Hill Drive erscheint sein zweiter Roman um Constable Paul Hirschhausen (Unionsverlag, aus dem australischen Englisch von Peter Torberg). „Hirsch“, wie der Cop genannt wird, leitet die Polizeistation der Kleinstadt Tiverton im staubigen Niemandsland des australischen Outbacks. Sein Revier ist riesig, aber Aufregendes passiert selten: Die Arbeit besteht im Wesentlichen in Routineaufgaben – Kupferdiebstähle und häusliche Gewalt, entlaufene Haustiere und Trunkenheit am Steuer. Dann aber erschüttert ein Pferdemassaker die Anwohner. Als es nicht bei toten Tieren bleibt, sondern die ersten menschlichen Opfer zu beklagen sind, fallen die auswärtigen Medien in Tiverton ein, und die hohen Cops aus der fernen Stadt: „Hinter den rostigen Gattern der entlegenen Farmen stößt Hirsch auf schlummernde Leidenschaften und explosive Gewalt“, verspricht der Verlag. Dann mal die Gummistiefel angezogen und ran ans rurale Krimi-Werk!

Gewichtiges aus dem Hause Ullstein: Mit Jener Sturm erscheint ein neuer, knapp tausend Seiten starker Roman von James Ellroy. Der „Sturm“ ist die Fortsetzung von „Perfidia“ und der zweite Band des zweiten L.A.-Quartetts, falls Sie als Kenner des Ellroy-Gesamtwerks den Text genauer einsortieren möchten. Übersetzt hat das Werk Stephen Tree, der seit langen Jahren Ellroys Bücher für Ullstein übersetzt – eine literarische Treue, die sich auszahlt. Der Roman spielt wie immer in Los Angeles, hier im ersten Halbjahr 1942, und erzählt von „Kriegsgewinnlern und Drogenhändlern, (…) vermeintlichen Verrätern und Hollywood-Schauspielern“. Im Mittelpunkt des Romans steht der japanischstämmige Pathologe Hideo Ashida, der seit der Attacke auf Pear Harbor einen schweren Stand hat und unter Polizeischutz arbeitet. Ellroy, ein kriminalliterarischer Berserker, wie es wohl keinen zweiten gibt, liefert ein weiteres literarisches Puzzle-Stück zu in einem gigantischen Gemälde der Stadt Los Angeles und des südlichen Kaliforniens, der Kultur, der Geschichte und der Politik.

Deutlich lockerer, das signalisiert schon der schöne Titel, geht’s zu in Love & Bullets von Nick Kolakowski (Suhrkamp, aus dem Amerikanischen von Stefan Lux). Das Buch ist eine Art Fortsetzungsroman, im Original zwischen 2017 und 2019 in drei Einzelveröffentlichungen erschienen. Der New Yorker Kolakowski erzählt die Geschichte des smarten Betrügers Bill, der sich von einem New Yorker Gangster-Syndikat eine Tasche voller Geld „borgt“, um sich – Fahrtrichtung Westen – ein neues, ein ehrliches Leben aufzubauen. Begleitet auf seiner Reise wird Bill von seiner Geliebten Fiona, die, ganz im Gegensatz zu ihm, einen erkennbaren Hang hat, Probleme mit effizienter Gewalt zu lösen. Und Probleme ergeben sich reihenweise, denn die Tüte mit den schönen Scheinen im Kofferraum zieht einen ganzen Haufen irrer Typen an wie das Licht die sprichwörtlichen Motten. „Love & Bullets“ ist ein humoriges road-movie, das quer durch Amerika führt bis weiter in die Karibik und den Dschungel Nicaragus, eine „Bonnie & Clyde“-Farce voll spritziger Dialoge und prickelnder Einfälle. Wir freuen uns auf beste Unterhaltung!

Ich hab ja nix gegen olles Zeug. Nur manchmal fragt man sich, was das soll: pociao ist eine tolle Übersetzerin, aber was bitte soll denn an der x-ten Bearbeitung des Malteser Falken von Dashiell Hammett im Jahre 2020 sichtbar werden, was bei den vorherigen Übersetzungen verborgen blieb? Immerhin spendiert der Kampa Verlag – der schon mit einer Neuausgabe alter Übersetzungen Simenons die Geduld strapaziert – dem Hammett-Text eine bibliophile Ausstattung: Hardcover mit Schutzumschlag, mit farbigem Vorsatz und Lesebändchen, ein Vorwort des Autors selbst (auch schon angegilbt) und ein Nachwort von Heiko Arntz. Dafür wollen die Schweizer aber auch ein paar Steine sehen – zweiundzwanzig, um genau zu sein. Dito Raymond Chandler, für dessen Neuübersetzung der Kleinen Schwester Sie gleich vierundzwanzig Steine auf den Tisch legen dürfen (Diogenes, Dt. von Robin Detje). Als frisches Extra auf Chandlers alten Text gibt’s ein Nachwort von Michael Connelly.
Crumley, Leonard, Leuci, Oster, Pearson, Pelecanos, Sallis, Wambaugh und so weiter – es gibt viele Autoren, deren Bücher man in bestehenden Übersetzungen, aber in schönen Ausgaben neu rausbringen kann! Es muss doch nicht immer das Gesamtwerk sein! Auch den chilenischen Autor Luis Sepúlveda könnte man da nennen, dessen Tagebuch eines sentimentalen Killers – ein schmaler Bericht über einen durch die „verfluchten Fallen des Lebens“ stolpernden, liebeskranken Auftragskiller – nach rund zwanzig Jahren jetzt neu aufgelegt wurde (dt. von Willi Zurbrüggen, nochmals Kampa Verlag). Geht doch!
Die schönsten Früchte werden mit dem mit dem kleinen Messer freigelegt, doch nicht mit der Heckenschere!

Comic/Heimkino Mai 2020 – von Katrin Doerksen und Thomas Groh:
Pénélope Bagieu: California dreamin’
Reprodukt Verlag, 280 Seiten, 24 Euro, lieferbar

Comic-Biografie über Cass Elliot, die Sängerin der Band The Mamas and the Papas, die als Kind jüdischer Einwanderer in Baltimore geboren wurde, schon zu Schulzeiten unter ihrem Übergewicht litt, eine Bulimie entwickelte und dennoch ihren Traum vom Stardom verwirklichte. Von Pénélope Bagieu, die schon in ihren zwei Unerschrocken-Bänden außergewöhnliche Frauen der Kulturgeschichte porträtierte.

Igort: 5 ist die perfekte Zahl
avant-verlag, 216 Seiten, 25 Euro, verfügbar
Im neapolitanischen Moloch sucht der gealterte Auftragskiller Peppino, unsanft aus der Rente gerissen, nach den Mördern seines Sohnes und wird so plötzlich selbst zur Zielscheibe. Ein italienischer Comic noir, mit einer Stadt so tiefschwarz wie die Tusche, in der sie gezeichnet ist.

Frank Schmolke/Marc O. Seng: Freaks – Du bist eine von uns
Edition Moderne, 240 Seiten, 28 Euro, ab dem 1. Oktober 2020 verfügbar
Nachdem sie ihre Psychopharmaka absetzt, erkennt Wendy ihre Superkräfte. Der neue Comic des Münchner Zeichenkünstlers Frank Schmolke ist eine Bearbeitung des gleichnamigen Netflix-Films.

Philippe Collin/Sébastien Goethals: Das Spiel der Brüder Werner
Splitter Verlag, 152 Seiten, 25 Euro, bestellbar
Eine Stasi-Spitzelgeschichte vor dem historischen Bruderduell während der Fußballweltmeisterschaft 1974: Im letzten Vorrundenmatch trifft die DDR auf die BRD und zwei Brüder infiltrieren als Geheimagenten das Spiel.
Pichetshode/Campbell: Infidel
Splitter Verlag, 168 Seiten, 24 Euro, erhältlich
Als „Spukhaus-Story für das 21. Jahrhundert“ kündigt der Verlag diesen Comic an, was fast schon von der Brisanz des Stoffs ablenkt: Es geht um Rassismus, Fremdenhass, den Albdruck der Geschichte. Ein hochpolitischer Stoff für die Gegenwart – gepackt in düstere, abgründige Bilder. Nichts für Menschen, die rasch angefasst sind, aber eine dringende Empfehlung für alle, die im Horror-Genre immer auch einen Kommentar zum Zeitgeschehen sehen.

Dian Hanson: Masterpieces of Fantasy Art
Taschen Verlag, 532 Seiten, 150 Euro, vorbestellbar
Dian Hanson ist die große Kulturhistorikerin in Sachen sexy Popkultur. Nach Exkursionen durch die Welt der Pin-Up-Magazine, Herrenheftchen und dergleichen widmet sie sich nun leichtbekleideten Barbaren, exotischen Monstern und Bikini-Schönheiten – der Welt der heroischen Fantasy-Literatur vor deren Verniedlichung. Eine ausführliche Besprechung folgt in den nächsten Wochen hier im CrimeMag!
Diverse: Rohwedder: Einigkeit und Mord und Freiheit
Netflix-Vierteiler, seit kurzem online
Wer hat 1991 Treuhandchef Rohwedder ermordet? Wirklich die RAF? Oder doch versprengte Stasi-Profis oder gar mafiöse Unternehmer? Der gerade wie eine Bombe einschlagende Netflix-Vierteiler wärmt zwar seit geraumer Zeit in der Luft liegende Verschwörungstheorien auf – inklusive deren klassischem rhetorischen Element: Cui bono? – und liefert außer viel Mutmaßen und Raunen aus (immerhin teils berufenem) Munde nicht viel Fleisch für entsprechende Theorien. Aber, Herrgottzack: Bock macht dieser auf Binge-ability angelegte True-Crime-Vierteiler schon enorm. Was einem nicht zuletzt beim Sehen aufdämmert: Was für großartige Geschichten, was für wahnsinnige Abgründe in der Geschichte der alten Bundesrepublik und der Wendezeit doch schlummern. Warum greift das öffentlich-rechtliche Fernsehen die kaum mal auf?
Dazu noch ein Hörtipp: Für den Deutschlandfunk haben Lydia Heller und Johannes Nichelmann die Tonbänder des Politbüros zu einem Radiofeature aufbereitet. Zu hören ist das Dokument einer Partei in Selbstzerfleischung: Wer wird aus der Partei ausgeschlossen – wer nicht? Und wird es am Abend der Sitzungen überhaupt noch eine Partei geben?
Philipp Schnee: Erinnerungslücke 1980 – das Terrorjahr der Rechten
SWR-Radiofeature, 56 Minuten, online
Wo wir schon von deutschen Abgründen sprachen: Rechter Terror ist keine Erfindung des NSU, sondern stellt eine Kontinuität dar, die nie wirklich Eingang ins gesellschaftliche Gedächtnis gefunden hat. Auch, weil die Taten oft kleingeredet und Ermittlungen behindert werden. Alles Einzeltäter, vielleicht sogar nur Psychos – sicher. Philipp Schnee hat für den SWR ein hervorragendes Feature produziert, das die Geschichte des rechten Terrors und die Strategien der Abwicklung skizziert. Beispielhaft am Oktoberfestanschlag vor 40 Jahren.