Geschrieben am 1. Juni 2019 von für Crimemag, CrimeMAg Juni 2019

Schatzsuche: Crime-Neuerscheinungen 6/2019

Eine Vielzahl Krimi-Neuheiten

 … erscheinen jeden Monat, dazu Graphic Novels (vulgo: Comics) und DVDs und BluRays. Unmöglich, das alles zu überblicken und zu rezensieren. CrimeMag siebt und schürft deshalb für Sie und weist hier regelmäßig mit Hilfe von: Kaliber.38 und der befreundeten Buchhandlungen Chatwins (Berlin), Hammett (Berlin), Glatteis (München),
Wendeltreppe (Frankfurt) und Buchladen in der Osterstraße (Hamburg) auf interessante Neuerscheinungen hin. Empfehlungen für DVDs, BluRays und Comics geben Katrin Doerksen und Thomas Groh.

Jan Christian Schmidt von Kaliber.38:

Hier meine Juni-Empfehlungen:

Über Frankreich gäbe es derzeit eine Menge Interessantes zu erzählen. Der deutsche Krimileser bekommt aber nur Ferienkrimis aus der Provence um die Ohren geschlagen. Einzige Relevanz der Texte, so scheint’s, ist der Ort, an dem die Handlung spielt. Glückwunsch! 

Bleiben wir noch kurz beim Überflüssigen – Thomas Harris: Cari Mora (Heyne). „Die Lämmer schweigen“, so der Verlagstext, „(a)ber man hört die Frauen schreien.“ Krass! Wenn sie dem Monster in die Hände fallen, ist es zu spät: „Dann betteln sie um einen schnellen Tod, und er genießt den Schmerz in ihren Gesichtern.“ Was soll das noch? Das ist doch schon seit langen Jahren durchdekliniert…

Klare Empfehlung für Johannes Groschupf und seinen Polit-Thriller Berlin Prepper (Suhrkamp), der eine zerrissene Gesellschaft beschreibt, zerfressen von der toxischen Wirkung des Hasses, in der der politische Diskurs auf Beschimpfungen des Andersmeinenden geschrumpft ist. Vielversprechend auch ein bizarrer Detektiv-Roman aus unserem Nachbarland Polen: Die kalten Sekunden von Remigiusz Mróz (rororo) über eine verschwundene Frau, von der nach zehn Jahren Fotos auf Facebook auftauchen. Robuste und intelligente Unterhaltung verspricht Sleeper des Südafrikaners Mike Nicol (btb), ein Thriller um den Privatdetektiv Fish Pescado, der in die nicht ganz so fotogenen Gegenden Kapstadts führt. – Alle drei Bücher in diesem CrimeMag besprochen.

Zwei Neueditionen springen ins Auge: Im Golkonda Verlag erscheinen sechs Hap & Leonard-Romane von Joe R. Lansdale in neuer Ausstattung, und im Diogenes Verlag geht’s weiter mit der Neuausgabe von Jörg Fauser. In diesem Monat folgt Fausers Roman Das Schlangenmaul, mit einem Nachwort von Friedrich Ani. Holla – 24 Euronen sind aber ein stolzer Preis! – Das Nachwort in diesem CrimeMag nebenan.

Claudia Denker von der Krimiabteilung im Chatwins in Berlin-Schöneberg:

Fans von Lee Child können sich freuen. Jack Reacher macht Halt in »Mother’s Rest«, einer Kleinstadt im Mittleren Westen. Wer ihn kennt, weiß, er wird mal wieder »Keine Kompromisse« (Blanvalet) machen.

Auch der Privatdetektiv Fish Pescado ist wieder da. Im dritten Teil der Kapstadt-Serie zieht Mike Nicol ihn in einen Fall hinein, der sehr gefährlich klingt (ISIS, Uran, Bombe). Wer ist der »Sleeper« (btb)?

Und es geht in die Sechzigerjahre, Florida: Colson Whitehead erzählt mit »Die Nickel Boys« (Hanser) eine Geschichte, die auf wahren Begebenheiten beruht. Ein Sechzehnjähriger gerät durch Zufall in eine Besserungsanstalt. Die Zustände dort bilden das Amerika jener Zeit ab. Wird unbedingt gelesen.

Wer Friedrich Ani liebt, der wird von seinem neuen Buch »All die unbewohnten Zimmer« (Suhrkamp) begeistert sein. Sie sind nämlich alle dabei: Polonius Fischer, Tabor Süden, Jakob Franck und Fariza Nasri.

Zwei Mordfälle werden mit Hilfe derer verschiedenen Fahndungsmethoden aufgeklärt, ein hochaktuelles und politisches Buch mit viel Tiefgang. Für ruhige Lesezeit.

Und nun noch ein Highlight: Erika Mann: »Zehn jagen Mr. X« (Rowohlt rotfuchs), die Originalausgabe »A Gang of Ten« erschien 1942 in New York. Erika Mann schrieb das Buch im Exil, es ist für »junge und junggebliebene Leser«, berührend und heute aktueller als man es sich wünschen möchte. Kinder aus den verschiedensten Ländern werden in einer Schule in »El Peso«, Kalifornien, erwartet. Dort angekommen, erzählen sie ihre »Fluchtgeschichten«, trotz allem froh, in der »Neuen Welt« gelandet zu sein, wo sie sich in Sicherheit fühlen. Natürlich trügt der Schein, denn Mr. X taucht auf …

Torsten Meinicke, Buchladen in der Osterstraße, Hamburg

Die meisten Vorschauen sind mittlerweile eingetrudelt und es gibt reichlich Grund für kriminelle Vorfreude:
Bei Liebeskind erscheint schon im Juni (und mir noch vollkommen unbekannt): R. O. Kwon, Die Brandstifter (Ü: Caroline Burger) – außerhalb der gängigen Genregrenzen, klingt trotzdem sehr spannend.
Leider bis September muss ich noch warten auf Lisa McInerney, Blutwunder (Ü: Werner Löcher-Lawrence): Ryan Cusack ist wieder da!
Aus dem Verlagsprogramm von Polar freue ich mich vor allem auf den neuen William Boyle, Einsame Zeugin (Ü: Andrea Stumpf), war doch schon sein Vorgängerroman Gravesend große Klasse.
Folio kündigt für September einen neuen Giancarlo  De Cataldo an: Der Agent des Chaos (Ü: Karin Fleischanderl): Woodstock, Drogen, alte Nazis.
Große Vorfreude auch bei Pulp Master: (Wann auch immer) erscheint Garry Disher, Moder (Ü: Ango Laina und Angelika Müller): Wyatt ist immer eine sichere Nummer.
Die Edition Nautilus bringt zu meiner Freude wieder Noir und Spaß aus Irland: Declan Burke, Slaughter’s Hound (Ü: Robert Brack).
Mir Unbekanntes und Bewährtes bringt Argument heraus: Tawni O’Dell, Wenn Engel brennen  und Denise Mina, Klare Sache (Ü: Zoe Beck).
Endlich kommt im August  auch wieder Neues vom Rollstuhlfahrenden Ermittler Groll aus Österreich: Erwin Riess, Herr Groll und die Donaupiraten, erscheint (natürlich) im Otto Müller Verlag.
Und zuverlässig liefert jährlich Suhrkamp: Mitte September kommt die neue Simone Buchholz, Hotel Cartagena: Wird Chastity jetzt sterben?
Und nun geht es in den wohlverdienten Urlaub, im Wanderrucksack keine Experimente: sondern Jim Nisbet und Ross Thomas!

Monika Dobler von Buchhandlung Glatteis, München:

Mal sehen, ob ich  was Empfehlenswertes Neues finde…

Thomas Harris: Cari Mora (Heyne,Ü: Imke Walsh-Araya) – Hannibal hat einen Nachfolger? Mal abwarten, was die Leser sagen. 

Ulrich Ritzel: Die 150 Tage des Markus Morgart (btb) – seine Fans freuen sich.

Lina Bengtsdotter: Löwenzahnkind (Penguin, Ü: Sabine Thiele) – guter solider Schwedenkrimi mit einer erfrischenden Ermittlerin. Lesefutter.

Stefan von der Lahr: Hochamt in Neapel (C.H. Beck) – als Althistoriker weiß der Autor über was er schreibt. Mal sehen, ob er Dan Brown überholt              

Massimo Carlotto: Am Ende eines öden Tages (Tropen, Ü: Katharina Schmidt-Henkel/Barbara Neeb) – nach seinem neuen Roman endlich diesen schon älteren  Krimi nachgeholt. Was soll ich sagen?  Der hat auf jeden Fall gewonnen.

Thomas Palzer: Die Zeit, die bleibt (Tropen) – nichts bayerisch Gemütliches, kein Schickimicki –  ein München-Noir könnte man sagen.  

John Steele: Ravenhill (Polar, Ü: Robert Brack) Wieder mal ist Belfast der Schauplatz für einen spannenden Kriminalroman.

Jörg Fauser: Vom Diogenes Verlag sind gerade die ersten drei Neuausgaben zu seinem 75. Geburtstag gekommen: 
Das Schlangenmaul. Nachwort: Friedrich Ani,  / Rohstoff. Nachwort: Benjamin von Stuckrad-Barre und  Rohstoff Elements. Frühe Texte. Nachwort: Jürgen Ploog. – Ja, es gibt sie noch, die Fauser-Fans, und das zurecht.

Jutta Wilkesmann, Krimibuchhandlung Wendeltreppe, Frankfurt:

Hier kommen die Titel für diesen Monat:

Lina Bengtsdotter: Löwenzahnkind (Penguin) 

Remigiusz  Mróz: Die kalten Sekunden (Rowohlt)

Marion Schmid: Ausgekocht (Transit)

John Steele: Ravenhill (Polar)

Martha Grimes: Inspektor Jury u. der Weg des Mörders (Goldmann)

Christian Koch, Buchhandlung Hammett, Berlin:

Ladies first: Mit Hochspannung erwarten wir drei neue Romane von Yrsa Sigurdadottir, „R.I.P.„, von Estelle Surbranche, „Nimm mich mit ins Paradies“ (Polar), und von Eva García Sáenz, „Die Stille des Todes„.

Friedrich Ani versammelt in „All die unbewohnten Zimmer“ (Suhrkamp) gleich mehrere seiner Serienhelden – wir sind gespannt.

Veit Heinichen beginnt mit „Borderless“ etwas Neues – auch darauf freuen wir uns. – Besprechung nebenan in diesem CrimeMag.

Und auf die löbliche Neuausgabe des Klassikers Giorgio Scerbanenco sei noch mal hingewiesen: „Ein pflichtbewusster Mörder“ (Folio) ist der vierte und letzte Krimi um Duca Lamberti.

Weitere Empfehlungen:

Tara Isabella Burton: So schöne Lügen (DuMont)
R. O. Kwon: Die Brandstifter (Liebeskind)
Adrian McKinty: Cold Water (The Detective Up Late) – Suhrkamp
George P. Pelecanos: Prisoners (The Man Who Came Uptown) bei ars vivendi
Patricio Pron: Vergieß deine Tränen für keinen, der in diesen Straßen lebt (aus Argentinien) – Rowohlt
Georges Simenon: Maigret und der gelbe Hund (Neuübersetzung) – Kampa
Lee Child: Keine Kompromisse (Make Me) – Blanvalet.


Comic/Heimkino
Juni 2019 – von
Katrin Doerksen und Thomas Groh

Die Bluse von Bastien Vivès
Reprodukt, Hardcover, Schwarzweiß, 208 Seiten, erscheint in Juni 2019. Die Persönlichkeitsstudie einer Französin, deren Leben sich radikal verändert – ausgelöst durch eine neue Seidenbluse.

Im Auge des Betrachters – Ein Rundgang durch die Alte Nationalgalerie von Felix Pestemer
avant-verlag, Hardcover, vierfarbig, 104 Seiten, erscheint am 31. Mai 2019. Anhand des Besuchs zweier Geschwister und ihres Großvaters in der Berliner Alten Nationalgalerie denkt Pestemer darüber nach, wie wir heute alte Kunstwerke sehen und neu bewerten.

Nachts im Paradies von Frank Schmolke 
Edition Moderne, Klappenbroschur, Schwarzweiß, 352 Seiten, erscheint am 28. Mai 2019. Expressive Schwarzweißbilder direkt aus dem gluckernden Unterbauch von München: Einem desillusionierten Taxifahrer geht während des Oktoberfest seine 16-jährige Tochter verloren.

Salzhunger von Matthias Gnehm
Edition Moderne, Broschur, farbig, 224 Seiten, bestellbar. Thriller über den Kampf gegen die umweltschädigenden Praktiken eines global tätigen Rohstoffunternehmens. – Besprechung in den „Bloody Chops“ nebenan.

Sumpfland von Moki
Reprodukt, Hardcover, zweifarbig, 164 Seiten, bestellbar. Eine Reise in ein Land der Riesenpilze, der merkwürdigen Tiere und knolligen Gemüsewesen. Ein Morast aus kurzen Geschichten jenseits jeglicher Rationalität.

Unterm Birnbaum von Birgit Weyhe
Carlsen Comics, Hardcover, zweifarbig, 80 Seiten, bestellbar. Im Rahmen der Reihe „Die Unheimlichen“ hat Birgit Weyhe (Madgermanes) Theodor Fontanes Kriminovelle neu interpretiert. Trotz beträchtlicher Kürzungen gelingt es ihr mithilfe ihres sehr eigenen Zeichenstils und ihres Fokus auf die weiblichen Figuren eigene Akzente zu setzen. – Besprechung in den „Bloody Chops“ nebenan.

Zusammenbruch von Pascal Rabaté
Reprodukt, Hardcover, Schwarzweiß, 216 Seiten, bestellbar. Einmal mehr thematisiert Rabaté in seinem Comic das französische Landleben, diesmal mit dem Fokus auf den Zusammenbruch der Republik während des Vormarsch der Deutschen im Jahr 1940.

Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert von Damiano Damiani
Film Art Entertainment, BluRay, ca. 30 Euro. Korruption, Mord und Terror: Im Gegenwartskino des Italiens der 70er-Jahre quasi Alltag. Doch dieser Film hier ist eine besondere Kostbarkeit: Ein idealistischer Staatsanwalt und ein desillusionierter Cop machen zunächst Jagd auf einen Mafia-Baulöwen – und stehen sich bald als eigentliche Kontrahenten gegenüber, was hinreichend Anlass für viel wunderbares 70s-Italo-Pathos liefert. Ein Höhepunkt des Mafia-Films, sagte einst Dominik Graf in der FAZ.

Kinderarzt Dr. Fröhlich von Kurt Nachmann
Subkultur Entertainment, BluRay, ca. 20 Euro oder derzeit gratis auf AmazonPrime.
Okay, hier herrscht vielleicht Erklärungsbedarf: Ein Roy-Black-Vehikel mit Heimat- und Arztfilm-Anleihen als Empfehlung im ansonsten stets geschmackssicheren CulturMag? Ja, durchaus. Denn „Kinderarzt Dr. Fröhlich“ ist ein völlig außerirdisches, grenzpsychotronisches Vergnügen aus der österreichischen Trivialfilmschmiede Lisa-Film, die hier richtig aus den Vollen schöpft: Triste Kinder, wirre Verstrickungen, Roy Black mit dem Herz aus dem Gold und am Ende wird wild durch die Gegend geheiratet, was – aus welchem Grund auch immer – fernsehnachrichtentauglich ist. Der Heimat-/Arzt- und Sommerfrische-Film – ein Standard des deutschen Unterhaltungskinos – – im totalen Kapitulationsmodus. Ein süßer Kopfsprung in den vollendeten Wahnsinn.

Bübchen von Roland Klick
Subkultur Entertainment, BluRay, ca. 29,99, ab 14. Juni.
Nochmal das verdienstvolle Label Subkultur Entertainment, nochmal deutscher Irrsinn – diesmal aber von der ernsten Seite: Ein kleiner Junge bringt in einem unbeobachteten Moment sein jüngeres Schwesterchen um – hinterher beginnt die Suche nach dem Sündenbock. Das Langfilmdebüt des ewig wiederentdeckten Roland Klick aus dem Jahr 1969 ist ein böser, intensiver Kommentar zur Gegenwart seiner Zeit. Schmutziges BRD-Kino, unter dessen Kohleschmier-Schicht es düster brodelt.

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