Geschrieben am 15. August 2018 von für Crimemag, CrimeMag August 2018, Film/Fernsehen

Serie: Fargo 3, Episode „Das Nichtwiderspruchsprinzip“

61aPhU+VGyL._SY445_Fargo 3 – Episode: The Law of Non-Contradiction[1]

Ein Essay von Markus Pohlmeyer

Vor Kurzem war unser AutorMit Kierkegaard im Serienland„, machte sich Gedanken zur zweiten Staffel von „Fargo“. Jetzt hat er noch näher hingeschaut.

Minnesota 2010: Gloria, Polizistin – ihr aktueller Status ist entweder-sowohl Welle oder-als-auch Teilchen, fliegt nach Hollywood, um den Tod an ihrem Stiefvater Ennis Stussy aufzuklären. In ihrem Motel findet ein Weihnachtsmännertreffen (bei 22 Grad?) statt; und prompt stiehlt auch ein Weihnachtsmann, traditionell Gabenbringer, nicht Gabenwegnehmer, ihren Koffer, was natürlich eine präzise Täterbeschreibung erschweren sollte. Dabei lernt sie einen örtlichen Officer kennen.

Es entsteht die Konstellation Landmaus (sie) gegen Stadtmaus (ihn) – so wie in der bekannten Satire des römischen Dichters Horaz.[2] Sie kommt etwas hinterwäldlerisch und naiv daher, auch sprachlich markiert, dafür umso charmanter und subversiv intelligent; er, vermeintlich überlegen, versinkt in konkreter und metaphorischer Vulgarität: ob er denn bei ihr noch zum Schuss komme? „Nein!“ Und wundervoll diese Einblicke in das Präkambrium des Medienzeitalters: Er habe ihr auch eine Anfrage via Facebook geschickt – Hm? Benutze sie nicht. Er hätte 352 Freunde, die er nicht mal alle kenne; da wäre auch eine heiße Kleine gewesen, habe sich aber als Mann aus Nigeria herausgestellt, der hätte nur Geld gewollt. Und ein Autor tippt sogar auf einer Schreibmaschine. Und ein gewisses Polizeirevier verweigert sich hartnäckig der Computerisierung.

Gloria scheint in demselben Zimmer untergebracht zu sein wie ihr Stiefvater damals (Rückblenden!), der – als preisgekrönter Science Fiction-Autor – einem schmierigen Produzenten und seiner Geliebten (die Schöne und das Biest) auf den Leim gegangen war. (Das spiegelt übrigens auch jenes Motiv der Möglichkeit einer Verschleierung und Verflüssigung von Identitäten auf Facebook wider und zurück!) Für die versprochene Verfilmung (der Drehbuchfassung) seines Romans hatte er den beiden seinen Verlagsvorschuss gegeben, von der Schönheit verführt, umnebelt von Drogen. Diese (ehemals) Schöne arbeitet jetzt in einem Diner; und das Biest röchelt als Darth Vader-Verschnitt im Pflegeheim vor sich hin – angeblich wegen eines Unfalls.

Von Gloria besucht, philosophiert/faselt dieser Fake-Ex-Produzent irgendetwas von … Naturwissenschaft und Quanten, wir würden durchs All reisen, kollidieren, für kurze Zeit real werdenund dann würden wir weitertreiben, „als existierten wir gar nicht.“ (Anmerkung: Hier fließen auch implizit Konzepte von Demokrit und Lukrez[3] mit ein.) Anders formuliert: Können wir gleichzeitig existieren und nicht existieren? Virtualiter/potentiell müssten wir ja selbst in einer Nicht-Existenz da sein, um dann realiter existieren zu können (oder?) – aber das mag ein anderer Diskurs sein!

Gloria erfährt nun, dass dieser ‚Unfall‘ damals geschah, als der Autor Thaddeus Mobley tätlich gegen seine Peiniger ausgerastet sei. Die folgenden, fast elliptisch verdichteten Rückblenden, da im gleichen Raum, wirken wie eine Aufhebung von erzählter Gegenwart und erzählter Vergangenheit: fliehend, geflohen, zurück in seinem Hotelzimmer, muss Mobley sich übergeben, schaut in die Toilettenschüssel, Sprung in die Gegenwart, seine zukünftige Stieftochter sieht zufällig, was auf dem Rand dort steht, was auch er, der schon Tote, gesehen haben wird, nämlich den Namen (D)Ennis Sussy, den später Mobley annimmt und der seinen Untergang bedeuten sollte, weil

… am Anfang ein Kain und Abel-Konflikt steht: der eine Stussy-Bruder nämlich, Bewährungshelfer (selbst im Detail perfekte Inszenierung, in der Folge davor: er trage zwei verschiedene Schuhe, die seien noch sauber, na ja, weil während der Drogentests … manches daneben gehe), der von einem seiner Schützlinge (mit einer anderen hat er ein Verhältnis), nicht gerade ein Vollprofi, einen Diebstahl erpresst, nämlich den einer wertvollen Briefmarke, um die er sich von seinem Bruder betrogen fühlte, dessen Firma langsam, aber sicher zur Geldwaschanlage von ominösen Geldgebern umfunktioniert wird, das nur am Rande; auf dem schneeverwehten, dunklen Wege verliert der zugedröhnte Möchtegernminigangster den Adresszettel, und so landet er mit Hilfe einer Telefonbuchseite eben bei dem falschen Stussy, so dass …

… dieser aus Versehen umgebracht wird; in dessen Wohnung sollte später seine Stieftochter gut versteckte Science Fiction-Romane, unter dem Namen T. Mobley verfasst, entdecken; eine Geschichte beschriebt den Weg eines Roboters durch die Zeiten, dessen Astronaut bei einer Notlandung umkam. Gloria liest auf dem Flug nach Hollywood Der Planet WYH (dazu wird sie auch im folgenden Stau noch genug Gelegenheit haben); ein Passagier merkt einen möglichen Schreibfehler an: why (warum?) und philosophiert/faselt über Evolution – er fliege schon das sechste Mal diese Woche. Aber es sei doch erst Dienstag? Ja. Anfänglich im Wasser, dann auf der Erde, nun in der Luft … und dann im Stau, wo Gloria weiterliest: der Roboter M(i)nsky (Himmelsmensch?) – seine Erlebnisse werden wie ein Zeichentrickfilm erzählt (Sehen wir, wie Gloria die Story für sich imaginiert?), und das sehr rudimentär, minimalistisch, ein wenig in Kontakt mit dem trash-Flair von Science Fiction in den 50er-70er Jahren – ist ein Wanderer, sieht das Leben auf der Erde?/WYH entstehen, vergehen, sieht Kulturen entstehen, vergehen und in Atompilzen verglühen.

Anmerkung: Die globale Bedrohung durch die Bombe ist ein durchgängiges Motiv der Science Fiction in der Ära des Kalten Krieges.

Selbst Gewalt ausgesetzt, ein Arm wurde zerstört, unvermögend, ihn durch einen menschlichen zu ersetzen, wird der Roboter von außerirdischen Invasoren entführt und analysiert: er sei das älteste, empfindungsfähige Wesen im Universum („2,38 Millionen Jahre lang in Betrieb“), – pathetisch: „Du bist auf dem Schweif eines Kometen geritten und hast das Herz der Sonne erkundet.“, – man werte seine Daten aus, um den Kosmos zu dechiffrieren, er könne sich nun abschalten; mit den Worten – das einzige, was er immer wieder sagt auf seiner Suche nach Sinn – „Ich kann helfen!“ …

Welche Tragik: in Millionen von Jahren hat keiner die Hilfe von Minsky annehmen wollen. Das einzige Wesen, das dem Kreislauf von Aufstieg und (Auto)Destruktion entkam und schließlich in Freiheit wählen durfte, sich selbst abzuschalten, weil es tatsächlich geholfen hatte: der Wissenschaft, durch Dokumentation und Beobachtung. „Ich kann helfen!“

… mit diesen Worten legt er im geöffneten Metallkopf einen Schalter um (farblich markiert von grün zu rot). Diese Geste und der Roboter haben Ähnlichkeit mit einer Box (Hat sie womöglich den Autor inspiriert?), die Gloria in Mobleys Zimmer fand, welche, geöffnet, eine Hand entlässt, die eben den gleichen Schalter dazu benutzt, um sich wieder selbst zu schließen (farblich markiert von grün zu rot) – der Mechanismus bleibt jedoch unsichtbar, verborgen, entzogen. Diese Box wird Gloria auch aus Hollywood mitgenommen haben, wenn sie in die Leichenhalle zu Mobley/Stussy fährt. Konnte ein Mensch eigentlich – gemäß dem aristotelischen Nicht-Widerspruchsprinzip[4] zugleich Mobley und Stussy sein? Und nicht nur Stussy A, sondern auch Stussy B, was schließlich zum Tod führte?

Finis operis

Inter- wie extratextuelle Verweise, Zitate und Echos verbinden diese einzigartige Episode zu einem phantastischen Gewebe (textum = Text), das Sprache, Musik,[5] Zeichentrick, Roman und Film, verschiedene Zeitebenen und sogar kosmische Dimensionen zu einem synästhetischen Meisterwerk verschmelzen lässt. Im Herz der Sonne, ins Herz der Finsternis: Fargo!

Markus Pohlmeyer lehrt an der Europa-Universität Flensburg

Siehe auch von ihm: Mit Kierkegaard im Serienland. Gedanken zur zweiten Staffel von „Fargo“, in CrimeMag Juni 2018.

[1] Vgl. dazu Arist. Metaphysik Gamma 3. Alle direkten und indirekten Zitate entnommen aus Season 3 (2018), © 2017 MGM Television Entertainment/Twentieth Century Fox.
[2] Vgl. dazu Sermo 2,6.
[3] Vgl. dazu De rerum natura.
[4] Vgl. dazu antiphasis in O. Höffe (Hrsg.): Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, 50-52.
[5] Hier nur angedeutet. In Episode 4 noch expliziter, noch avancierter!

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