
Lisette Buchholz über das Buch von Elmar Schenkel
„The West shall shake the East awake … while ye have the night for morn‘“, raunt es in „Finnegan’s Wake“. Der Charakter und die Vielzahl west-östlicher Beziehungen und Bezüge sind kaum zu überblicken. Den Versuch eines Kompendiums unternimmt Elmar Schenkel mit den Schwerpunkten Indien – China – Japan, wohl wissend, dass „das Wesen von Xanadu darin besteht, dass es nie erreicht wird“.
Der Autor ist selbst viel gereist und hat in zahlreichen Publikationen davon erzählt, dazu kommt sein lebhaftes Interesse an Grenzgebieten der Wissenschaft wie Alchemie und vergleichende Mythenforschung. Zudem hat der umtriebige emeritierte Professor für Anglistik auch Romanistik, Sinologie und Japanologie im Gepäck. So ausgestattet, kann er aus dem riesigen Ostweststeinbruch schöne, aussagekräftige, teils auch skurrile Stücke herauspräparieren und für uns ordnen. Es geht nicht um eine lineare Geschichte, wie er im Vorwort klarstellt, sondern darum, „Erlebnisse der Begegnung“ erfahrbar zu machen. Das ist ihm gelungen. Trotz überbordender Informationsfülle liest sich das Buch flüssig, und die eingestreuten Kuriositäten diverser Begegnungen lassen schmunzeln.
Schenkel schildert die Erschließung des ungeheuren geistigen Raums Asiens für Europa, die durch enorme Übersetzungsleistungen möglich wurde. Die Schattenseiten von Kolonialismus, Mission und Krieg bleiben nicht ausgespart. Mutige, neugierige Forscher und Reisende werden vorgestellt, Pioniere geistiger Abenteuer. Auch oberspönige Persönlichkeiten wie Madame Blavatsky oder schillernde wie Eliade fehlen nicht. Bei all dem Streben nach Erkenntnis und Erleuchtung, teils mit Hilfe von Gurus, gibt es viele Fehlschläge. „Nirgends als im Streben zur Göttlichkeit schlägt das Menschlich-Allzumenschliche so sehr durch“, stellt Schenkel treffend fest. Mein Lieblingsguru heißt Ramana Mamarshi. Auf die Bitte, seine Lehre kurz zusammenzufassen, meinte er: „Sei still.“
Das Chinakapitel beginnt mit einer Reise im 13. Jahrhundert von Rabban Bar Sauma nach Westen. Aus der langen Reihe illustrer Chinaforscher bzw. -interessierter sei Leibniz herausgegriffen, den der Autor hübsch als „Universalfragenden“ kennzeichnet. Großen Raum nehmen das Yijing (I Ging) und dessen Übersetzer Richard Wilhelm sowie das Buch Tao Te King ein.

Um die – in europäischen Augen – „uralte Tradition des Andersmachens“ geht es auch im Japanteil. Teerituale, Zenpraktiken, die althergebrachte Ästhetik des sozialen und religiösen Lebens konnten sich durch die zweihundertjährige Abschottung des Landes erhalten. Bei der Schilderung des Aufmarschs amerikanischer Kriegsschiffe, um die „Öffnung“ Japans für den Handel zu erzwingen, wäre der Hinweis auf die Geisha Okichi Saito zu ergänzen, die sich und ihren Ruf opferte, indem sie 1856 auf Drängen der japanischen Verwaltung Konsul Harris „besänftigte“ und damit die Beschießung ihrer Stadt verhinderte. Danach galt sie als Hure und starb im Elend. Ihre Geschichte hat Brecht zur „Judith von Shimoda“ inspiriert.
Schenkels Buch ist kenntnisreich und anregend. Ganz nebenbei ist es auch eine Schule der Wahrnehmung. Es ermuntert uns, eigene Wege nach Xanadu zu einzuschlagen.
Elmar Schenkel: Unterwegs nach Xanadu. Begegnungen zwischen Ost und West. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2021. 368 Seiten, 26 Euro.