Wie nehmen Verleger*innen die derzeitige Situation wahr?
Katja Cassing (Cass Verlag): Was der Serienmörder liest
Ich sitze in meinem Büro am Schreibtisch. Obwohl der Verlag mitten im Ort liegt, ist es still. Normalerweise hört man um diese Zeit wenigstens ein paar Schüler – der Hauseingang nebenan ist zum Leidwesen unserer Nachbarn für eine Zigarette vor oder nach dem Unterricht sehr beliebt –, aber seitdem die Schule geschlossen ist, kommen auch keine Schüler mehr. Jeder Tag fühlt sich an wie Sonntag.

Im Arbeitsalltag hat sich allerdings so gut wie nichts geändert. Bücher werden schließlich nicht just in time produziert. Sie wollen entdeckt, übersetzt, gestaltet, beworben, gedruckt und ausgeliefert werden. Die nächsten Programme stehen schon längst. Nur die Zukunft ist ungewisser denn je.
Verlage brauchen Leser. Buchkäufer. Buchläden, die nicht nur Bestseller vorhalten, sondern in denen man auch die Schätze der vielen kleinen, unabhängigen Verlage entdecken kann, Perlen aus Japan und Korea beispielsweise, auf die wir uns spezialisiert haben. Funktionierende Lieferketten. Plattformen für Werbung & Verkauf. All das ist praktisch weggebrochen. Alle Buchläden – bis auf die in Berlin und Sachsen-Anhalt – mussten schließen, was die Buchhändler und ihre Mitarbeiter in Existenznot bringen dürfte. Die Lieferketten funktionieren nur noch bedingt oder gar nicht. Lesungen und Messen, allen voran die Leipziger Buchmesse, wurden abgesagt. Das heißt, wann beziehungsweise ob überhaupt wir die Früchte unserer Arbeit ernten können, Früchte, die gleichzeitig die wirtschaftlichen Voraussetzungen für eben die Programme sind, an denen wir derzeit arbeiten, ist ungewiss.

Die Leipziger Buchmesse ist nicht zuletzt wegen Leipzig liest enorm wichtig. Im vergangenen Jahr zählte man 286.000 Besucher. Das sind jede Menge potentieller Kunden, selbst wenn natürlich nicht jeder dieser 286.000 Besucher an unseren Stand kommt. Abgesehen davon hätte man dieses Jahr zum ersten Mal frei verkaufen können, das heißt, ohne den „Umweg“ über die Messebuchhandlung bzw. die mobilen Kassen. Davon hatten wir uns insbesondere für unseren Spitzentitel einiges versprochen. Die Aufzeichnungen eines Serienmörders von Young-ha Kim haben sich allein in Korea, dem Heimatland des Autors, über 200.000mal verkauft. Wie viele Exemplare wir nun von dieser grandiosen Geschichte eines dementen Serienmörders an den Leser bringen können, wird sich zeigen.
Not macht erfinderisch, Krise kreativ. Viele Buchhändler lassen sich trotz geschlossener Türen einiges einfallen, um die Leser mit Lektüre zu versorgen. Bestellte Bücher werden verschickt, zur Abholung an die Ladentür gehängt oder per Fahrradkurier ausgeliefert. Von Amazon-Sätzen wie „Derzeit nicht verfügbar. Ob und wann dieser Artikel wieder vorrätig sein wird, ist unbekannt“ sollte sich niemand ins Bockshorn jagen lassen. Die Aufzeichnungen eines Serienmörders beispielsweise sind durchaus verfügbar. Sie sind ja gerade erst erschienen.
Byongsu Kim, der Serienmörder aus den genannten Aufzeichnungen, liest übrigens auch. Auf seiner Liste stehen Nietzsche (Also sprach Zarathustra), Borges (Fiktionen), die Essais von Montaigne – und jede Menge Lyrik.
Frisch erschienen ist der Kriminalroman „Aufzeichnungen eines Serienmörders von Young-ha Kim.
Katharina Florian (Edition Nautilus): Was nun noch alles?
Was denn nun noch alles?, würde Harry Rowohlt fragen. Seit einiger Zeit häufen sich die Vorkommnisse, die unseren Kampf (ja, es ist ein Kampf) für unabhängige Literatur noch schwerer bis hoffnungslos machen.

Es begann mit enormen Rückzahlungen an die VG Wort, gefolgt von der Pleite des für die Buchbranche systemrelevanten Barsortiments KNV. Dann wurde beim anderen Barsortiment Libri beschlossen, die Liste der lieferbaren Titel zu verkleinern, so dass viele Titel in den Katalogen nicht mehr angezeigt werden und aus der Wahrnehmung zu verschwinden drohen. Und nun, da wir gerade wieder sicher auf zwei Beinen standen, legt Corona alles lahm. Was das für uns, für die Edition Nautilus, am Ende bedeuten wird, lässt sich derzeit überhaupt nicht abschätzen. Zu groß ist die Ungewissheit, ob und wann Fördermittel bei uns ankommen, wie lange wir durchhalten werden müssen.

Doch die Sorge ist groß: unser Frühjahrsprogramm war gerade rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse fertig und in den Handel ausgeliefert, als das Virus Deutschland ereilte, die Buchmesse ausfiel und die Buchhandlungen in fast allen Bundesländern schließen mussten. Nun sind die Druckereirechnungen und Autorenhonorare fällig, aber die Einnahmen fehlen. Rücklagen bilden zu können ist nicht gerade eines der Privilegien unabhängigen Verlegens, arbeiten die allermeisten von uns doch an der Grenze zur Selbstausbeutung, zwar mit großem Engagement, aber kleinen Margen.
Was können wir tun, was ist nun sinnvoll? Wir versuchen, so gut es geht
insbesondere auf die Lage der Buchhändlerinnen und Buchhändler aufmerksam zu
machen, auf ihre Shops zu verlinken, auf Fahrradlieferservices u.a. Aktionen
hinzuweisen. Sie sind es, die nun als erste Unterstützung brauchen, denn wenn
die Buchhandlungen auf anderen Kanälen als im Ladengeschäft verkaufen können,
dann hilft das auch uns. Solidarität ist mehr denn je gefragt, aber trotzdem:
ohne schnelle und unbürokratische Hilfe finanzieller Art (und damit meine ich
keine Kredite oder Steuerstundungen, sondern strukturelle Förderung) wird es
für uns alle verdammt eng werden.

Wenn ich nun an unsere Autorinnen und Autoren denke, bricht es mir fast das Herz: wie viel (mitunter jahrelange) harte Arbeit steckt in ihren Büchern, die es nun so schwer haben, wahrgenommen zu werden in einem Markt, der stets das Neue will. Zwei bis drei Monate ab Erscheinen hat ein Titel in der Regel Zeit, ein Publikum zu finden, danach verschwinden einzelne Exemplare im Regal oder in den Lagern der Verlage. Das ist eh schon absurd genug. Nun müssen wir entgegen diesem Trend alles daran setzen, im Herbst (oder wann auch immer) eine neue Aufmerksamkeitswelle für unser Frühjahrsprogramm loszutreten und Lesereisen nachzuholen. Denn diese Termine sind eine nicht zu unterschätzende Einnahmequelle für Autorinnen und Autoren.
Für das Verlegen heißt es nun aufzupassen, dass einem die Angst nicht in die Quere kommt. Die Edition Nautilus steht als unabhängiger Verlag wie so viele unserer wunderbaren Kolleginnen und Kollegen (Link: http://www.kurt-wolff-stiftung.de/freundeskreis/) für Programmgestaltung, die ein Werk nicht in erster Linie nach ökonomischen Kriterien beurteilt, sondern nach Qualität – unkonventionell, eigenwillig, kämpferisch. Und das muss so bleiben.
Zwei Kriminalromane sind im Frühjahr bei Edition Nautilus erschienen: „Der Schutzengel“ von Jerome Leroy und „Die Brüder Fournier“ von Matthias Wittekindt, der auch etwas für unser #Covid-19-Spezial geschrieben hat.
Vier Fragen an Ludwig Paulmichl, Verleger Folio Verlag
Wie erleben Sie derzeit die Situation in Südtirol?
Ja, ein Teil des Verlages sitzt in Bozen fest. Wir dürfen aufgrund eines Erlasses von Giuseppe Conte arbeiten, weil Verlage, also Zeitungs- und Buchverlage, zur Kategorie der notwendigen Dienstleister zählen.
Die meisten Mitarbeiterinnen arbeiten im Home-Office.
Die Bewegungseinschränkungen sind aber von allen akzeptiert und wohl notwendig. Soweit zu Bozen.
In Wien hingegen pendeln die MitarbeiterInnen zwischen Büro und Homeoffice. Alle PraktikantInnen hingegen sind momentan zu Hause und sind in freier Mitarbeit.
Soweit ich weiß, sind derzeit in Südtirol – wie in den meisten Regionen – alle Buchhandlungen geschlossen, kulturelles Leben findet kaum oder gar nicht mehr statt. Wie beeinflusst das Ihre Arbeit im Verlag und als Verleger?

Wie fast in ganz Europa steht vieles still, vieles geschieht in den sozialen Medien. Die Buchhandlungen sowohl in Südtirol als auch in Wien bieten Shopservices und Hauszustellungen an, und wir wundern uns, dass die Märzumsätze gar nicht so übel sind, ob das im April weitergeht, ist natürlich nicht absehbar.
Wir bereiten gerade Vorschau und die Bücher für das Herbstprogramm vor, setzen Titel zurück und überlegen, welches Timing das richtige sein wird. Wird es eine Vertreterreise in Deutschland, Österreich und in der Schweiz geben? Wenn ja, wann und wie werden die Buchhändler drauf reagieren?
Worin sehen Sie als Verleger die größten Herausforderungen in den kommenden Monaten?
Die größte Herausforderung für uns wird sein, die Liquidität zu halten.
Wir denken über neue Vertriebswege nach, man kann übers Internet bestellen, aber die vielen Buchhandlungen unterschiedlichster Größe sind sehr kreativ und bieten allseits Shopdienste an, was uns freut, uns hilft, aber vor allem muss der Buchhandel weiterleben, sonst haben wir alle große Probleme.
Wo sehen Sie aktuell den größten Handlungsbedarf?
Ich denke, dass Kultur und Kreativwirtschaft jetzt genauso anlassbezogen außerordentlich öffentlich unterstützt werden muss, wie andere Wirtschaftsbereiche, weil es eine volkswirtschaftlich relevante Größe ist.
„Hundechristus“ heißt der historische Kriminalroman, der im Frühjahr im Folio Verlag erschienen ist. Geschrieben wurde er von Luca Carelli.