Geschrieben am 3. August 2011 von für Kolumnen und Themen, Litmag

Aus neuen Literaturzeitschriften

Interessante Literaturzeitschriften gibt es viele und in ihnen verstecken sich so manche Perlen. „Am Erker“-Redakteur Andreas Heckmann sorgt dafür, dass wir den Überblick behalten; er wird von nun an regelmäßig über interessante neue Hefte berichten. Diesmal: Kultur & Gespenster, die horen und poet.

Kultur & Gespenster 12

„Als Graf Geert noch jung war, ging er in die Schule, um Bischof zu werden; dachte aber nicht an ritterliche Werke. Er war so arm, daß er keine Burg im ganzen Lande hatte und unter den Bürgern in Rendsburg wohnte auf dem Hakenspieker über dem Wasser, und hatte nichts eigenes, als ein paar graue Wildhunde, die man zu der Zeit für ganz edel zur Jagd hielt, wie die Jäger sagen. Da kam aber Hartwig Reventlow zu ihm und gab ihm Pferde und Harnisch. Und alsobald wuchs ihm der Mut und der junge Fürst ward ein solcher Held, daß man ihn mit Recht den Großen genannt hat.“

Dieser Text stammt nicht von Ror Wolf, sondern aus Karl Müllenhoffs „Sagen, Märchen und Lieder der Herzogtümer Schleswig, Holstein und Lauenburg“ (1845), die in der 12., den „Märchen“ gewidmeten Ausgabe von „Kultur & Gespenster“ in Auszügen abgedruckt sind. Das dreihundert Seiten starke, im Format leider von einst 28 x 21 auf nun 23 x 16,5 cm geschrumpfte Heft bringt neben erquicklichen Sagen und Legenden aus Schleswig-Holsteins dänischer Vorzeit ein Gespräch des Literaturwissenschaftlers Hartmut Freytag mit dem Künstler Alexander Rischer, der 2010 auf einer Fahrradtour die Plätze fotografiert hat, an denen die Texte spielen.

Foto: Alexander Rischer

Schöne S/W-Fotos zeigen Waldeinsamkeit, Findlinge, vom Westwind modellierte Baumkronen, Wegkreuze, Grabmäler, Backsteingotik, einen ausgebrannten Mähdrescher auf freiem Feld, Friedhöfe, Taufbecken, und es scheint, als rufe im Schlehdorn noch das Käuzchen, als streiche die Muhme noch um die Teiche. Bereits in der siebten Ausgabe von K&G ging es um Rischers Ausstellung „Die dunckle Finsterniß hatte hier allenthalben ihren Schweins-Braten ausgestreuet“, in der der Künstler seltsame historische Landmarken gesammelt und faszinierend kommentiert hat.

Kultur & Gespenster 12: Märchen. Kultur & Gespenster erscheint zweimal jährlich im Textem Verlag. Mehr zu diesem Heft (und eine Bestellmöglichkeit) finden Sie hier.

die horen 240 + 241

Albert Vigoleis Thelen haben sich „die horen“ schon 2000 und 2003 ausführlich gewidmet. Die nun in Band 240 unter dem Titel „Mötterken sei gegrüßt …“ abgedruckten „Briefe aus düsteren Jahren (1929-1948)“, die nicht in dem 2010 bei DuMont erschienenen Band „Meine Heimat bin ich selbst: Briefe 1929-1953“ enthalten sind, haben mich allerdings nicht den Eindruck gewinnen lassen, es mit einem bedeutenden Briefschreiber zu tun zu haben. Immerhin enthalten die Korrespondenz, die Thelen 1929/30 an den niederländischen Autor van Vriesland richtete, dessen Roman „Het afscheid van de wereld in drie dagen“ er übersetzt und deutschen Verlagen vergeblich angeboten hat, und zumal der schöne Brief an den Bruder Ludwig vom 22. 12. 1937 zeitlose Einblicke in Probleme und Versuchungen von Übersetzerkunst und -handwerk. Übrigens war das Übersetzen für Thelen, der lange in Holland, auf Mallorca und in der Schweiz lebte, auch darum von großer Bedeutung, weil er durch Übertragungen des Dichters Texeira de Pascoaes die Möglichkeit bekam, die Jahre 1940-46 mit seiner Frau auf dessen Weingut im neutralen Portugal zu verbringen.

Band 241 versammelt Lebens- & Überlebensgeschichten und erinnert u.a. an Helmut Heißenbüttel, der 1990 bei der Verleihung des Kunstpreises Schleswig-Holstein statt einer Dankesrede ein „Lob West-Schleswig-Holsteins“ vorgetragen hat: „immer wenn ich morgens mit dem Bus nach Glückstadt fahre/ immer wenn ich auf der Bahnfahrt zwischen Pinneberg und Glückstadt nach links aus dem Fenster blicke/ immer wenn ich das flache Land sehe/ den Horizont aus Büschen Bäumen einzelnen Dächern manchmal Kuhrücken/ den Himmel der bunter ist als anderswo und mehr Wolken hat als anderswo/ den Rundblick der mir alles darbietet/ der die Verhältnisse offen erscheinen läßt/ nicht von sogenannten Schönheiten verstellt/ der nichts verbirgt und das Wirkliche wirklich erscheinen läßt/ Haseldorfer Marsch Kremper Marsch Wilster Marsch bis hinauf zur Eiderstedter Marsch und Niebüll/ öffnet sich/ öffnet sich/ öffnet sich/ mein Gefühl meine Empfindung mein Herz/ segle ich davon im Wind des Gefühls der Empfindung/ im Wind des Herzens/ und ich erinnere mich an die Heimreisen während des Krieges/ wenn sich nach Hannover wo es flach wurde der Gedanke bildete/ jetzt wird es schön“.

die horen 240: Gelebtes Erinnern – erinnertes Leben; 241: Anschauliche Zeiten. Je 16,50 Euro. Mehr zu den Ausgaben (Inhaltsverzeichnis und Leseproben) finden Sie hier.

poet 10

Was wohl ein Saarländer angesichts der Niagarafälle zu Papier bringt? Ein Ostfriese am Taj Mahal? Ein Sachse vor den Lehmpalästen Timbuktus? Dank Fitzgerald Kusz und seinem Gedicht „istanbul“ in poet nr. 10 wissen wir immerhin, was einem Franken am Bosporus einfällt: „dä blick aff di blaue moschee/ säißa dee und biddere olivn/ ä himml vullä mövn/ di anglä aff dä galatabrüggn/ di fisch däi nie oobeißn/ dä ölfilm im goldnä horn/ laudschbrechä mid rückkobblung/ wou zum gebet rufn/ des gwühl in di schdrassn/ säißä dee und biddere olivn/ säiß und bidder: istanbul“. Man kann aber auch daheim am Stammtisch bleiben, und dann klingt es so: „des gibds ned/ des glabbsd ned/ des derf ned woä saa/ des gäihd ned in mein kubf nei/ das läßd mä kann rouh/ des houi kummä säing/ des hammä edz dävoo/ des kummd aff uns zou/ des kammä ned aufhaldn/ des kummd unvähoffd/ des bläihd uns/ des is aff amall dou“.

poet 10. Literaturmagazin. Herausgeber: Andreas Heidtmann. Erscheint halbjährlich im Poetenladen 2011. 9,80 Euro. Mehr zu dieser Ausgabe samt Inhaltsverzeichnis finden Sie hier.

Andreas Heckmann

Diese Zeitschriftenschau ist zuerst in unserem Partnermedium „Am Erker“ erschienen.